Feilbingerter Gemeinderat: viele Rechtsbrüche + späte Einsicht

FEILBINGERT – Schon die Besucherzahl der Gemeinderatssitzung am 7. Oktober war besonders: deutlich über 30 Einwohner*Innen fanden sich neben den Gemeinderatsmitgliedern pünktlich vor 19 Uhr in der Lemberghalle ein. Der Verlauf der Sitzung dürfte in der demokratischen Geschichte der Gemeinde einmalig sein. Die diese Einschätzung belegenden Umstände fingen bereits vor Eintritt in die Tagesordnung (TO) an. Diese wurde nämlich auf Antrag der FDP-Fraktion geändert.

Den Liberalen war aufgefallen, dass ein Ausschuß besetzt werden sollte, den es laut Hauptsatzung gar nicht gibt. Folgerichtig beantragte Arno Bumke die Aufnahme des TOP “Änderung der Hauptsatzung”. Nach einer minutenlangen Diskussion über deren aktuelle Fassung (es existieren tatsächlich unterschiedliche Versionen unter dem selben Datum …) wurde schließlich die geänderte TO einmütig angenommen. Allerdings ohne ausdrücklich die Eilbedürfigkeit zu begründen.

Neue Punkte dürfen auf die Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung gemäß § 34 der Gemeindeordnung des Landes Rheinland-Pfalz (GemO) am Sitzungstag aber nur dann aufgenommen werden, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: der Gemeinderat muss dies mit mindestens zwei Drittel Mehrheit seiner anwesenden Mitglieder beschließen. Diese Hürde wurde in Feilbingert genommen. Die zweite, derzufolge “die Dringlichkeit vom Gemeinderat vor Eintritt in die Tagesordnung festzustellen ist”, allerdings nicht.

Selbst einstimmig können diese Schutzvorschriften der GemO nicht ausgehebelt werden. Und in der Sitzung fielen die Worte “eilbedürftig” oder “dringlich” nicht einmal. Sie begann also mit einem klaren Rechtsbruch. Dem viele weitere folgen sollten (siehe gesonderte Berichte). Denn nach dem – rechtswidrigen – Beschluß über die Tagesordnung wurde nicht etwa der erste Punkt aufgerufen. Sondern Ortsbürgermeisterin Andrea Silvestri (CDU) trug eine von ihr selbst zusammengestellte Definition des Rechtsinstitutes der “Einwohnerfragestunde” vor.

Die in der Gemeindeordnung dazu vorgegebene Definition zitierte sie nur zum Teil. Silvestri führte zutreffend an, dass die Fragestunde “die Dauer von 30 Minuten nicht überschreiten soll”. Sie verschwieg allerdings geflisstenlich, dass im selben GemO-Paragrafen wenige Sätze weiter steht: “die Vorsitzende hat Fragen zurückzuweisen …, wenn die reguläre Dauer der Einwohnerfragestunde bereits um mehr als 15 Minuten überschritten ist, sofern nicht der Rat ihre Verlängerung beschließt”.

Die von Silvestri behauptete Zeitnot gibt es rechtlich also gar nicht. Eine Überschreitung der gesetzten Norm um 50% ist sogar ohne Gemeinderatsbeschluß möglich. Weiterhin führte Andrea Silvestri aus, die in einer Einwohnerfragestunde gestellten Fragen “sollen der Bürgermeisterin nach Möglichkeit drei Arbeitstage vor der Sitzung schriftlich zugeleitet werden”. Silvestri erklärte nicht, was eine Soll-Vorschrift juristisch bedeutet. Wikipedia bietet für alle eine verständliche Definition:

“Eine Soll-Vorschrift ist eine mehr oder minder eindringliche Empfehlung eines Normgebers. Sie schreibt einer Behörde ein Tun oder Unterlassen zwar für den Regelfall, aber nicht zwingend vor, räumt also nur ein „begrenztes Ermessen“ ein” (für Filmfreunde übersetzt: ähnlich wie der Codex der Piraten in “Pirates of the Caribbean”). Weil einige Zuhörer*Innen sich sach- und rechtskundig gemacht hatten, meldeten sie sich zu Wort und widersprachen der Ortsbürgermeisterin. Das gefiel Andrea Silvestri gar nicht.

Schon beim ersten Zwischenruf wies sie darauf hin, dass sie die Sitzungsleiterin sei und das Hausrecht ausübe. Der Sprecher des Lüssert-Siedlervereins, Andreas Dilly, meldete sich daraufhin zu Wort und bewertete die Vorgehensweise der Ortsbürgermeisterin unter dem Applaus vieler Zuhörer*Innen als “undemokratisch”. Silvestri setzte ihre “Erklärung” fort. Sie habe einen Brief mit 40 Fragen vom Lüssert-Verein erhalten, für die sie teils gar nicht zuständig sei.

Dann rechnete die Ortsbürgermeisterin vor: je Frage stünden dem jeweiligen Fragesteller 3 Minuten zur Verfügung, was dazu führe, dass die Liste in 30 Minuten gar nicht abzuarbeiten sei. Die Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt kein einziger Zuhörer auch nur eine einzige Frage angekündigt oder gar gestellt hatte, berücksichtigte Andrea Silvestri bei ihrer “Rechnung” nicht. Daher ergaben sich im weiteren Verlauf der Silvestri-Erklärung erneute Zwischenrufe und Wortwechsel mit den Zuhörer*Innen.

Für Ärger im Publikum sorgte u.a., dass Ortsbürgermeisterin dem Gemeinderat verschwieg, dass § 14 der GemO “juristischen Personen und Personenvereinigungen” (= Vereinen wie der Lüssert-Siedlergemeinschaft) ausdrücklich die selben Rechte zugesteht, wie Einwohner*Innen. Nach dem Ende ihres vielminütigen Vortrages bat sie den in Vertretung des Verbandsbürgermeisters anwesenden Beigeordneten Hermann Spiess um eine Stellungnahme. Der verfügt zwar eine beträchtliche Verwaltungserfahrung.

Aber als geschätzter ehemaliger Hochbaufachmann der Stadtverwaltung Bad Kreuznach. Dem Rat “Schuster bleib bei Deinen Leisten” folgte er nicht. Sondern auch er äusserte sich zu den angeblichen Vorschriften, die für Einwohnerfragestunden gelten. Zunächst wiederholte er die bereits von Andrea Silvestri vorgetragenen Teilbestimmungen. Was wiederum Widerspruch bei den Zuhörer*Innen hervorrief.

Um dann darauf hinzuweisen, dass die Ortsbürgermeisterin ehrenamtlich tätig sei und nicht über einen Stab von Mitarbeitern verfüge, der ihr bei der Beantwortung von Fragen helfe. Wieso der Landesgesetzgeber trotzdem die Einwohnerfragestunde eingeführt hat und diese landesweit erfolgreich praktiziert wird in vielen hundert Gemeinden mit ehrenamtlichen Bürgermeistern, erklärte Spiess nicht. Sondern er faßte seine Ausführungen zusammen: “es gibt andere Möglichkeiten, die Gemeindeordnung gibt nicht mehr her”.

Diese in der Sache unzutreffende Behauptung provozierte Gegenrede aus dem Kreis der Zuhörer*Innen. Was die Ortsbürgermeisterin zu dem Ausruf veranlasste: “wir sind ja hier im Theater. Ich kann Sie auch des Raumes verweisen”. Dem widersprach Andreas Dilly und führte aus, dass “hier Bürger anwesend sind, die Sorgen und Nöte haben und Antworten auf drängende Fragen suchen”. Die habe es vor Monaten schon nicht gegeben. Und daher fordere man sie nun ein.

Was Silvestri emotional ausrufen ließ “ich habe hier die Sitzungsleitung und ich habe hier das Wort, jeder kann gern rausgehen”. Die darauf aus dem Publikum gerufenen Reaktionen (“wir wollen Antworten”, “warum reden Sie nur drumrum, statt zur Sache”) beantworte Andrea Silvestri erregt mit einem Platzverweis für Andreas Dilly: “gehen Sie bitte raus, auf Wiedersehen. So, der nächste geht auch. Schönen Abend”. Nach einer kurzen Besinnungspause setzte die Ortsbürgermeisterin die Sitzung dann fort.

Sie erklärte sinngemäß, sie wolle ja nicht so sein und habe zu den 40 Fragen die Antworten vorbereitet. Und dann ratterte sie Fragen und ihre Antworten mit der Schußgeschwindigkeit einer Kalaschnikow herunter, so dass der Redakteur dieser Seite, der selbst Wortgefechte im Rat der Stadt Bad Kreuznach regelmäßig zitatgenau festhält, nicht mehr mitkam. Und mit einem Zwischenruf ein erträgliches Vorlesetempo einforderte mit dem Hinweis, dass jede andere Vorgehensweise wegen des faktischen Ausschlusses der Öffentlichkeit durch Unverständlichkeit zur Rechtswidrigkeit der Sitzung führe.

Andrea Silvestri drosselte daraufhin ihre Vorlesegeschwindigkeit. Zu keiner Frage formulierte sie mehrere Antwortsätze. Über die Hälfte der Fragen beantwortete sie mit dem Hinweis, für die Beantwortung der jeweiligen Frage sei nicht die Ortsgemeinde, sondern die Verbandsgemeinde zuständig. Insgesamt dauerte das Fragen- und Antworten-Vorlesen der Ortsbürgermeisterin keine 6 Minuten.

Um genau 19:26 Uhr beendete die Ortsbürgermeisterin den TOP Einwohnerfragestunde. Ohne auch nur ein Mal gefragt zu haben, welche der noch anwesenden Einwohner*Innen Fragen haben. Ein wortwörtlicher Verstoß gegen die Gemeindeordnung. Und gegen alle Handlungsempfehlungen für Amtsträger. Aus dem Gemeinderat gab es während des geschilderten Geschehensablaufes ausschließlich gegen die Zuhörer*Innen gerichtete Kommentare. Die Einsichten kamen erst später.

Ganz am Ende der Sitzung meldet sich unter dem Punkt Anfragen Egbert Steinbach (CDU) zu Wort. Er schilderte zunächst seinen Eindruck, dass die Zuhörer*Innen schon beim Eintreffen auf ihn den Eindruck gemacht hätten, sie seien “auf Krawall aus”. Trotzdem bewertete er den Ablauf der Einwohnerfragestunde als “Scheisse”. Er regte an die Fragen an die Verbandsgemeindeverwaltung weiterzugeben, “damit die Leute Antworten bekommen”. Arno Bumke stimmte Steinbach zu und erklärte, auch er habe “ein ungutes Gefühl”. Die Leute seien sauer. Es sei “sehr ungschickt” gelaufen.

Meinung: denn sie wissen nicht, was sie tun
Die Meinung unseres Redakteurs
Claus Jotzo

FEILBINGERT – Egert Steinbach (CDU) hat es wohl gespürt. Zudem hatte er den Mumm und verfügt über die nötige Portion Selbstkritik, um es am Ende der Gemeinderatssitzung auf den Punkt zu bringen: “das ist Scheisse gelaufen”. Diese griffige Beschreibung fasste die Fehlleistung seiner Parteifreundin Andrea Silvestri zum Sitzungsbeginn treffend zusammen.

In der eigentlich überwunden geglaubten dümmlichen Arroganz von Verwaltungshengsten und -stuten hatte die Ortsbürgermeisterin die Sitzung des Feilbingerter Gemeinderates mit Zitaten aus der Gemeindeordnung zum Thema “Einwohnerfragestunde” eröffnet. Leider ohne über den kommunalrechtlichen Sachverstand zu verfügen. Oder, was noch schlimmer wäre, mit bewußter Weglassung der relevanten Vorschriften.

Und ohne die bürgerfreundliche Praxis anderer Kommunen im Kreis Bad Kreuznach zu berücksichtigen. “Ehrenamt” mag für alles Mögliche eine Entschuldigung sein. Aber nicht für Inkompetenz, Unwissenheit und Desinformation. Die Feilbingerter Ortsbürgermeisterin ist nicht irgendwer. Sie ist als Kreisbeigeordnete Stellvertreterin der Landrätin (was sich um so bedeutender auswirkt, weil der Erste Kreisbeigeordnete sich bereits auskömmlich auf den Vorruhestand vorbereitet).

Bettina Dickes ist hier gefordert und sollte Ihrer Parteifreundin schnellstmöglich eine umfassende kommunalrechtliche Nachschulung ermöglichen. Denn in der am 7.10.2021 praktizierten Weise bekommt Andrea Silvestri keine rechtskonforme Gemeinderatssitzung mehr hin. Sondern wird zum Sorgenkind der Kommunalaufsicht. Mit ihrer sturen Haltung in der Lüssert-Frage hat sie viele Leute aus dem Dorf gegen sich aufgebracht.

Die “wo kein Kläger ist, ist kein Richter”-Nummer, ist daher vorbei. Und es wäre schade, wenn Andrea Silvestri das Schicksal ihrer ehemaligen Simmertaler Amtskollegin teilen müßte. Denn dafür steckt in ihr viel zu viel Potential. Aber ohne solide Kenntnisse im Kommunalrecht ist der Weg ins Abseits vorgezeichnet. Die Bad Kreuznacher Verhältnisse sollten den Feilbingertern da eine Warnung sein.