Wieder ein Rechtsbruch – wieder kümmert es keine der Amtsträger*Innen

Beobachtet und kommentiert von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Die gesetzliche Regelung gilt unverändert seit Jahrzehnten: “Bürger, die ein Ehrenamt oder eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, dürfen nicht beratend oder entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung ihnen selbst, einem ihrer Angehörigen oder einer von ihnen kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann,” bestimmt § 22 der Gemeindeordnung (GemO). Wird, wie am gestrigen Montagabend im Ortsbeirat Bad Münster am Stein / Ebernburg, über ein Sanierungsgebiet beraten, sind gemäß der Rechtsprechung alle dortigen Grundstücks- und Wohnungseigentümer wegen der Besorgnis der Befangenheit von Beratung und Beschlussfassung auszuschließen.

Passiert ist folgendes. Ortsvorsteherin Dr. Bettina Mackeprang eröffnete die Sondersitzung und erläuterte die Hintergründe. Diese hatte t-s-n bereits gestern unter der Überschrift “Retten Rapp-Initiative, Welschbach-Antrag und Delaveaux-Beitrag die alte Villa?” berichtet. Nach der Ortsvorsteherin meldete sich Ortsbeiratsmitglied Willi Kuhn (SPD) das erste Mal zu Wort. Er zeigte sich mit der Rückverweisung des Beschlusses “Stadtsanierung Kernbereich Bad Münster” vom Stadtrat in den Ortsbeirat unzufrieden. Der Ortsbeirat gebe keine gute Figur ab, bewerte Kuhn.

Und kritisierte dann das Vorgehen des Ortsbeirats- und Stadtratsmitgliedes Manfred Rapp (CDU), der sich im Stadtrat für eine Veränderung des Sanierungsgebietes ausgesprochen hatte. Kuhn argumentierte, dass man auch aus der Untersuchung des nach Rapp’s Einschätzung nicht sanierungsbedürftigen Strassenzuges “Bäderweg” hätte etwas lernen können. Kuhn erinnerte an die erste Beratung des Themas im Ortsbeirat am 5. September, in der er selbst eine Ausweitung des Sanierungsgebietes im Bereich Berliner Strasse angeregt habe. Da habe Rapp geschwiegen. Und Kuhn’s Vorschlag sei mit dem Hinweis auf später noch mögliche Änderungen abgeblockt worden.

Auch auf die Tatsache, dass Rapp und andere CDU-Stadtratsmitglieder im die Entscheidung im Stadtrat vorbereitenden Planungsausschuss keinerlei Kritik übten und die Vorlage daher einstimmig angenommen wurde, wies Kuhn hin. Er plädierte, unterstützt von seiner Fraktionskollegin Annette Hartwig, für eine Beibehaltung des alten Beschlusses. Manfred Rapp wies in seiner Replik darauf hin, dass er wegen einer anderen Verpflichtung an der Sitzung des PLUV nicht teilnehmen konnte. Und es ihm rein um die Sache, nämlich um die Förderung von Investitionen in sonst dem Verfall preisgegebene Gebäude gehe.

Dr. Mackeprang erläuterte darauf hin, dass der Ortsbeirat in der gestrigen Sitzung nur die Möglichkeit habe, entweder die vorgelegten Unterlagen zu akzeptieren – oder nicht. Stefan Köhl (FDP) fragte dies noch einmal nach. Und erhielt eine Bestätigung. Angesichts der durch Beschlussänderungen erzeugten Verzögerungen des Beratungsprozesses änderte Willi Kuhn seine Haltung und kündigte an, für die Beschlussvorlage zu stimmen. Dann fiel ihm ein, dass er Miteigentümer einer Eigentumswohnung im Plangebiet ist. Und verliess den Beratungstisch, um sich in den Zuschauerbereich zu stellen.

Annette Hartwig schloss sich Willi Kuhn an. Und nahm ebenfalls nicht an der Abstimmung teil. Diese fand anschließend trotzdem statt. Einstimmig für den Beschlußvorschlag. Danach wurde die Ortsbeiratssitzung mit anderen Themen fortgesetzt. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) hat mit seiner Rechtsprechung der vergangenen fünfzig Jahre mehrere Punkte ausgeurteilt. Etwa: mit welchem Ergebnis ein Beschluss gefasst wird (einstimmig mit nur Jastimmen, einmütig mit einer oder mehreren Enthaltungen und dem Rest Jastimmen, gegen eine oder wenige Neinstimmen) spielt für die Frage, ob ein Verstoss nach § 22 GemO vorliegt, keine (in Worten: keine) Rolle.

Auch ein einstimmiger Beschluss ist dann nicht rechtmäßig zustandegekommen, wenn gegen die gesetzlichen Vorgaben verstossen wurde. Und das war gestern Abend ganz ohne Zweifel der Fall. Denn obwohl zwei Ortsbeiratsmitglieder nach eigener Einschätzung befangen waren und sich aus diesem Grund an der Beschlussfassung nicht beteiligten, nahmen sie an der Beratung zuvor aktiv teil. Willi Kuhn wies in seinem Redebeitrag sogar ausdrücklich auf seine Beratungsbeteiligung in der Ortsbeiratssitzung am 5.9.2023 hin. Natürlich haben weder Willi Kuhn noch Annette Hartwig das böse gemeint. Beide haben nach meiner Einschätzung nicht das geringste persönliche Interesse am Inhalt der Entscheidung.

Ihre Befangenheit ergibt sich allein aus gesetzlichen Bestimmungen. Immerhin ist es genau dieses Gesetz, die GemO, das die gewählten Mitglieder in Gremien dort reden lässt – ganz egal von der Sinn- oder Werthaltigkeit der Wortbeiträge. Aber, jedenfalls so weit ich es weiss, ist es (heute noch) nicht zulässig, sich aus der GemO wie am kalt-warmen Buffet auszusuchen, welche Vorschriften man einzuhalten gedenkt. Und welche nicht. Würde frau sich an Recht und Gesetz halten, müsste Dr. Bettina Mackeprang den Beschluss wegen eines Verstosses nach § 22 GemO aufheben. Und zu einer Neuberatung einladen.

Denn würde der kontaminierte Beschluss zum Gegenstand der Beratungskette PLUV – Stadtrat werden, wäre am Ende die gesamte Entscheidung – selbst wenn ab jetzt alles korrekt laufen würde – anfechtbar. Auch das hat das OVG bereits geurteilt. Aber ich bin ja nur Redakteur. Und Dr. Bettina Mackeprang ist promovierte Volljuristin. Die Stadtverwaltung bezahlt mindestens drei Juristen. Vor deren Augen geschehen Sitzung für Sitzung krasseste Verstösse gegen die Gemeindeordnung. Ohne jede Konsequenz. Aber wehe ein Bürger überzieht auf einem der gebührenpflichtigen Parkplätze die Parkzeit um acht Minuten. Oder stellt einen Deko-Baum oder Werbe-Aufsteller zu weit in die öffentliche Verkehrsfläche. Dann schlägt die Stadtmacht voll zu.