Gestern an der Pouilly-Brücke: “Jesses Maria – das ist ja Irrsinn”

Beobachtet von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Es gab in diesem Sommer besonders viele Wespennester. Die Stadt hat mit ihren Schutzmaßnahmen für Fußgänger*Innen (vor Fahrradfahrenden) und Anwohner*Innen (vor Lärm) auf der Pouilly-Brücke in ein offensichtlich sehr großes mitten hineingestochen. Seit heute vor einer Woche die Baumaßnahmen mit dem Aufstellen von Plastik-Pollern begonnen haben, hat sich in der Öffentlichkeit und den Sozialen Medien eine breite Diskussion um den Sinn bzw Unsinn der Maßnahme entwickelt (diese Seite berichtete). Bürgermeister Thomas Blechschmidt hat die Dimension der öffentlichen Betroffenheit richtig eingeschätzt. Und sich daher stellvertretend für den eigentlich als Baudezernenten zuständigen Oberbürgermeister Letz, der im Urlaub weilt, in einem Pressegespräch vor Ort persönlich gestellt.

Bis zum Beginn des Pressegespräches waren Timo Becker (rechts) und seine Leute vom Bauhof am Arbeiten, um die Poller weiter auseinander zu setzen.

Das hatte am gestrigen Mittwochnachmittag (31.8.2022) um 14 Uhr kaum begonnen, da brachte eine ältere Passantin mit Blick zu den Pollern auf den Punkt, was hunderte andere zuvor sinngemäß im Internet losgelassen hatten: “Jesses Maria – das ist ja Irrsinn”. Blechschmidt nahm den Kommentar mit Humor. Und unternahm dann im Beistand vom Leiter des Tiefbauamtes, Philipp Geib, und Sachgebietsleiter Timo Becker vom Bauhof zu dem Brücken-Problemen Stellung. Diese sind, was die Verwaltung den Einwohner*Innen bisher leider verschwiegen hat, sehr vielfältig und gravierend. Der technische Zustand der stark genutzten Brücke ist so schlecht, dass eine sofortige Schließung im Raum stand und die Verbindung zwischen dem Bad Münsterer Kurpark und Ebernburg nur dann bis zur dringend erforderlichen Grundsanierung erhalten bleibt, wenn die Stadt mit kleinen Mitteln den Verfall stoppen kann.

Wie weit dieser bereits fortgeschritten ist, führten Blechschmidt und sein Team der versammelten Presse mit einer Besichtigung des Bauwerkes von unten vor. Auch Laien erkennen dort sofort: Muttern und Schrauben sind weggerostet, Bleche und Stahlträger von vielen auf wenige Millimeter Stärke reduziert: alles Schäden, die nur über Jahrzehnte entstanden sein können. Und nicht in den letzten acht Jahren seit der Eingemeindung Bad Münsters. Vollkommen zurecht wies Philipp Geib daher darauf hin, dass die Brücke wegen der schon 2014 erkennbaren siebenstelligen Sanierungskosten im Fusionsvertrag als Belastung aufgeführt und zu einer entsprechenden zusätzlichen Zahlung durch das Land hätte führen müssen. Den zweiten Sanierungskostentreiber kann man weder sehen noch riechen oder schmecken: Blei.

Jedes Stück Lack, das hier abblättert, enthält giftiges Blei.

Das für Lebenwesen toxische Element ist im Farbanstrich der Brücke massenhaft enthalten. Müßte dieser entfernt werden, um den lange fälligen Neuanstrich zu ermöglichen, würde allein das einen sechsstelligen Betrag extra kosten. Denn jedes Mikrogramm der bleihaltigen Farbe müßte gesichert und entsorgt werden. Dazu müßte die Brücke eingehaust werden. Blechschmidts Hoffnung: die beiden örtlichen Farbgiganten Meffert und Schulz sind in der Lage ein Produkt zu liefern, mit dem der Bleilack überstrichen werden kann, ohne dass Haftprobleme entstehen. Die verrosteten Verschraubungen des Brückenbelages haben zu dem zweiten Problem geführt: dem erheblichen Lärm, den selbst Fußgänger*Innen mittlerweile beim Begehen der Brücke auslösen. Der steigert sich beim Radfahren auf der Brücke noch erheblich.

Womit das dritte Problem angesprochen ist. Auf der Brücke war Radfahren nie erlaubt. Nicht nur deshalb nicht, weil das Fahren im Laufe der Zeit noch größere Schäden bewirkt, als das Schieben. Sondern weil die Brücke weder breit genug ist noch über einen notwenig hohes Geländer verfügt. Da die Breite nicht verändert werden kann, wird das Bauwerk auch nach einer Millionen Euro teuren Sanierung immer noch fürs Radfahren tabu sein. Das sind Fakten, die heute von einem Großteil der RadfahrerInnen nicht eingesehen werden. Und so störten sich während dem Pressegespräch unzählige RadfahrerInnen weder an den Verbotsschildern noch an der großen Zeugenschar – und fuhren über die Brücke. Um das technisch zu verhindern, müßte die bisher 18köpfige Pollerparade über die komplette Brücke erweitert werden.

Dazu wird es natürlich nicht kommen. Womit der Konflikt zwischen Radfahrer*Innen und Fußgänger*Innen auf der Pouilly-Brücke auch zukünftig nach dem Recht des Stärkeren ausgetragen wird. Denn Kontrollen durch das städtische Ordnungsamt wird es, so der Bürgermeister, nicht geben. Bleibt das Problem der Poller. Die sind jetzt soweit auseinandergerückt, dass alles durchpaßt. Auch große Elektrofahrstühle (für kleine, das bestätigte ein Rolli-Pilot vor Ort, galt das ab dem ersten Poller). Aber: so wie auch einige Autofahrende nicht jede Engstelle meistern können, gibt es auch bei den Fahrstuhl-Nutzer*Innen Einzelfälle, etwa Spastiker, die nicht ganz so eng lenken können, wie andere. Für diesen kleinen Kreis ist jede Polleraufstellung ein Problem.

Weil der zuständige Baudezernent und Oberbürgermeister Emanuel Letz im Urlaub weilt, stellten sich Bürgermeister Thomas Blechschmidt (rechts) und Tiefbauamtsleiter Philipp Geib (Mitte) der Presse – und kritischen Passanten.

Aber ohne Poller würden, wie bisher eben, viele Radfahrende einfach durchrasen und nach dem Motto “der beißt nicht, der will nur spielen”, Fußgänger*Innen verunsichern. Und leider auch gefährden. Eine wichtige Botschaft gab Thomas Blechschmidt den Menschen auf und um die Brücke mit auf den Weg: die Stadt wird künftig erst Pressegespräche führen und informieren. Und erst danach Poller festschrauben. Diese für vernünftige Menschen von Anfang an naheliegende Reihenfolge könnte dann auch dazu führen, dass die städtischen Mitarbeitenden, die städtische Aufträge ausführen, nicht beim Arbeiten beschimpft und bedroht werden. Auch das ist leider im Fall Pouilly-Brücke vorgekommen (weiterer Bericht folgt).