Lothar Bastian stoppt Umlaufverfahren für Ausschuss-Wahl

Der Gesetzestext ist eindeutig. Nur bei “Naturkatastrophen” oder “außergewöhnlichen Notsituationen” dürfen Beschlüsse kommunaler Gremien in einem Umlaufverfahren getroffen werden. Auch wenn Frauen, deren Kajalstift aus der Handtasche entfleucht ist und Männer, deren Lieblingsverein in die Liga eine Stufe tiefer wechseln muss, das anders sehen mögen: 271 Coronainfizierte auf 158.000 Kreiseinwohner*Innen sind weder das eine noch das andere. Demzufolge liegt schon die Grundvoraussetzung für eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren nicht vor.

“Zeitlicher Aufwand” kein gesetzliches Kritikerium

Konkret geht es beim Vorschlag der Stadtverwaltung auch nicht um einen Beschluss, sondern um eine Wahl. Haupt-, Finanz- und Planungsausschuss sollen samt dem Zweckverband Sparkasse neu besetzt werden. Die Oberbürgermeisterin läßt dazu ihr Hauptamt die Behauptung verbreiten: “nach Rücksprache mit der Aufsichtsbehörde ist aktuell eine Ausschusswahl in einem Umlaufbeschluss mit Blick auf den zeitlichen Aufwand zulässig”. Seit dem Ende der SED-Diktatur in Ostdeutschland vor über 30 Jahren hat es das Kritikerium “zeitlicher Aufwand” im Zusammenhang mit Wahlen nicht mehr gegeben.

Anfrage an die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD)

Weil das Grundgesetz natürlich Wahlfreiheit auch hinsichtlich der dazu benötigten Zeit in pragmatisch gesetzten, großzügigen Grenzen garantiert. Dem aufmerksamen Leser und der aufmerksamen Leserin des nachstehend im Wortlaut abgedruckten Gesetzestextes wird auffallen, dass dort der Begriff “zeitlicher Aufwand” gar nicht vorkommt. Aus diesem Grund hat die Redaktion dieser Seite bei der für die Stadt Bad Kreuznach zuständigen Aufsichtsbehörde, das ist die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier, eine Anfrage vorgelegt. Diese war bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. Viel schneller kam die Reaktion des von dieser Seite befragten Fachjuristen:

“Kollegen haben Mosel-Riesling zu sehr zugesprochen”

“Sollte das mit der Zustimmung der Aufsichtsbehörde stimmen, was ich bezweifle, müssen die Kollegen in Trier am Abend zuvor einem guten Mosel-Riesling zu sehr zugesprochen haben”. Und dann die ganz sachliche Feststellung: “Die im § 35 GemO normierten Grundvoraussetzungen für eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren liegen nicht vor. Der Zeitaufwand für eine Wahl war nie und wird nie, solange das Grundgesetz gilt, Kriterium für die Form einer Ausschusswahl sein. Für Wahlen sind Präsenzsitzungen vorgeschrieben. Jede andere Lösung – auch einstimmig praktiziert – ist rechtswidrig”.

Nachhilfestunde für Dr. Kaster-Meurer in Sachen Demokratie

Lothar Bastian, grünes Urgestein im Bad Kreuznacher Stadtrat, ist auf fachjuristische Unterstützung nicht angewiesen. Ihm sagt schon sein politischer Instinkt, dass es nicht richtig sein kann, eine Wahl im Umlaufverfahren durchzuführen. Und weil Bastian ausgebildeter Pädagoge und nicht schreibfaul ist, erteilt er der Oberbürgermeisterin gern eine Nachhilfestunde in Sachen Demokratie:

“Es spricht nichts gegen ein normales Wahlverfahren”

“Freie öffentliche Wahlen und deren Auszählungen sind im Übrigen eines der höchsten demokratischen Güter, die es – auch unter widrigen Umständen – zu erhalten gilt. Da glücklicherweise die Pandemie im Kreis KH deutlich abgeschwächt wurde, spricht nichts mehr gegen ein normales Wahlverfahren in einer Stadtratssitzung”. Und Lothar Bastian erinnert an eine unerfreuliche Tatsache. Die Stadtverwaltung kann online einfach nicht: “Außerdem stellen die von Anfang an bestehenden Schwierigkeiten mit der Technik, die uns zur Verfügung steht, ein grundsätzliches Risiko bei einer online-Wahl dar”. Mit dem Bastian-Brief ist der Umlauf-Versuch noch vor der “Vorabstimmung” gescheitert.

Werden im Hauptamt Briefe von Stadtratsmitgliedern nicht gelesen?

Denn das Gesetz verlangt selbst bei “Naturkatastrophen” oder “außergewöhnlichen Notsituationen” die einstimmige Zustimmung aller Ratsmitglieder. Kurze Erklärung für die im Hauptamt der Stadt bezahlten Mitarbeitenden: Lothar Bastian ist Ratsmitglied. Er hat dem Umlaufverfahren widersprochen. Damit ist es denklogisch und tatsächlich nicht mehr möglich dieses durchzuführen. Ihr könnt den Quatsch also jetzt lassen. Übrigens. Lothar Bastian hatte diese seine Einstellung bereits vor Wochen schriftlich mitgeteilt. Wird im Hauptamt entweder nicht gelesen oder nicht verstanden, was Stadtratsmitglieder offiziell mitteilen?

§ 35 (Öffentlichkeit, Anhörung) Absatz 3 der Gemeindeordnung im Wortlaut:

(3) Bei Naturkatastrophen oder sofern andere außergewöhnliche Notsituationen dies erfordern dürfen Beschlüsse in einem schriftlichen oder elektronischen Umlaufverfahren oder mittels Video- oder Telefonkonferenzen gefasst werden, wenn bei Umlaufverfahren kein Ratsmitglied einem solchen Verfahren widerspricht und bei Video- oder Telefonkonferenzen zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder einem solchen Verfahren zustimmt. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

Der Gemeinderat ruft in seiner nächsten Präsenzsitzung die im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse auf und kann diese aufheben, soweit nicht bereits Rechte Dritter entstanden sind. Bei Video- und Telefonkonferenzen ist der Öffentlichkeit auf elektronischem Weg die Teilnahme zu ermöglichen, sofern keine Gründe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 entgegenstehen. Die Einwohnerinnen und Einwohner sind hierüber in geeigneter Form zu unterrichten.

Der Brief des Stadtratsmitgliedes Lothar Bastian an die Stadtverwaltung im Wortlaut:

“Sehr geehrter Herr Wirz, hiermit widerspreche ich dem Vorschlag der Stadtspitze, die Wahl der Ausschüsse im Umlauf-Verfahren stattfinden zu lassen und bitte um Festsetzung der Wahl in einer normalen Präsenzsitzung. Ich bin Mitbegründer einer Partei, die sich maximale Transparenz aller politischen Abläufe auf die Fahnen geschrieben hatte und war hoch erfreut, dass der Landtag RLP vor einigen Jahren die grundsätzliche Öffentlichkeit kommunaler Gremiensitzungen beschlossen hat. Freie öffentliche Wahlen und deren Auszählungen sind im Übrigen eines der höchsten demokratischen Güter, die es – auch unter widrigen Umständen – zu erhalten gilt.

Da glücklicherweise die Pandemie im Kreis KH deutlich abgeschwächt wurde, spricht nichts mehr gegen ein normales Wahlverfahren in einer Stadtratssitzung. Außerdem stellen die von Anfang an bestehenden Schwierigkeiten mit der Technik, die uns zur Verfügung steht, ein grundsätzliches Risiko bei einer online-Wahl dar, was im schlimmsten Fall zu einer verwaltungsrechtliche Anfechtung führen kann. Mit freundlichem Gruß Lothar-Hans Bastian”