Flucht aus der Verantwortung: SPD boykottiert Finanzausschuß

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Claus Jotzo

Gestern Abend tagte der Finanzausschuß. An einem symbolträchtigen Ort: im Feuerwehrsaal in der Gustav-Pfarrius-Strasse. Der Finanzlage der Stadt und dem Thema durchaus angemessen. Es ging um die Frage, wieviel Geld die Stadt wegen der neuen Finanzvereinbarung mit dem Kreis für das Jugendamt in diesem und in den Folgejahren mehr aufwenden muß (siehe gesonderter Bericht in der heutigen Ausgabe). Nicht beteiligt an der für die Zukunft der Stadt bedeutenden Meinungs- und Willensbildung: die Bad Kreuznacher SPD. Deren vier Ausschußmitglieder blieben dem Termin mit Absicht fern: ein Boykott.

SPD: persönliche Angriffe

In einer kurz vor Sitzungsbeginn von der SPD-Stadtratsfraktion verbreiteten Presseerklärung (Originalwortlaut unten) sagten die Sozialdemokraten die Teilnahme an der Sitzung ab. Dabei geht die SPD auf Konfrontationskurs zu ihrem Genossen Bürgermeister Wolfgang Heinrich (SPD) und allen anderen Stadtratsfraktionen, in dem sie feststellt: “Nach den Erfahrungen der Vergangenheit gehen wir davon aus, dass auch diese Sitzung nicht das Ziel hat, tatsächliche Zahlen zu erörtern und sich mit den Inhalten der Vereinbarung über Finanzausgleichsleistungen des Landkreises Bad Kreuznach an die Stadt politisch auseinander zu setzen, sondern die Oberbürgermeisterin und gewählte Mitglieder des Stadtrates persönlich anzugreifen.“

Auf kreuznachgehoert.de nachhören

Ob das so war, davon kann sich jede Einwohner*In dank kreuznachgehoert.de überzeugen (Link unten). Als Augenzeuge nahezu aller Sitzungen der städtischen Gremien und vor dem Hintergrund einer 15jährigen Erfahrung persönlicher Mitarbeit dort, darf ich feststellen: im Zusammenhang mit Fragen des Jugendamtes hat es – auch im Vergleich zu früheren Zeiten, die ich persönlich miterlebt habe – kaum persönliche Angriffe gegeben. Schon gar nicht aus den Reihen der Fraktionen von CDU, Grünen, FDP-Faire Liste, AfD, Linke und FWG-BüFEP gegen Mitglieder der SPD-Fraktion. Gerade im Punkt Jugendamt standen weitgehend Sach- und Finanzfragen im Vordergrund der Auseinandersetzung (was leider von anderen Themen nicht gesagt werden kann).

Nibelungentreue zur Oberbürgermeisterin

In der Art und Weise, wie sich die SPD-Fraktion mit ihrer Erklärung undifferenziert gegen alle anderen stellt, wird parteitaktisches Mißmanagement deutlich. Und bezogen auf ihre Nibelungentreue zur Oberbürgermeisterin erinnere ich die SPD-Fraktion gern an meinen Kommentar vom 14.1.2019, in dem ich wörtlich “die OBin als Klotz am Bein der SPD” bezeichnet habe. Trotzdem vier Monate später bei der Kommunalwahl genau das eingetreten ist und die SPD bei der Kommunalwahl ein Drittel ihrer Sitze verlor, klammern sich die Sozialdemokraten perspektivlos weiter an die OBin und verkommen so zu einem Meurer-Kaster-Meurer-Wahlverein, der alle Fehlleistungen, Peinlichkeiten und Possen der Oberbürgermeisterin leugnet.

Termin seit Wochen bekannt

In deren Auftrag behauptet die SPD gestern, “dem Wunsch des Finanzausschusses, zu der heutigen Sitzung auch die Oberbürgermeisterin einzuladen, ist Herr Heinrich dann erst gestern Nachmittag mit der Übermittlung der Tagesordnung nachgekommen”. Diese Seite (die natürlich niemand lesen muß, aber fast alle lesen, die sich objektiv informieren möchten) hatte den Termin bereits vor mehr als zwei Wochen, am 7. September, unter der Überschrift “Jugendamt: Sondersitzung des Finanzausschusses am 22. September” angekündigt. Nicht als Folge einer Indiskretion aus dem Hauptamt. Sondern mit Quellenangabe. Nämlich des Ratsinformationssystems.

“Geschmacklosen Selbstdarstellungen”

Dort war der Termin als Mitteilungsvorlage für die turnusmäßige Sitzung des Gremiums unter Tagesordnungspunkt 8.2 angegeben. Wenige Tage später erfolgte dann die Aufnahme der Sitzung in den amtlichen Terminkalender der Stadtseite bad-kreuznach.de. Wenn SPD und Dr. Kaster-Meurer diese Quellen nicht nutzen, sagt das viel aus über deren “Arbeitsweise”. Ihre verquere Denkweise legen die Sozialdemokraten offen, in dem sie sich sieben Wochen (!) nach der denkwürdigen Hauptausschußsitzung am 3.8.2020 von dort angeblich stattgefundenen “geschmacklosen Selbstdarstellungen” distanzieren.

Unfähigkeit zur zukunftsorientierten Gestaltung

Liebe SPD-Fraktion: wenn das alles so schlimm war Anfang August, warum habt ihr das denn in der Sitzung nicht kommentiert? Und warum habt ihr dem heute von euch kritisierten FDP-Antrag, der einstimmig beschlossen wurde, zugestimmt? Diese Form rückwärtsgewandten kleinkarierten Nachkartens entlarvt sich für alle, die die Sachverhalte irgendwann erfahren, als reine Parteitaktik und die Unfähigkeit zur zukunftsorientierten Gestaltung von kommunalpolitischen Lösungen. Die Unehrlichkeit der städtischen SPD in der Jugendamtsfrage legt diese in ihrer Presseerkärung auch in einem weiteren Aspekt offen:

Örtliche Genossen konnten nicht einmal die Mainzer überzeugen

Obwohl das Thema seit mehr als 20 Jahren auf der Tagesordnung städtischer Gremien steht und obwohl der Rat der Stadt am 29.11.2018 einen Abgabebeschluß gefaßt hat, soll nach Einschätzung der SPD JETZT mit dem Land verhandelt werden. Was die Fragen aufwirft: Warum haben die beiden sozialdemokratischen Jugenddezernentinnen Martina Hassel und Dr. Kaster-Meurer das in rund 15 Jahren nicht geschafft mit der sozialdemokratischen Landesregierung? Warum konnte die örtliche SPD von der notwendigen besseren Finanzausstattung nicht einmal die eigenen Parteigenossen in Mainz überzeugen?

Macht sich die SPD überflüssig?

Wenn das vor der Flüchtlingsaufnahme 2015 und vor Corona 2020 nicht möglich war, wer soll der SPD glauben, dass es jetzt unter weitaus schlechteren finanziellen Rahmenbedingungen plötzlich möglich sein soll? Statt das Problem zu lösen, plappert die SPD-Stadtratsfraktion wieder einmal nur ihrer Parteifreundin im Stadthaus hinterher. Gestern boykottierten die Sozialdemokraten durch Nichtteilnahme ihrer gewählten Mitglieder eine Sitzung des Finanzausschusses. Wenn die Einwohner*Innen irgendwann einmal alle Fakten kennen, wird ein solcher Boykott nicht mehr nötig sein. Dann sitzen dort nämlich nicht mehr so viele SPD-Vertreter*Innen, weil sie in den Augen der Wähler*Innen überflüssig geworden sind.

Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:

07.09.20 – “Zukunft Jugendamt: Sondersitzung des Finanzausschusses am 22. September”
03.09.20 – “Jugendhilfeausschuß der Stadt stimmt für Vergleich mit dem Kreis”
03.09.20 – “Rohrbacher (Grüne) und Hassel (SPD) setzen Sondersitzung durch”
04.08.20 – “Hauptausschuß setzt Signal zur Überlastungsanzeige aus dem Jugendamt”
04.08.20 – “Das neue Gutachten zum Jugendamt analysiert eine Gesetzeslücke”
14.01.19 – “Meinung: Kaster-Meurer setzt alles auf eine Karte”

Der Link zum Nachören der Sondersitzung des Finanzausschusses:

https://kreuznachgehoert.de/8-sitzung-des-finanzausschusses-sondersitzung-vom-22-09-2020/

Die gestrige Pressemitteilung der SPD-Stadtratsfraktion im Wortlaut:

“Pressemitteilung zur Sondersitzung des Finanzausschusses am 22.9.2020 Die SPD-Fraktion hat sich in Ihrer gestrigen Sitzung einstimmig dazu entschlossen, nicht an der für heute angesetzten Sondersitzung des Finanzausschusses teilzunehmen. „Nach den Erfahrungen der Vergangenheit gehen wir davon aus, dass auch diese Sitzung nicht das Ziel hat, tatsächliche Zahlen zu erörtern und sich mit den Inhalten der Vereinbarung über Finanzausgleichsleistungen des Landkreises Bad Kreuznach an die Stadt politisch auseinander zu setzen, sondern die Oberbürgermeisterin und gewählte Mitglieder des Stadtrates persönlich anzugreifen“, so die beiden Fraktionsvorsitzenden Dr. Claudia Eider und Holger Grumbach.

„Wir distanzieren uns als SPD-Fraktion von den geschmacklosen Selbstdarstellungen, die sich in der Sondersitzung des Hauptausschusses im August abgespielt hat“. Ausgerechnet Bürgermeister Heinrich und die bürgerliche „Allianz“ aus CDU, FDP, BüFEP und AfD(!) versuchten sich als Retter des Jugendamtes. Bis dato setzten sie sich stets für Budget–Kürzungen im Personalbereich, Befristung von Arbeitsverträgen, Einstellungsstopps und der Abgabe des städtischen Jugendamtes an den Kreis ein. In der Sitzung dann ein politisches Schaulaufen, das im Antrag der FDP gipfelte, so schnell wie möglich die freigewordenen Stellen neu zu besetzen und es da, wo es sinnvoll ist, zu Entfristungen von Arbeitsverträgen kommen soll.

Eine Farce, denn dies war bereits beschlossene Sache – und so hatte es die Leiterin der Personalabteilung Frau Merker den anwesenden Mitgliedern des Ausschusses in der Sitzung kurz zuvor mitgeteilt. Zumal es doch die Freien Demokraten waren, die im Februar noch im Hauptausschuss beantragt hatten, dass es für alle städtischen Bediensteten einen sofortigen Einstellungs-, Beförderungs- und Höhergruppierungsstopp geben soll – was soll man davon halten? Dem Wunsch des Finanzausschusses, zu der heutigen Sitzung auch die Oberbürgermeisterin einzuladen, ist Herr Heinrich dann erst gestern Nachmittag mit der Übermittlung der Tagesordnung nachgekommen.

Zu der Kurzfristigkeit der Einladung passt die Missachtung der Gemeindeordnung und damit der Oberbürgermeisterin durch Herrn Heinrich: Das Einvernehmen zur Tagesordnung gem. § 46 (3) GemO wurde im Vorfeld nicht hergestellt. Der Kreistag hat dem vorgelegten öffentlich-rechtlichen Erstattungsvertrag bereits mit breiter Mehrheit zugestimmt. Sollte der Stadtrat der Vereinbarung nicht zustimmen, wird der Landkreis die Erstattung festlegen und dann steht es dem Stadtrat nur noch frei, gegenden Landkreis zu klagen. Das sollte auch den „Finanztechnikern in der Stadt“, wie Heinz-Martin Schwerbel von der CDU-Kreisfraktion in der Kreistagssitzung den Finanzausschuss bezeichnete, klar sein.

Ob das allerdings für die Stadt ein guter Weg wäre, sei dahin gestellt, denn angesichts der finanziellen Lage des Landkreises wäre der Ausgang einer gerichtlichen Klärung offen. Wer das jetzt immer noch nicht verstanden hat, handelt fahrlässig und zum Nachteil der Stadt. Die betroffenen großen kreisangehörigen Städte sind aufgerufen, gemeinsam für eine bessere finanzielle Ausstattung durch das Land zu kämpfen und damit eine tragfähige Lösung eines adäquaten Angebotes für die Kinder und Jugendlichen in unserer Stadt zu sichern. Für die SPD-Fraktion im Stadtrat Dr. Claudia Eider (Fraktionsvorsitzende) Holger Grumbach (Fraktionsvorsitzender)”