“Ihr denkt nicht quer – ihr denkt verkehrt”

Seit acht Monaten wird samstags am Nachmittag auf und rund um den Kornmarkt gegen die Coronaschutzmaßnahmen demonstriert. Anfangs per Spaziergang. Ohne Parteipolitik, Transparente und Propagandamaterial. Statt dessen mit dem Lied von der Freiheit. Das alles ohne Anmeldung als Demonstration. Dann ein Bruch. Von einem Samstag auf den anderen gab es zwei Gruppen von Spaziergängern. Die eine ohne formale Registrierung. Die andere angemeldet. Mit Versammlungsleitung, Bannern und Werbematerial. Zunächst nur erkennbar an TShirts einzelner Teilnehmer*Innen als “Widerstand 2020”, später ganz offen per Transparent ausgewiesen als “Querdenken”.

Die propagandaarmen Sänger*Innen fanden im Laufe der Wochen immer weniger Publikum. Die Lautsprecher mit Infostand eroberten den Kornmarkt schließlich für sich allein. Bis zum vergangenen Samstag. Da gab es erstmals Konkurrenz von Andersdenkenden. Mit der Stimme von Daniel Rebenich. Nicht immer sachlich (das muß auch nicht sein), aber ohne die bei den Querdenkern beliebten persönlichen Angriffe machte der auch bei den FFF tätige Rebenich per Megaphon klar, dass es eine inhaltliche Alternative zum Querdenken gibt. Wir geben hier gern einige seiner autorisierten Zitate als Denkanstoss weiter:

„Liebe Mitmenschen hier in der Fußgängerzone, hier am Kornmarkt, achten sie bitte auf sich selbst und andere! Dort drüben befinden sich Corona-Leugner*innen, Verschwörungstheoretiker*innen und Rassist*innen, die eine direkte Bedrohung ihrer Gesundheit darstellen. Im Umgang mit ekligen Gesinnungen gilt es Abstand zu halten und Maske zu tragen.”

„Die, wie sie sich dort drüben aufführen und behaupten, sie seien unterdrückt, sind es, die keinen Wert auf die Gesundheit ihrer Mitmenschen legen. Zum Zwecke ihrer Propaganda vergleichen sie sich mit Sophie Scholl oder jüdischen Mitbürger*innen zum Zeitpunkt des Holocausts – Das ist widerwärtig und darf keinen Platz in der Öffentlichkeit haben.”

„An alle, die mit der Querdenker-Bewegung liebäugeln: Es ist nicht zu spät die eigene Meinung zu ändern, es gibt valide Punkte außerhalb deren Ideologie. Machen sie nicht den Fehler und fallen sie auf die Masche von Verschwörungstheoretiker*innen und Neonazis herein: Diese Leute haben bereits zwei Kriege verloren und werden diesen auch verlieren.”

„Sehr gerne wird von diesem Gesocks behauptet, dass es angebliche Vereine wie die ‘Antifa e.V.’ seien, die ihnen gegenüberstünden – Glauben sie mir, wenn ich mir das Hören dieses Schrotts bezahlen lassen könnte, dann wäre ich ein glücklicherer Mensch. Alles, wovon die Verschwörungstheoretiker*innen ablenken wollen, ist, das ihnen vernünftige Menschen mit Courage gegenüberstehen. Wenn sie dies zugeben würden, würden sie selbst merken, wie lächerlich sie sich machen.”

„Niemand von uns findet die Einschnitte ins öffentliche Leben toll oder trägt mit Vergnügen eine Maske. Wir, allerdings, respektieren unsere Mitmenschen genug, es trotzdem zu tun, um deren Gesundheit zu schützen. Sie hingegen sind so schamlos, nicht nur andere Menschen der Gefahr auszusetzen, sondern sind auch noch die ersten, die nach einer Infektion winselnd ins Krankenhaus rennen und die Pflegekräfte strapazieren.”

„Es ist an der Zeit den Corona-Leugner*innen, den Verschwörungstheoretiker*innen und Neonazis auf die Füße zu treten. Das ist unser Ziel, Ziel der linksjugend [‘solid] Bad Kreuznach.”

Persönliche Anmerkung
Von Claus Jotzo

Das Blondchen aus Kassel, das sich erdreistete sich mit Sophie Scholl in einem Atemzug zu erwähnen, hat mich sehr aufgebracht. Von Mitbürger*Innen, die in einem der reichsten und freiesten Länder der Welt und dem besten Deutschland, das es je gab, als Unrechtsstaat, Regime u.ä, sprechen, bin ich tief enttäuscht. Und frage mich, was u.a. jene Landsleute, die Opfer bis hin zu ihrem Leben gebracht haben, um uns die heutige Lebensweise in Frieden und Freiheit zu ermöglichen, angesichts dieser selbstgefälligen Schmarotzer-Rhetorik heute sagen würden.

Ich bin betroffen, dass all das über Monate auf dem Kornmarkt in Bad Kreuznach möglich war, ohne dass eine gesellschaftliche Reaktion erfolgte. Natürlich darf querdenken, wer dies will. Lieber auf dem Kornmarkt, als am Stammtisch oder daheim im stillen Kämmerlein. Aber warum wurden die Querdenker in der Öffentlichkeit bisher nicht gestellt? Warum kein Widerspruch?

Warum keine inhaltliche Auseinandersetzung? Daher bin ich, der ich noch nie der Versuchung widerstehen mußte, Die Linke zu wählen, Daniel Rebenich und der LinksJugend sehr dankbar dafür, dass sie mit ihrer Anwesenheit und ihrem Engagement gezeigt haben: es gibt auch ein anderes Bad Kreuznach. Eines das Farbe bekennt. Und sich für seine Überzeugungen auch engagiert.

Kommentar: wo sind CDU, SPD und Grüne?

Bewertung von
Claus Jotzo

Von den mittlerweile drei mittelgroßen Parteien – allesamt mit Regierungserfahrung – kommen unisono immer wieder Warnungen: vor dem Erstarken der gesellschaftlichen und politischen Ränder zum Beispiel. Vor Verschwörungstheorien. Vor dem Mißbrauch demokratischer Rechte zum Zwecke der Staatszersetzung. Gut gesprochen. Aber wo sind die Taten? Samstagnachmittag vor drei Tagen auf dem Kornmarkt: mal mehr mal weniger Coronaschutzgegner stehen vor einem Stand mit der Aufschrift Querdenken und hören Rednern zu. Da wird auch Bedenkenswertes gesagt.

Aber drumherum viel rhetorischer Müll angehäuft. Immerhin: die Leute krakelen eben nicht mehr nur am Stammtisch. Kein Rückzug ins Private. Im Gegenteil. Sie gehen in die Öffentlichkeit. Stellen sich. Ein Herr aus Waldalgesheim suchte offen Gesprächskontakte. Die fand er aber nur bei Menschen, die sich längst in eine staatskritische Position eingenischt haben. Wo sind die engagierten Mitglieder von CDU, SPD und Grünen, die sich den Demonstranten im Gespräch zuwenden? Warum findet eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den teils abstrusen Tatsachenbehauptungen nicht statt?

Warum lassen die Parteien der selbsterklärten bürgerlichen Mitte einen Teil ihrer Mitmenschen immer weiter ohne jedes Engagement an die Ränder abdriften? Die LinksJugend hat euch am vergangenen Samstag gezeigt, wie es geht. Auch wenn das Virus in sechs Monten kein Thema mehr sein sollte: die Verweigerung politischen und sozialen Engagements aus der politischen Mitte wird Spuren hinterlassen. Möglicherweise nachhaltigere als die Seuche selbst.

Denn die Gegner der Demokratie wissen jetzt: wenn es unbequem wird auf Strassen und Plätzen, dann sind die Anhänger von CDU, SPD und Grünen von der Bildfläche schnell verschwunden. Machen es sich daheim auf der Couch bequem. Lassen den Dingen ihren Lauf. Und überlassen den Ordnungskräften allein den unerfreulichen Teil der Arbeit (Ausnahme: Markus Schlosser, der seinen Leuten und den eingesetzten Polizeikräften durch durchgängige Anwesenheit am vergangenen Samstag den Rücken moralisch stärkte).