Weil die Technik fehlt: Fahrradparkhaus in den ersten Monaten kostenlos

Ist es nur eine weitere unfassbare Panne? Oder setzt sich hier ein System aus Unfähigkeit, Verschwendung und Täuschung fort? Erst die Verdopplung der Baukosten. Die dazu führte, dass in breiten Kreisen der Bevölkerung der Mobil- und Infopunkt (Mobilitätsstation) am Bad Kreuznacher Bahnhof “Fahrradhotel” genannt wird. Dann das Totalversagen der Verwaltung bei der Beschaffung der nötigen Betriebstechnik. Und als Zumutung obendrauf: die Nichtinformation der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker und die Desinformation der Öffentlichkeit.

Erst vor vier Tagen, am 27. November 2020, ließ Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer eine Pressemitteilung verbreiten. Unter der Überschrift “Neuer Mobil- und Infopunkt am Bahnhof geht am 1. Dezember in Betrieb” waren allerlei Behauptungen aufgelistet. So heisst es da: “das Fahrradparkhaus im ersten Stock … geht pünktlich am Dienstag, 1. Dezember, in Betrieb”. Dann folgte eine Kombination aus Schwärmerei und Tatsachenbehauptungen: “Kernstück des Mobil- und Infopunkts (MIP) ist die zirka 820 Quadratmeter große, videoüberwachte Radparkfläche, die durch eine Rampe erreichbar ist.

Hier sollen ab heute Fahrräder stehen.

Radparker können wählen zwischen Parkflächen zum Basistarif von 50 Cent pro Tag und Parkflächen für VIB („Very Important Bikes“) zu einem Tarif von 1 Euro pro Tag. Monatskarten gibt es zwischen 8 beziehungsweise 15 Euro und Jahreskarten für 80 beziehungsweise 150 Euro auf Anfrage direkt im MIP. Der extra abgetrennte VIB-Bereich ist durch eine Magnetkarte zugänglich und bietet hochwertigen Fahrrädern eine doppelte Absicherung. 30 Schließfächer verteilt in den Treppenhäusern des Radparkhauses ermöglichen den Nutzern zu dem temporäre Gepäckaufbewahrung inklusive Lademöglichkeit für e-Bikes”.

Blick in den “VIB”-Bereich, in dem immerhin Ständer zur Verfügung stehen.

Wahr an dieser Darstellung ist lediglich, dass es den (in Formgebung, Fassaden- und Innenausbaugestaltung unzweideutig als sehr gelungen einzuschätzenden) Neubau am Bahnhof gibt. Die Angaben zur entgeltlichen Nutzung der Fahrradgarage sind frei erfunden. Wie auch die Beschreibung einer “Gepäckaufbewahrung”. Es existieren lediglich die beschriebene Rampe, ein (schön anzuschauender) großer Abstellplatz, ein Sicherheit suggerierender Käfigbereich und jede Menge kahle Betonwände, an denen man Gepäckaufbewahrungsmöglichkeiten befestigen könnte.

Die Rampe ist für den Begegnungsverkehr großzügig gestaltet.

Zwar ist in dem Gebäude ein Videoüberwachungssytsem installiert. Aber der Ein- und Ausgang ist – vollkommen anders als geplant – absolut ungesichert. Jede(r) kann hier ohne Kontrollen rein- und rauslaufen, so dass der angekündigte Schutzzweck ausserhalb des “VIB”-Käfigs gegen null tendiert. Natürlich ist die Stadt “anständig” genug, niemanden dafür etwas zahlen zu lassen. Aus diesem Grund ist der bereits aufgestellte Kassenautomat schamhaft unter einem Pappkarton versteckt. Grund für die unfassbare Fehlleistung:

Angeblich wegen Corona kann der Hersteller die die Ein- und Ausfahrt sichernde Technik erst im März oder April kommenden Jahres liefern. Dieser Sachverhalt ist im Stadtbauamt bereits längere Zeit bekannt. Trotzdem wurde von der Stadtverwaltung noch vor vier Tagen die eingangs zitierte Presseerklärung verschickt, die erweislich unwahre Behauptungen enthält. Fast noch schlimmer als die Täuschung der Öffentlichkeit und des damit verbundenen weiteren Vertrauensverlustes in die öffentliche Verwaltung, ist die Geringschätzung der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker, die sich in deren unterlassener Information ausdrückt.

In der Sitzung des Planungsausschusses Mitte Juni 2020 machte das Stadtbauamt vollmundige Versprechungen zur Inbetriebnahme der Mobilitätsstation. Demnach sollte die Zutrittskontrolle bis zum 30. 9. 2020 eingebaut sein. Es wurden Bauzeitpläne und Fertigstellungsübersichten vorgelegt, mit der die Verärgerung bei den Mandatsträgern bezüglich der Kostenverdopplung besänftigt und ein schnelles gutes Ende des Bauvorhabens zugesichert wurden. Eine wichtige Rolle spielte dabei die von Stadtbauamtsleiter Klaus Christ vorgelegte Aufstellung der erwarteten Einnahmen auch aus der Nutzung der Fahrradgarage.

Die von der Redaktion dieser Seite gestern befragten Stadtrats- und Ausschußmitglieder gaben ausnahmslos an, von der zusätzlichen Verzögerung und den über Monate nicht zu realisierenden Parkgebühren nichts zu wissen. Ein Stadtratsmitglied, das erst nach Vorlage der gestern gefertigten Bilder glauben wollte, dass das am 27.11.20 per Presseerklärung verbreitete Geschwafel von Gepäckaufbewahrung und Radparken für 50 Cent reiner Schwindel ist, hat bereits rechtliche Schritte gegen “Lügner, Betrüger und Gangster bei der Stadtverwaltung” angekündigt. Da die Ein- und Ausgangskontrolltechnik fehlt, wird das Fahrradparkhaus in den ersten Monaten für die Nutzer*Innen kostenlos betrieben.

Wind- und wettersicher würden die Räder da immerhin stehen. Wind und Wetter waren aber für die dutzenden von Freiluft-Radparkern, die ihre Drahtesel rund um den Bahnhof tagtäglich abstellen und für die die Station mit über 3,5 Millionen Euro Steuergeld gebaut wurde, nie das entscheidende Problem. Das bestand von je her in der Kriminalität, der die abgestellten Zweiräder regelmäßig zum Opfer fallen. Von Diebstahl, Teildemontage und Sachbeschädigung können die fahrradnutzenden Pendler*Innen ein Lied singen. Die Fahrradgarage sollte also vor allem eines bringen: Sicherheit. Und genau die gibt es jetzt erst mal nicht.

Meinung: dreiste Lüge – läßt sich der Stadtrat das bieten?

Bewertung von
Claus Jotzo

Die FFF-Fraktion (FDP, Faire Liste, Freie Wähler) hatte ein gutes Näschen. Nachdem die Stadtverwaltung die offizielle Einweihungsfeier für die Mobilitätsstation “wegen der aktuellen Corona-Situation” abgesagt hatte, lud diese für heute um 11 Uhr zu einem Vor-Ort-Termin ein. Die versammelten Stadtratsmitglieder können dann gleich vor Ort in Augenschein nehmen, wie es um die Tatsachen steht, die die Stadtverwaltung noch vor vier Tagen für heute ankündigte – wohl wissend, dass es diese nicht geben wird: kein entgeltliches Fahrradparken, keine Gepäckaufbewahrung pp.

Nicht einmal die Aussenanlagen sind fertig

Nicht einmal die für den 13. November versprochene Herstellung der Aussenanlagen wurde geschafft. Mit der Presseerklärung vom 27.11.2020 hat die Stadtverwaltung Öffentlichkeit und ehrenamtliche Kommunalpolitiker dreist angelogen. Mit der über vier Monate unterlassenen Informationen zur Nichteinhaltung des im Juni vollmundig verkündeten Bauzeitplanes liegt schlicht eine Verarschung der ehrenamtlichen Verantwortungsträger vor. Bisher hat sich deren Mehrzahl das immer wieder bieten lassen.

Lügenerklärung vom 27.11.2020

Um als Gegenleistung da mal ein Häppchen abzugreifen oder für sich und andere einen Vorteil herauszuholen. Das Vorgehen der Stadtverwaltung in Sachen Mobilitätsstation, von der ersten Präsentation der Idee mit dem Kostenhinweis auf einen Standanteil von nur “rund 200.000 Euro” bis zur Lügenerklärung vom 27.11.2020 treibt das Fehlverhalten der Stadtverwaltung auf die Spitze. Die Stadtrats- und Ausschußmitglieder müssen sich jetzt entscheiden: ob sie Teil eines verlogenen Versager-Systems sein wollen. Oder endlich Vertreter*Innen der Einwohnerschaft und deren Interessen.

Die Pressemitteilung der Stadtverwaltung Nr. 135/2020 vom 27.11.2020 im Wortlaut:

An alle Medienvertreter: Neuer Mobil- und Infopunkt am Bahnhof geht am 1. Dezember in Betrieb

Fast genau zwei Jahre nach dem Spatenstich ist der Mobil- und Infopunkt am Bad Kreuznacher Bahnhof so gut wie fertiggestellt. Das Fahrradparkhaus im ersten Stock, die Radwerkstatt, das e-Carsharing, die Mobilitätsberatung und der e-Bike-Erlebnis-Store, die alle im Erdgeschoss des Gebäudes untergebracht sind, gehen pünktlich am Dienstag, 1. Dezember, in Betrieb. Noch im Bau ist die barrierefreie Rampe zum Fußgängerweg, die aber auch in Kürze fertiggestellt sein wird. Die geplante offizielle Einweihungsfeier muss wegen der aktuellen Corona-Situationleider abgesagt werden und soll, wenn möglich, im Frühjahr nachgeholt werden.

Die für Rheinland-Pfalz erste und einmalige Mobilitätsstation verknüpft für Reisende und Pendler verschiedene Verkehrsmittel unter einem Dach und schafft so weitere Anreize für den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad, e-Bike, den ÖPNV und Zugverkehr. Kernstück des Mobil- und Infopunkts (MIP) ist die zirka 820 Quadratmeter große, videoüberwachte Radparkfläche, die durch eine Rampe erreichbar ist. Radparker können wählen zwischen Parkflächen zum Basistarif von 50 Cent pro Tag und Parkflächen für VIB („Very Important Bikes“) zu einem Tarif von 1 Euro pro Tag. Monatskarten gibt es zwischen 8 beziehungsweise 15 Euro und Jahreskarten für 80 beziehungsweise 150 Euro auf Anfrage direkt im MIP.

Der extra abgetrennte VIB-Bereich ist durch eine Magnetkarte zugänglich und bietet hochwertigen Fahrrädern eine doppelte Absicherung. 30 Schließfächer verteilt in den Treppenhäusern des Radparkhauses ermöglichen den Nutzern zudem temporäre Gepäckaufbewahrung inklusive Lademöglichkeit für e-Bikes. Geöffnet ist das Radparkhaus in den Wintermonaten von montags bis freitags, 6 bis 20 Uhr, und ab März 2021 täglich rund um die Uhr, 24 Stunden. Neben dem Fahrradparkhaus bietet der Mobil- und Infopunkt verschiedene Dienstleistungsangebote für die Nutzerinnen und Nutzer.

Im Erdgeschoss betreibt die Stadt ein Service- und Kundencenter mit einer Infotheke, wo sich Interessierte bei einem städtischen Ansprechpartner über das Radparkhaus, Mobilitätsangebote und den Radverleih informieren können. Das Kunden- und Servicecenter ist zunächst von Montag bis Donnerstag, 8 bis 16 Uhr, und freitags von 8 bis 14 Uhr geöffnet. Ab April können hier außerdem verschiedene E-Bikes, drei E-Lastenräder unterschiedlicher Größe und eine E-Rikscha für Freizeittouren, Shuttle-Services, Hochzeiten und andere Veranstaltungen ausgeliehen werden.

Auch ein Elektro-Auto der Stadtwerke (Nahemobil), das vorab online gebucht werden kann, steht am MIP zur Ausleihe bereit. Darüber hinaus befindet sich im Mobil- und Infopunkt auch eine Fahrradwerkstatt und ein e-Bike-Erlebnis-Store der Firma Ok move, wo hochwertige E-Bikes zum Kauf angeboten werden. Ein Pausenraum für die Busfahrer der Stadtbus GmbH, nutzbar ab 1. Dezember, und eine behindertengerechte Toilette runden das Angebot ab. „Mit seinem vielfältigen Dienstleistungsangebot moviert der MIP hoffentlich viele Bürgerinnen und Bürger dazu, sich auf andere Weise in unserer Stadt fortzubewegen als mit dem eigenen Auto“, freut sich Dr. Heike Kaster-Meurer über die Eröffnung des Bad Kreuznacher Zukunftsbaus.

Die Oberbürgermeisterin freut sich auch über das große Interesse, dass das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium an dem Modellprojekt signalisiert und darüber, dass der MIP bereits Aufnahme in ein Forschungsprojekt des Wuppertal-Instituts für Klima,Umwelt und Energie gefunden hat. Mit dem zukunftsweisenden Gebäude möchte die Stadt das innerstädtische Straßennetz entlasten, den klimaschädlichen CO2-Ausstoß reduzieren und langfristigdie Lebensqualität in Bad Kreuznach verbessern.

Text: Stadtverwaltung Bad Kreuznach