Bewertung von
Claus Jotzo
Mit ihrer schnellen und klaren Aussage hat die grüne Fraktionsführung die örtliche Ökopartei samt Stadtratsgruppe aus der Schußlinie der politischen Gegner gerückt (diese Seite berichtete). Für Annette Thiergarten persönlich gilt das allerdings nicht. Deren öffentliche Erklärung wird von nahezu allen betroffenen politischen Gruppen mehr als Rechtfertigung denn als ehrliche Entschuldigung bewertet. Während sich Andrea Manz und Hermann Bläsius klar und unmißverständlich von der Thiergarten-Wortwahl distanzieren, unternimmt diese in den Augen der politischen Mitbewerber den Versuch, ihre Gesamtdarstellung zu verharmlosen und auf die AfD zu reduzieren.
Abgabe des Jugendamtes eine Gefahr für die Demokratie?
Fakt ist aber, dass sie von “Androhungen des Kämmerers” sprach. Und sinngemäß die Entscheidung für die Abgabe des Jugendamtes als Gefahr für die Demokratie darstellte. Mehreren Lesern unserer Berichterstattung ist aufgefallen, dass Annette Thiergarten ihren Fehler tatsächlich auf die Verwendung des “Wörtchens” BEZIEHUNGSWEISE reduziert sehen möchte. Thiergarten wörtlich: “dabei habe ich dann missverständlich formuliert und durch das Wörtchen „beziehungsweise“ eine Verbindung hergestellt, wo keine sein sollte”. Wenn man aus der Thiergarten-Aussage vom Mittwoch das Wort “beziehungsweise” streicht (um damit die ungewollte Beziehung zu extrahieren), lautet die Thiergarten-Aussage:
“Entschuldigung” macht es eher schlimmer
“Die konservativen Kräfte möchten zumindest bei uns das Jugendamt an den Kreis abgeben”, obwohl Sozialwissenschaftler davon abgeraten haben. “Ich sehe das als Gefahr für die Demokratie, weil die konservativen Kräfte, ich nenne sie nur noch alternative Faschisten Deutschlands, die auch bei uns im Parlament sitzen, die benutzen das natürlich, um damit Politik zu machen und darzustellen wie unfähig der Staat ist und die Privaten können das angeblich alles viel besser”. Annette Thiergarten wiederholt also mit ihrer “Entschuldigung” ihre Kernaussagen. CDU, FDP, Faire Liste, Freie Wähler, FWG und BüFEP wissen jetzt lediglich, dass sie nicht als “alternative Faschisten” bezeichnet werden sollten.
Keine Faschisten im Stadtrat
Diese abwegige Einstufung hat allerdings lediglich Fragen betreffend das politische Weltbild von Annette Thiergarten aufgeworfen. Denn die Mandatsträger dieser Parteien und Listen fühlten sich unter dieser Etikettierung nicht angesprochen. Sie sind zudem vielen Einwohner*Innen persönlich bekannt. Die daher wissen, dass es sich nicht um Faschisten handelt. An der weitaus schwerwiegenderen Aussage, in einer rechtsstaatlich einwandfreien Forderung nach einer verwaltungsmäßigen Neuordnung “eine Gefahr für die Demokratie” zu erkennen – und das auch noch bundesweit herauszuposaunen – hält Annette Thiergarten fest.
FDP denkt über Ausschluß nach
Auf diesem Niveau möchten sich die von Thiergarten angesprochenen “konservativen Kräfte” künftig nicht mehr konfrontieren lassen. Innerhalb der FDP wurden sogar Überlegungen laut, Annette Thiergarten aus dem Stadtrat auszuschließen. Bei den Liberalen bezieht man sich auf § 31 der Gemeindeordnung (“Ausschluss aus dem Gemeinderat”). Dort heisst es: “Wer durch Wort oder Tat die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung für Rheinland-Pfalz bekämpft, ist der Stellung eines Ratsmitglieds unwürdig”. In diesem Fällen hat der Stadtrat über den Ausschluss zu beschließen.
Thiergartens Uneinsichtigkeit
Ein entsprechender Beschluß muß innerhalb eines Monats, nachdem der Stadtrat von dem Vorgang Kenntnis erhalten hat, gefasst werden. Juristisch dürfte ein entsprechender Beschluß kaum Aussicht auf Bestand vor Gericht haben. Den Mitgliedern der grünen Partei sollte allerdings zu denken geben, dass ihre sonst eher behäbigen politischen Mitbewerber so aufgebracht sind, dass derartige Überlegungen überhaupt angestellt werden. Auf Unverständnis in den von Thiergarten angesprochenen Listen und Parteien stößt auch deren Uneinsichtigkeit hinsichtlich des Ortes der entsprechenden Aussagen.
“Sehen wir uns an und den Menschen im Gegenüber”
“Wenn wir im Ausschuß miteinander reden, dann sehen wir uns – ganz egal was gesagt wird – an und den Menschen im Gegenüber. Deshalb geht es auch nach harten Worten immer irgendwie weiter. Anonym am Telefon vollkommen Fremden nur im Sinne politischer Agitation so etwas zu sagen, hat einfach eine ganz andere Qualität. Wenn Frau Thiergarten das – anders als ihre Parteifreunde – nicht einsehen kann, wird das nichts mehr mit einer Zusammenarbeit”, stellt ein Stadtratsmitglied, das für seine sachlichen Beiträge bekannt ist, im Hintergrundgespräch mit der Redaktion dieser Seite klar. Und das Mitglied einer anderen Fraktion formuliert:
“Sonst wird sie unter “beziehungsweise” abgebucht”
“Wenn Frau Thiergarten künftig noch als Gesprächspartnerin ernst genommen werden möchte, muß da mehr kommen. Sonst wird sie unter “beziehungsweise” abgebucht und sitzt in den Gremien halt noch dreieinhalb Jahre ab”. Hinter den Kulissen wurden gestern auch frühere Thiergarten-Aussagen zitiert, die von mehreren Mandatsträgern als “grenzwertig” und “schwer erträglich” eingestuft wurden. So fragte Annette Tiergarten in der von Bürgermeister Heinrich geleiteten Hauptausschußsitzung zur Überlastungsanzeige aus dem Jugendamt am 3.8.2020, ob dieser Probleme mit Frauen hätte und schilderte ihren Eindruck benachteiligt zu werden, weil sie eine Frau ist. Damals lächelte Heinrich den rhetorischen Querschläger souverän weg.
Was bedeutet “alleinerziehend”?
Mehrere Zuhörer*Innen fragten anschließend, welche Probleme Annette Thiergarten sonst noch hat. Auf diese hatte Thiergarten ebenfalls in öffentlicher Gremiensitzung ihre Kolleg*Innen hingewiesen, in dem sie ausführte, als “alleinerziehende Mutter” für dies und jenes eben keine Zeit zu haben. Gemäß Wikipedia definiert “alleinerziehend” eine “Person, die ohne Hilfe einer anderen erwachsenen Person mindestens ein Kind unter 18 Jahren großzieht. Man spricht auch von Ein-Eltern-Familien”. “Trifft das denn zu?” hat uns dazu ein Stadtratsmitglied unter Hinweis auf persönliche Erkenntnisse angefragt. Ergänzend haben uns gleich zwei Leserinnen an unsere eigene Berichterstattung erinnert.
Thiergarten informierte nicht über Einstellung
Am 1. August 2020 berichtete diese Seite unter der Überschrift “Sabotage an Fahrrädern von OBin und Ratsmitglied: Ermittlungen eingestellt”. In der Meldung teilten wir aufgrund eigener Recherchen exklusiv mit: “wie die für den Fall zuständige Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach auf Anfrage dieser Seite mitteilte, konnte der “zweifelsfreie Nachweis von Manipulationen im Zuge der Ermittlungen nicht erbracht werden”. Die von dieser Seite aufgeworfene Frage “nach einem möglichen Tatort stellt sich damit nicht mehr”. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin die Ermittlungen eingestellt. Weder die Stadtverwaltung noch Annette Thiergarten hatten über dieses Ermittlungsergebnis die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt.
“Da sucht ein Mensch Aufmerksamkeit”
Dem SWR hatte die Polizei vor rund einem Jahr bestätigt, dass es Annette Thiergarten persönlich war, die die Anzeige erstattet und auch die Manipulation am Fahrrad der OB gemeldet hatte. Beide Anruferinnen sagten uns dazu fast wortgleich: “da sucht ein Mensch Aufmerksamkeit”. Ich antwortete – im ersten Gespräch spontan, beim zweiten im Brustton der Überzeugung: “das soll sie bitte sehr gern”. Aber ohne den Versuch der politischen Kriminalisierung derer, die bei Sachfragen anderer Meinung sind. Wer das Jugendamt von der Stadt an den Kreis abgeben möchte, gefährdet die Demokratie ebensowenig, wie eine Person, die für den Beschluß später kaum genutzter Ferien-Spielstrassen eine demokratische Mehrheit findet.
Churchills legendäres Zitat vom 11. November 1947 ist aktuell wie nie
Wer zwar das eine den anderen zumutet, aber das andere nicht ertragen zu können glaubt, der muß sich fragen, ob er-sie-es die Bedeutung von Demokratie wirklich verinnerlicht hat. Und sollte zur Buße 100 Mal das Churchill-Zitat abschreiben: “[No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that] democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.” (Churchill am 11. November 1947 vor dem britischen Unterhaus). Denn die Intelligenteren unter uns haben erkannt: besser nur die zweit- oder drittbesten Lösungen auf breiter Basis, als durch das Diktat eines grünen, brauen, roten oder sonst wie eingefärbten Herrenmenschen die angeblich “optimalen”.
Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:
02.10.20 – “Grüne Stadtratsfraktion distanziert sich von Thiergarten-Aussagen”
02.10.20 – “Annette Thiergarten entschuldigt sich “für sehr missverständliche Äußerung”
01.10.20 – “Annette Thiergarten im Deutschlandfunk: “alternative Faschisten im Stadtrat”