Messerstecher von der Roxheimer Kirmes wird durchs Jugendamt betreut

Wer zum Tatzeitpunkt noch nicht 14 Jahre alt ist, kann vom Staat strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Das führt dazu, dass selbst von 12 oder 13jährigen ausgeführte Tötungsdelikte straffrei bleiben. Von der Alltagskriminalität mal ganz abgesehen. Für Täter*Innen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren (“Jugendliche”) und Heranwachsende (im Alter zwischen 18 und 21 Jahren) gilt das Jugendgerichtsgesetz (JGG). Bei dem steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. So wie es eine immer lauter werden Kritik an der vollkommenen Strafunmündigkeit von 12 und 13jährigen gibt, wird auch die Anwendung des Jugendstrafrechtes für Volljährige immer wieder negativ bewertet.

Denn mit dem Hinweis auf Entwicklungsstörungen und -nachteile kommen dadurch Täter*Innen, denen Stimme etwa bei allgemeinen Wahlen trotzdem voll zählt, um ernsthafte Strafen herum. Bürokratisch wird die “Jugendhilfe im Strafverfahren (JUHIS)” von den für den Wohnsitz der Jugendlichen zuständigen Jugendämter abgewickelt. Die amtliche Definition für diese Fälle ist: “die JUHIS ist an allen Strafverfahren gegen Jugendliche (14-18 Jahre) und Heranwachsende (18-21 Jahre) beteiligt. Sie berät, begleitet und betreut die jungen Menschen während des gesamten Strafverfahrens.

Sie erstellt einen Bericht an das Gericht und die Staatsanwaltschaft, in dem die Entwicklung, die Persönlichkeit und das soziale Umfeld des Beschuldigten dargestellt werden. Bei Straftaten von strafunmündigen Kindern (unter 14 Jahren) wird das Jugendamt von der Polizei und der Staatsanwaltschaft informiert und macht ein Beratungsangebot an die Familien”. Das läuft praktisch so ab: “die jungen Menschen (bei Minderjährigen auch die Eltern) werden zu Gesprächen ins Jugendamt eingeladen. Es wird geprüft, welche richterlichen Auflagen und Weisungen pädagogisch sinnvoll sind und ob Jugendhilfemaßnahmen (z.B. Antiaggressionstraining, Lösungsorientiertes Training) erforderlich sind.

Außerdem kann bei bestimmten Straftaten oder Wiederholungstätern ein Jugendarrest oder eine Jugendstrafe (mit oder ohne Bewährung) vorgeschlagen werden”. Das Ziel dieser Betreuung ist “die Verhinderung neuer Straftaten”. Die Jugendhilfe im Strafverfahren nimmt auch an den Hauptverhandlungsterminen bei den Gerichten teil. Der 15jährige, der auf der Roxheimer Kerb am 30.9.2023 als Messerstecher auffällig wurde, stammt aus dem Kreis Alzey-Worms. Die Pressesprecherin der dortigen Kreisverwaltung, Simone Stier, hat auf Anfrage der Redaktion dieser Seite mitgeteilt:

Das dortige Kreisjugendamt hat “aufgrund der uns vorliegenden Informationen aus dem Polizeibericht im Rahmen der üblichen Vorgehensweise der Jugendhilfe im Strafverfahren (JuHiS) Kontakt zu dem Jugendlichen aufgenommen”. Das weitere Vorgehen des Jugendamtes werde sich nach den Angaben des Berichtes, den die Staatsanwaltschaft Mainz übermitteln wird, richten. “Weitere Informationen zur Sache können wir aufgrund des Schutzes der persönlichen Daten nicht mitteilen”, stellt die Kreisverwaltung abschliessend fest.

Angesichts einer solchen Bluttat sind die Menschen, das zeigen vor allem die bei uns eingegangen Anfragen und Kommentare, wesentlich mehr als sonst bereit, über Systemfehler nachzudenken. Wo könnten in diesem Fall Mängel im System vorliegen? Eine Antwort könnte folgende Tatsache liefern: mit der Begründung, der Täter sei Jugendlicher, wurden der Redaktion dieser Seite zunächst Informationen verwehrt. Erst die Einschaltung eines Rechtsanwaltes führte dazu, dass dem immerhin grundgesetzlich (!) und durch unzählige BGH- und Bundesverfassungsgerichts-Urteile geschützten Informationsanspruch der Presse entsprochen wurde.

Bis heute hat die Redaktion dieser Seite von keiner Seite, auch keiner Behörde, auch nur die geringste Information erhalten, wie den Opfern der Tat geholfen wird. Der Tatverdächtige wird statt dessen aufwändig betreut. Die Tatsache, dass heutzutage zu einer Dorf-Kirmes Gäste überregional über Landkreisgrenzen hinweg kommen, ist in den aktuellen Einschätzungen für Veranstaltungen dieser Art an keiner Stelle berücksichtigt. Die Gefahrenbetrachtung und Genehmigung für derartige Veranstaltungen läuft im Prinzip noch immer so ab, wie in der Vor-Internet-Zeit.

Eine Dorfkirmes wird als örtliches Ereignis abgetan. Abend des 30.9.2023 befanden sich – wenn auch zeitlich versetzt – allerdings mehr Menschen auf der Kirmes, als in Roxheim leben. Der Sicherheitsdienst erklärte unserem Redakteur vor Ort wörtlich: für alle Vorgänge ausserhalb des Festgeländes sei er nicht zuständig. Auf der Rüdesheimer Strasse in Roxheim, dem südlich ans Kirmesgelände angrenzenden Kinderspielplatz und anderen Flächen befanden sich zu diesem Zeitpunkt hunderte von Menschen. Finde die Fehler.

Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:

05.10.2023 – “Messer gefunden – Staatsanwaltschaft nennt Fakten zur Bluttat auf der Roxheimer Kirmes”
03.10.2023 – “Messerstecher aufgrund fehlender Haftgründe freigelassen”
01.10.2023 – “Bluttat auf der Roxheimer Kirmes”