Stadtrat lehnt Strassen-Anbindung aus Hargesheim am Kreisel Hungriger Wolf ab

Beobachtet und kommentiert von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Der Oberbürgermeister hatte das Ergebnis der Abstimmung geahnt. Und wollte den Punkt daher von der Tagesordnung absetzen. Um mehr Zeit für Überzeugungsarbeit im Sinne des Verwaltungsvorschlages zu haben. Obwohl das Thema nicht neu ist. Im Gegenteil. Seit Jahrzehnten wünscht man sich in Hargesheim eine Ostanbindung an die K 49. Weil die den lästigen Umweg über die L 236 bzw die B 41 deutlich verkürzen würde. Den haben jene, die in den Hargesheimer Neubaugebieten – auch wegen der schlechten Anbindung – günstig Baugrundstücke gekauft haben, zwar bei der notariellen Unterschrift akzeptiert.

Aber als Bonus wurde von der Abkürzung immer geträumt. Natürlich wäre es in all diesen Jahren auch möglich gewesen eine andere Trasse zu bauen. Mehr nördlich. Da hätte es die Zustimmung der Stadt nie gebraucht. Aber diese Variante hätte den Eigentümern der dortigen Grundstücke die “fünfte Fruchtfolge” verhagelt. Immerhin war dort, wo man schon vor 30 Jahren eine Entlastungstrasse hätte bauen können, bis zuletzt ein weiteres Hargesheimer Neubaugebiet mit bis zu 190 Einheiten geplant. Diese Versiegelungs-Orgie wurde auf zuletzt 40 Einheiten eingedampft. Dort wäre jetzt also Platz für eine neue Strasse.

Auf dem Papier. Als Argument für die Ost-Trasse wird die Belastung durch den Verkehr von und zur Alfred-Delp-Schule angeführt. Nicht in den schriftlichen Unterlagen der Stadt. Denn dann könnte man sich ja rational mit der Frage auseinandersetzen, was beim Bau der Schule alles versprochen wurde. Vor allem wie gering die Verkehrsbelastung ausfallen würde. Nein, dieses Argument wurde lediglich in der mündlichen Stadtratsdiskussion verwendet. Wobei die Gegner der Ostanbindung einen mittlerweile sogar von der Deutschen Verkehrswacht verwendeten Kampfbegriff einbringen konnten:

Elterntaxis. Also das allein auf die eigenen Nachkommen konzentierte Bedürfnis vieler Eltern, diese – zum Schutz vor den Eltern, die allein zum Zwecke des Schutzes der eigenen Nachkommen vor anderen, jeweils eigene Kinder schützenden Eltern – am liebsten bis ins Klassenzimmer zu fahren. Was an konstruktionstechnischen Gründen (sowohl der meisten Schulen als auch fast aller Autos) scheitert. So dass die allermeisten Schutzfahrten samt Trennungsdrama am Schulhof enden. Weil Unterrichtsbeginn und – ende für viele Schüler*Innen zeitgleich liegen, führt das vor den Schulen zu einem Chaos. An dem sich natürlich nichts ändert, nur weil Zu- und Abfahrt zu diesem Drama durch neue Strassen verkürzt werden.

Um diese Diskussion zu vermeiden, ließ OB Letz bei der Beschlussfassung über die Tagesordnung darüber abstimmen, ob der Tagesordnungspunkt auf der Tagesordnung bleibt. Schon diese Abstimmung fiel deutlich aus: 19 Stadtratsmitglieder stimmten für die Behandlung der Vorlage, nur neun stimmten mit dem OB dagegen. Vier enthielten sich der Stimme. Vor diesem ersten Stadtratsvotum warb Letz für die Absetzung auch mit dem Hinweis auf das Ergebnis einer Verkehrszählung. Deren Zahlen habe der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Rüdesheim der Stadt erst am Stadtrats-Sitzungstag vorgetragen. Letz sprach von “Daten und Fakten, die vorliegen”.

Allerdings benannte er diese nicht. Auch eine Tischvorlage, ein von der Stadtverwaltung häufig geübtes Vorgehen, gab es gestern dazu nicht. Statt dessen sprach sich der OB für die Vertagung des Themas aus, um “inhaltlich auch noch mehr vortragen zu können”. Klaren Widerspruch zu dieser Vorgehensweise gabs von Mirko Helmut Kohl (CDU). Der ist nicht nur Stadtratsmitglied, sondern auch Winzenheimer Ortsvorsteher. Und zeigte sich überascht, dass es nur wenige Tage nach der – datenfreien – Beratung im Planungsausschuss plötzlich Ergebnisse einer Verkehrszählung gibt: “das kommt mir komisch vor”.

Um dann auf die entscheidende Frage zuzuspitzen: “wollen wir mehr Verkehr im Stadtgebiet haben oder nicht?” Letz antwortete, dass es eine Verkehrszählung gab und ein Gutachten des Landesbetriebes Mobilität (LBM). Und fragte Kohl: “woher wollen Sie wissen, dass es mehr Verkehr gibt? Ich weiß es nicht. Das Ergebnis liegt erst seit gestern vor.” Jürgen Locher (Linke) ließ sich durch die schlichte Behauptung von nicht offengelegten Daten nicht ablenken: “ich bin dafür, dass das auf der Tagesordnung bleibt. Was ist denn das für eine Arbeitsweise? Das ist Dilletantismus pur!” Gegen diesen Vorwurf verwahrte sich der OB mit der Behauptung, Locher sei fast schon beleidigend unterwegs.

Norbert Welschbach (CDU) aus Bad Münster unterstützte den Oberbürgermeister mit der Aussage, “wir sollen nicht auf einer Basis entscheiden, die sich nach vielleicht als falsch darstellt”. Hermann Holste (Grüne) schloss sich Kohl und Locher an: “bisher waren die Fakten doch alle klar. Insofern muss ich die Verwaltung auch rügen. Dann haben Sie uns bisher mit Sachen gefüttert, die nicht in Ordnung waren”. Rund eine halbe Stunde später prallten dann die sehr gegensätzlichen Positionen ausführlicher aufeinander. Zunächst stellte OB Letz klar, dass die neue Strasse “trotzdem gemacht” wird, “nur in einem anderen Winkel” angeschlossen.

Zudem bestehe eine “zweite Option weiter in Richtung Guldental”. Letz stellte fest: “mir liegt das Gutachten nicht vor und die Verkehrszählung”. Es werde “so oder so gemacht”. Und sei “kaum merklich für den Ortsbereich Winzenheim”. Hermann Holste wies darauf hin, dass bei einem Strassenneubau die Stadt als Nachbar “so oder so zu beteiligen”. Mirko Helmut Kohl brachte zunächst sein Verständnis für die Hargesheimr Interessen zum Ausdruck. Lehnte aber mehr Verkehr für Winzenheim klar ab. Die neue Strasse sei eine Unterstützung für Elterntaxis. Die Verbandsgemeinde könne einen anderen Weg finden:

“Das steht denen zu”. Aber er trete gegen mehr Verkehr für die Anwohner der Kirchstrasse ein und forderte seine Ratskolleg*Innen daher auf: “bitte ablehnen!” OB Letz warb daraufhin erneut um Zustimmung mit dem Bekenntnis, er selbst sei auf die ADS gegangen und habe in der Kirchstrasse gewohnt. Provozierend fragte er Kohl: “haben Sie eine Verkehrszählung gemacht?” Werner Lorenz (FDP) sprach sich klar für die Anbindung der neuen Strasse aus. Wer einmal an der ADS gewesen sei, habe den “Graus an Verkehr” erlebt. Und stellte fest: “wir wollen mit unseren paar Quadratmetern das verhindern.

Das kann nicht sein. Wir müssen denen dies ermöglichen”. Laut OB Letz besuchen 300 Kinder aus Bad Kreuznach die ADS. Die rund 10.000 Schüler*Innen, die tagtäglich aus dem Kreisgebiet nach Bad Kreuznach einpendeln, erwähnte Letz nicht. Gerhard Merkelbach (Faire Liste) positionierte sich klar gegen den Verwaltungsvorschlag. Und stellte auf der Basis langjähriger Erfahrung fest: “wenn es eine Abkürzung gibt, wird diese genutzt”. Hermann Holste erinnerte daran, dass “jede Strasse zu neuem Verkehr führt”. Und fragte: “warum hat Hargesheim kein gescheites Schulverkehrskonzept?” Stefan Butz (PBK) grifft argumentationsklug die Behauptung des Oberbürgermeisters auf:

“Es scheint ja schon fast eher eine symbolische Diskussion zu sein, weil die Strasse ja so oder so kommt. Dann können wir es im Sinne der Kohl-Argumentation auch symbolisch ablehnen”. Das Winzenheimer Stadtratsmitglied Rainer Wirz (CDU) outete sich als ADS-Schüler. Auch seine drei Kinder seien auf der ADS gewesen: “morgens und mittags Chaos. Das wird aber durch eine neue Strasse nicht wesentlich weniger”. Wirz berichtete, dass er in Hargesheim nicht nur gewohnt habe, sondern dort auch Mitglied im Gemeinderat gewesen sei. Dieser habe schon vor “15 oder 20 Jahren” eine andere Trasse bauen wollen.

Dies sei aber von den Eigentümern der potentiellen Neubaugebiete abgewehrt worden. Den Neubau “zu Lasten Winzenheims” lehnte Wirz ab. Dr. Herbert Drumm MdL (Freie Wähler) schloss sich ausdrücklich den Wirz-Aussagen an. Jürgen Locher erinnerte daran, dass die Gemeinde Hargesheim eine “teure Umgehung bekommen” hat (L 236). Das Problem sei die ADS. Die Gemeinde solle verkehrsrechtliche Anordnungen treffen, um es den Elterntaxis nicht so einfach zu machen. Locher rechnete vor, dass die Stadt rund ein Drittel des Kreisumlage zahle, also auch den Schulbusverkehr wesentlich finanziere.

Und forderte: “nichts fördern, was es für Eltern und Schüler einfacher macht, mit dem Auto zu fahren”. Lothar Bastian (Grüne) stellte sich inhaltlich hinter Mirko Kohl. Zudem handele es sich um einen “Null-Summen-Spiel. Die Entlastung der Hargesheimer wird zur Belastung in Winzenheim”, da die Belastung als solche nicht minimiert werde. Das Chaos vor der ADS lasse sich nicht ändern, indem die Zufahrt zum Chaos verändert werde. Und schloss: “die sind noch nicht so weit mit dem Nachdenken hinsichtlich der Reduzierung des Pkw-Verkehrs in der Verbandsgemeinde Rüdesheim”. Dr. Claudia Eider (SPD) bedauerte, dass die Verwaltung keine Zahlen präsentierte:

“Mit Daten aus den Gutachten hätte die Diskussion sachlich geführt werden können”. Erst daraufhin zitierte der OB den Stadtbauamtsmitarbeiter Carsten Schittko ans Mikrophon, “um ein paar Zahlen richtigzustellen”. Plötzlich gab es Daten. Allerdings nicht die einer Verkehrszählung, wie der OB eingangs behauptet hatte. Sondern aus einer “Hochrechnung”. Die sei ihm, Carsten Schittko, tags zuvor vorgestellt worden. Der Fachmann aus dem Stadtbauamt zitierte zwei Werte: “3% mehr Verkehr in der Charles-de-Gaulle-Strasse.

10 bis 15% mehr in der Kirchstrasse gegenüber dem Status Quo”. Beim Verkehr in Winzenheim, so die Hargesheimer Hochrechnung, handele es sich um eine Umverteilung von der Bretzenheimer in die Kirchstrasse. Wer im Sitzungssaal anwesend war, erlebte mit: die selbst von den Hargesheimern zugegebene zweistellige Mehrbelastung für die Kirchstrasse machte einige Befürworter zu Unentschlossenen. So fiel die Abstimmung denn auch aus: nur sieben Stimmen für, aber 21 gegen den Verwaltungsvorschlag. Zehn Stadtratsmitglieder stimmten für Enthaltung.