Planungsausschuss beschließt 14 Zonen für “Wiederkehrende Beiträge”

Beobachtet und kommentiert von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Es geht um innerstädtische Strassen. Werden diese neu gebaut, handelt es sich um Erschließung. Deren Finanzierung ändert sich nicht: die Stadt zahlt 10%, die Anlieger 90%. Genauer gesagt die Eigentümer der durch die neue Strasse erschlossenen Grundstücke (nicht etwa die Mieter). Dann gibt es den sogenannten Unterhaltungsaufwand. Dabei werden in der Regel die Deckschichten des Strassenbelages erneuert. Die Kosten dafür trägt zu 100% die Stadt. Die dritte Fallvariante sind Ausbaumaßnahmen. Also der Neubau alter Strassen (auch mit altem, nicht mehr zeit- und belastungsgemäßem – Stichwort: schwere Elektroautos – Strassenunterbau).

Die Karten, Satzungsentwürfe und weitere Informationen können auf der Stadtseite unter https://bad-kreuznach-stadt.gremien.info/meeting.php?id=2023-PLUV-75 nachgelesen und eingesehen werden.

Deren Abrechnung ändert sich zum 1.1.2024 landesweit vollständig. Weil die SPD-geführte Landesregierung vor dreieinhalb Jahren gesetzliche Änderungen durchgesetzt hat. In Bad Kreuznach werden diese jetzt, kurz vor Toresschluss, nachvollzogen. Die entscheidende Beratung fand am gestrigen Dienstagabend (26.9.2023) im Planungsausschuss (PLUV) statt. Der stimmte mit großer Mehrheit (CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke) für die von der Stadtverwaltung vorgeschlagene neue Satzung. Lediglich AfD-Vertreter Jörg Fechner lehnte ab. Karl-Heinz Delaveaux (FWG) enthielt sich. Ganze zwei der geschätzt 12.000 direkt betroffenen Bürger*Innen waren anwesend.

Das liegt daran, dass sich die Menschen leider auch um die sie betreffenden Dinge nur dann kümmern, wenn dies keine Mühe macht. Oder die Betroffenheit extrem hoch ist. Davon kann – trotz der dramatischen Veränderung durch Einführung der “Wiederkehrenden Beiträge” – derzeit keine Rede sein. Denn die jetzt auf den Weg gebrachte Satzung wird ihre gesellschaftlich destruktive Wirkung erst in zehn oder 20 Jahren praktisch entfalten. Dann allerdings mit einer Gewalt, die in der Zukunft zu Massenprotesten führen wird. Grund dafür ist die neue Abrechnungspraxis.

Bisher war es so, dass wesentliche Anteile der Kosten für den Ausbau einer Strasse nicht von jenen getragen werden mussten, die diese Strasse nutzen. Sondern von den Eigentümern jener Grundstücke, die durch die entsprechende Strasse erschlossen wurden. Allerdings wurde die “Fremdnutzung” in zum Teil sehr hohen öffentlichen Stadtanteilen anerkannt. So mussten die beitragspflichtigen Grundstückseigentümer längs der Bosenheimer Strasse nur 40% bzw sogar nur 35% der tatsächlichen Baukosten tragen. Weil – je nach Abschnitt – 60% bis 65% aus der Stadtkasse bezahlt wurden. Die Beteiligung der Stadt ist einer der Punkte, die sich ändern.

Der in der Satzung erlaubte Höchstsatz liegt jetzt bei 30% (der Mindestsatz bei 20%). Das bedeutet praktisch, dass die Grundstückseigentümer ab dem 1.1.2024 mindestens 70% und bis zu 80% zu zahlen haben. Wo in Bad Kreuznach welcher Prozentsatz gelten wird, entscheidet der Stadtrat in seiner November-Sitzung, nachdem die Fraktionen interne Beratungen durchgeführt haben. Zurück zur alten Regelung. Bei der gab es natürlich auch Fälle mit Beitragssätzen von bis zu 75% für die Eigentümer. Und für große Grundstücke führte das im Einzelfall zu erheblichen finanziellen Belastungen. Aber. Natürlich sind in Deutschland Grundstücke noch nie weniger wert geworden.

Und eine neue Strasse hat überall in Deutschland den Grundstückswert erhöht. Zudem sind die Städte und Gemeinden liquiditätsschwachen Grundstückseigentümern fast immer durch Teil- und Ratenzahlungsmöglichkeiten entgegengekommen. Trotzdem gab es bedauerliche tragische Einzelfälle. Und hier ist das erste Versagen der Politik festzuhalten: statt sich an der Masse der Fälle zu orientieren, wurden die wenigen unerfreulichen Einzelfälle zum Maßstab gemacht. Der folgende Vergleich ist nicht einfach und perfekt passend. Er soll wachrütteln. In der Bundesrepublik Deutschland werden im langjährigen Jahresschnitt etwa 800 Menschen ermordet.

Weil viele dieser Fälle spektakuläre Einzelfälle sind, liegt bei Umfragen die subjektiv geschätzte Zahl viel höher. Zu den in der Öffentlichkeit am emotionalsten verurteilten Verbrechen gehören Sexualdelikte an Kindern in Verbindung mit Tötungsdelikten. Da kocht – verständlichermaßen – die Volksseele hoch. Jede(r) kann sich an einen Fall erinnern. Fakt ist: in vielen Jahren kommt es zum Glück nicht zu einem einzigen dieser Delikte. In der BKA-Statistik sind noch nie mehr als vier in einem Jahr vermerkt worden. Trotzdem also die tatsächliche Menge dieser Taten erfreulicherweise sehr sehr klein ist, ist die Wahrnehmung in der Bevölkerung eine ganz andere.

So haben die ganz wenigen Extremfälle bei den “Einmaligen Beiträgen” zur Einführung der “Wiederkehrenden Beiträge” geführt. Es ist jetzt schon klar: wenn die Menschen die Folgen dieser Entscheidung erleben (also in 10 oder 20 Jahren beginnend), wird die SPD wie in Bayern, Sachsen und anderen Bundesländern als Hauptverantwortliche für diese Entscheidung in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwinden. Da es sich um ein Landesgesetz handelt, kann Bad Kreuznach nicht aussteigen. Aber die Stadt könnte, wenn sie einen mitdenkenden Stadtrat hätte, die absehbaren Probleme zumindest mindern.

Das ist leider nicht der Fall, wie die Beratung im PLUV gezeigt hat. Lassen Sie sich bitte von einem der PLUV-Mitglieder die neue Satzung erklären. Ich nehme an dem Gespräch gern persönlich teil. Das PLUV-Mitglied Ihres Vertrauens wird keine einzige meiner Fragen zutreffend beantworten können. Weil sich die Entscheidungsträger*Innen, wie schon beim Tourismusbeitrag – rechtlich ein sehr ähnliches Konstrukt – nicht auskennen. Den Rechtsberatern der Stadt ist bezüglich ihrer Aufklärungsversuche keinerlei Vorwurf zu machen. Im Gegenteil.

Die beiden Anwälte der Koblenzer Kanzlei Dr. Caspers, Mock & Partner mbB haben gestern Abend auf die wesentlichen Probleme korrekt hingewiesen. Diese wurden von der erdrückenden Mehrheit im PLUV allerdings nicht verstanden. Und so ist jetzt schon klar, dass – je nach Taktik – entweder im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens oder einzelnen Widerspruchsverfahren die Rechtmäßigkeit der neuen Satzung überprüft werden wird. Würde die Satzung dabei als rechtswidrig überführt, kann die Stadt so lange keine Ausbaubeiträge erheben, bis eine neue, rechtskräftige Satzung amtlich bekannt gemacht ist.

Einer Ausbaumaßnahme gehen oft jahrlange Planungen voraus. Angesichts des Arbeitsstaus im Stadtbauamt dürfen diese erst angegangen werden, wenn die Rechtmäßigkeit der neuen Satzung entweder durch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz festgestellt wurde. Oder eine Normenkontrollklage wegen Fristablauf nicht mehr erfolgen kann. Bei Satzungen hat jeder Betroffene das Recht noch ein Jahr nach der amtlichen Bekanntmachung Normenkontrollantrag zu stellen. Das bedeutet für Bad Kreuznach: erst im Dezember 2024 steht fest, ob es zu einer Normenkontrolle durch das OVG kommt.

Weil die Gerichtskosten dafür lediglich 900 Euro betragen, aber allein der Unterschied von 5% mehr oder weniger Stadtanteil für einzelne Grundstückseigentümer über die Jahre gerechnet zehntausende von Euro Mehr- oder Wenigerkosten bedeuten kann, ist ein Normenkontrollverfahren sehr wahrscheinlich. Was bedeutet, dass es erst Ende 2025 oder gar erst in 2026 eine höchstrichterliche Entscheidung geben wird. Da erst danach Planungskosten veranlasst werden können, wird es erste Strassenausbaumaßnahmen nach der neuen Satzung frühestens im Jahr 2028 oder 2029 geben.

Da die Stadt das Recht hat bis zu vier Jahre in einer Abrechnung zu vollstrecken – und aus sehr naheliegenden Gründen zumindest anfangs so vorgehen wird, wirkt sich die neue Satzung erst in etwa 10 Jahren ab heute gerechnet praktisch aus. Dann erst werden – wenn diese Satzungsbestimmung vom OVG nicht aufgehoben wird – (fiktives Beispiel:) die Grundstückseigentümer im “alten” Korellengarten, die die Strasse “Am Tännenwäldchen” bisher gar nicht kannten und dort in ihrem Leben noch nie waren, Bescheide erhalten – und für den Ausbau dort zahlen müssen.

All jene in den Neubaugebieten der letzten vierzig Jahre, deren Strassen für 80 oder 100 Jahre geplant und errichtet wurden, werden in den kommenden vierzig bis 80 Jahren in ihren Strassen keinerlei Ausbau erleben. Aber sie werden vierzig, sechzig oder achzig Jahre lang die Ausbaukosten der heute schon alten und kaputten Strassen bezahlen. Heute versteht das keine(r). Mit wenigen Ausnahmen ist es selbst mir nicht gelungen mit diesen Fakten Bürger wachzurütteln. Die Mehrheit reagiert mit Schulterzucken. Und dem Hinweis, dann schon lange tot zu sein.

Ähnliche Erfahrungen beim Verdeutlichen von Problemen, die sich konkret erst in 50 oder 100 Jahren sehr schlimm auswirken werden, machen ja aktuell die Befürworter von Klimaschutzmaßnahmen. Zu wirklich harten Einschnitten ist die aktuelle Bevölkerung nicht bereit, weil es sie ja voraussichtlich zu Lebzeiten nicht so hart trifft. Hier noch einige konkrete erste Infos zum Vorgehen in Bad Kreuznach. Das Stadtgebiet – ohne Aussenbereiche – wird in 14 Beitragszonen (“Abrechnungseinheiten”) eingeteilt (siehe Grafik oben).

Wird innerhalb einer dieser Zonen eine Strasse ausgebaut, werden die Kosten minus Stadtanteil auf alle anderen Grundstückseigentümer in der Zone umgelegt. Der Schlüssel, wie gross der Anteil eines einzelnen Grundstückes ist, verändert sich dabei im Vergleich zur bisherigen Regel kaum. So gibt es Zuschläge für gewerbliche Nutzungen. Und ob ein Grundstück überhaupt bebaut ist oder bei der Bebauung unter dem baurechtlich Möglichen zurückgeblieben ist, spielt keine Rolle. Gezahlt werden muss nach dem Maß der möglichen baulichen Nutzung. Nicht der tatsächlichen.

Beispiel: Ihr Grundstück ist eingeschossig bebaut, dürfte aber laut Bebauungsplan dreigeschossig bebaut werden. Dann wird Ihr Beitrag so berechnet, als wäre das Gebäude dreigeschossig. Bei der Betrachtung der Abrechnungszone 14 wird der dieser Regelung innenwohnende bürokratische Wahnsinn sehr anschaulich. Es hat zwar lange gedauert. Aber auch das Innenministerium hat irgendwann erkannt, dass die Menschen sauer werden, wenn sie einen Bescheid über 5,62 Euro bekommen, dessen Erstellung 30 Euro gekostet hat. Daher gilt für Beträge bis 20 Euro schon jetzt eine Geringfügigkeitsregelung.

Aus tatsächlichen Gründen (alles wird teurer, auch die Kosten für eine Bescheiderstellung) wird diese zwangsläufig nach oben angepasst werden müssen. Aber tun wir – aufgrund schlechter Erfahrungen mit der Bürokratie – gern so, als würde sich nichts ändern. Dann würde man im Jahre 2033 keinen Beitragsbescheid unter 20 Euro versenden. In der Zone 14 gibt es hunderte von Grundstücken, die – weil Reihenhäuser – unter 200 Quadratmeter groß sind. Was in den meisten Fällen rund 400 Veranlagungsquadratmeter bedeutet. Nebenrechnung: 20 Euro : 400 = 0,05 Euro je Quadratmeter.

Beträge von unter 0,05 Euro je Quadratmeter werden also schon deshalb nicht berechnet, weil dies einer beispiellosen öffentlichen Verschwendung gleichkäme (weil die Bescheiderstellung plus Versand usw viel teurer käme, als der im Bescheid festgesetzte Zahlbetrag). Wenn jetzt in Zone 14 insgesamt 30 Millionen Quadratmeter anrechnungsfähige Grundstücksflächen zu veranlagen sind, dann bedeutet dies: (Nebenrechnung: 0,05 Euro x 30.000.000) bei Baukosten von bis 1,5 Millionen Euro werden hunderte von Eigentümern nicht veranlagt, weil die Geringfügigkeitsgrenze unterschritten ist. Das bedeutet:

Nur der Ausbau mehrere Strassen gleichzeitig (wann hat es das zuletzt in Bad Kreuznach gegeben? In den sechziger Jahren? In den siebziger Jahren?) und das Abrechnen erst nach zwei, drei oder vier Jahren führt zu in der Mindesthöhe verantwortbaren Beitragsbescheiden. Dann aber fallen die entsprechenden Bescheide für die Besitzer großer Grundstücke – wie früher – doch wieder sehr heftig aus. Als Beispiele hier konkret benannt: Viktoriastift und Franziskastift. Dabei handelt es sich um sozial sehr wertvolle Einrichtungen, die aber schon heute mit Finanzierungsproblemen kämpfen.

Die können einen Bescheid über einen fünfstelligen Betrag nicht einfach so wegstecken. Damit ist die politische Absicht der Landesregierung durch die harte Abrechnungsrealität widerlegt. Noch nicht endgültig entschieden, sondern wie eingangs geschildert der Entscheidung im Stadtrat vorbehalten, ist die Festsetzung der Stadtanteile. Diese sollen in Planig mit 25% um 5% höher liegen, als etwa in Bosenheim. Was bedeutet: bei jeder Ausbaumaßnahme in Bosenheim müssen die dortigen Grundstückseigentümer 5% mehr bezahlen, als bei jeder Ausbaumaßnahme von den Planiger Grundstückseigentümern zu zahlen ist.

Begründung der Stadt: alle Zufahrtsstrassen mit Durchgangsverkehr in Planig sind keine Gemeindestrassen (sondern mindestens Kreisstrassen). Ausser dem Abschnitt der Mainzer Strasse zwischen dem Kreisel und dem Ende der Planiger Zone in Höhe der Strasse “Am Klotz”. Länge etwa 250 Meter. So eine Strasse mit Durchgangsverkehr (die keine Kreis-, Landes- oder Bundesstrasse ist) gibt es allerdings auch in Bosenheim: die Hackenheimer Strasse. Verkehrsteilnehmer aus Frei-Laubersheim, Fürfeld, Hackenheim usw fahren durch die Hackenheimer Strasse und die Görzstrasse und / oder die Parkstrasse zur Rheinhessenstrasse mit dem Ziel Pfaffen-Schwabenheim / Sprendlingen / Gensingen.

Trotz Zone 30 und unter tagtäglichem Ignorieren des Verkehrsberuhigten Bereiches vor der Schule. Weil es seit Jahren (Begründung: Corona) keine Verkehrszählungen mehr gibt, ist die Zahl dieser Verkehrsbewegungen nicht bekannt. Und wurde amtlich daher auch nicht berücksichtigt. Obwohl die Strecke in Bosenheim sogar durch Wohngebiete führt und viel länger ist, als in Planig. Würden sich hier einige Bosenheimer Grundstücksbesitzer zusammentun und die Kosten für eine Verkehrszählung zahlen (und zwar sowohl auf der Mainzer Strasse als auch auf der Hackenheimer-, Park- und Görzstrasse) könnte das Folgen haben.

Nämlich dann, wenn das Ergebnis eine ähnlich hohe Belastung auf beiden Strecken beweisen würde. Dann wäre das allein ein Grund um die neue Satzung für rechtswidrig zu erklären: weil nämlich der Stadtanteil ermessensfehlerhaft festgesetzt wurde (weitere Berichte und Kommentare zu diesem Thema werden folgen). In jedem Fall macht diese neue Satzung das Totalversagen der Stadtverwaltung bei der Information und Einbeziehung der Öffentlichkeit deutlich. Zwei Monate vor dem endgültigen Satzungsbeschluss zum ersten Mal in einer formal öffentlichen Sitzung zu informieren, ist viel viel zu wenig.

Um die Bevölkerung mitzunehmen, hätte es – wie bei einigen anderen Themen auch – Einwohnerversammlungen geben müssen. Aber da hätte es Widerspruch gegeben. Auch Ärger. Und das ersparen sich Stadtverwaltung und die Stadtratsmehrheit eben gern. Bürgerfreundlichkeit wird immer erst kurz vor den Wahlen ein Thema. Woran die Einwohner*Innen aber selbst schuld sind. Sie wählen diese Leute ja immer wieder … Oder, wie es der französische Philosoph Joseph de Maistre schon im 18. Jahrhundert formulierte: “jedes Volk hat die Regierung, die es verdient”.