Stadt: keine Erkenntnisse über Kampfmittel im Boden des Jahrmarktsgeländes

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Vor genau fünf Wochen zerriss eine schwere Detonation die Stille der Nacht bei Limburg. Auf freiem Feld und ohne jede Einwirkung von aussen detonierte eine 250-Kilo-Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg. Der Krater ist etwa 5 Meter tief und 10 Meter breit. Die Druckwelle der Explosion legte alles im Umkreis von 200 Metern flach. Das war nicht weiter dramatisch. Denn es handelte sich nur um Getreide. Dem ZDF war es trotzdem einen Beitrag in seiner “Heute”-Sendung wert.

Das ZDF berichtete umfassend über die Bombenexpolosion bei Limburg. Quelle: ZDF

Selten genug läßt sich so harmlos ins Bild setzen, wie lebensgefährlich die “Erinnerungsstücke” aus einer längst verdrängten Vergangenheit auch heute noch sind. Die Spezialisten vom Kampfmittelräumdienst stellten schnell fest: die vor 75 Jahren abgeworfene und in Vergessenheit geratene Bombe war mit einem chemischen Selbstzünder ausgestattet. Der war, wie der Sprengkörper selbst, voll funktionsfähig. Und brachte die Bombe zur Explosion. Mit 75 Jahren minus 24 Stunden Verspätung.

Die Pfingstwiese und der Bereich Güterbahnhof sehen aus wie eine
extraterrestrische Kraterlandschaft. Quelle: Stadtverwaltung Bad Kreuznach

Auch auf Bad Kreuznach wurden im zweiten Weltkrieg Bomben abgeworfen. Massenhaft. Achthundert Sprengbomben aller Kalliber und mehr als zwanzigtausend Brandbomben, wie die Heimatforscherin Marita Peil in ihrem Buch “Die grosse Flut” mitteilt. Zuletzt sorgte ein Exemplar in der Heidenmauer für öffentliche Aufregung. 2014 wurde die noch immer explosionsfähige Waffe vom Kampfmittelräumdienst geborgen. Kein Mensch weiß, wieviele Kampfmittel noch im Boden Bad Kreuznachs schlummern.

Keine systematische Erkundung und Beseitigung

Denn: diese wurden nie systematisch erkundet und beseitigt. Auch nicht im Bereich des früheren Güterbahnhofes und der Pfingstwiese. Auf diesem Gelände wird seit über 200 Jahren der Bad Kreuznacher Jahrmarkt gefeiert (wegen mehrerer kriegs- und notbedingter Ausfälle in diesem Jahr der 191ste). Die Redaktion dieser Seite hat daher nach umfangreichen eigenen Recherchen der Stadtverwaltung vor 9 Tagen eine seitenlange schriftliche Anfrage vorgelegt. Diese ist bis heute ohne jede Antwort.

Hinweis auf Baumaßnahmen statt Antwort

Daher haben wir am Donnerstag dieser Woche im Pressegespräch der Stadt zum Jahrmarkt mündlich nachgefragt. Nämlich ob Verwaltungsakten existieren, die eine systematische und vollständige Suche nach Kampfmitteln im Bereich der vom Jahrmarkt genutzten Flächen belegen. Diese Frage wurde erneut nicht beantwortet. Statt dessen stellte Stadtrechtsdirektorin Heiderose Häußermann fest, dass auf dem Gelände der Pfingstwiese seit dem II. Weltkrieg verschiedene Baumaßnahmen durchgeführt worden seien (Kanalarbeiten, Möbus-Stadion, Deichbauten). Dabei seinen keine Kampfmittel bekannt geworden.

2014 Bombenfund an der Heidenmauer

Wie weit neben der Sache diese Auskunft ist, macht ein Blick auf das Nachbarareal “Heidenmauer” deutlich. Auf dem Gelände zwischen Gensinger Strasse, Bahnlinie und Strasse An der Heidenmauer wurde seit Ende der fünfziger Jahre vielfältig gearbeitet und gebaut. Es wurden drei riesige Schulzentren mit zwei grossen Turnhallen, Nebengebäuden, Wohngebäuden für Lehrkörper und Hausmeister und schließlich eine Mensa errichtet. Die Weltkriegsbombe kam in geringer Tiefe 2014 allerdings erst zum Vorschein, als es um einen Garagenbau ging …

Vergleich hinkt

Das Areal Heidenmauer ist zu über 60% bebaut. Im Bereich Pfingstwiese / Güterbahnhof sind es keine 4%. Selbst ein Bremer Abiturdurchfaller kann da im Dreisatz ausrechnen, wie wenig zielführend der Hinweis auf Baumaßnahmen als Indikator für Kampfmittelbelastung ist. Zudem müßte der Stadtverwaltung aus eigenem Wissen bekannt sein, wie die unterschiedlichen Baumaßnahmen konkret aussehen. Denn das Bauamt erteilte die Baugenehmigungen und führte die Bauaufsicht.

Blindgänger wurden vergraben

Anders als im Areal Heidenmauer, wo bei Bauarbeiten tatsächlich in die Tiefe gegraben wurde (zum Beispiel für das Untergeschoß des Gymnasiums am Römerkastell), war dies im Bereich Pfingstwiese kaum der Fall. Ein historischer Fakt ist: flächendeckend wurden in Deutschland, insbesondere in 1945, als die Verwaltungsstrukturen personell und materiell zusammenbrachen, Blindgänger nicht mehr korrekt entsorgt, sondern in Bombenkratern – möglichst weit weg von der Wohnbebauung – vergraben.

Liegen Blindgänger in den Bombentrichtern?

Schaute man im letzten Kriegsjahr vom Güterbahnhof in Richtung Süden, sah man viel Gras- und Ackerfläche und unbebautes Land. Und in dort belegene Bombenkrater. Diese Krater waren zwischen vier und sechs Metern tief. Im Bereich der Pfingstwiese wurde in nachfolgenden Jahrzehnten an kaum einer Stelle in dieser Tiefe gearbeitet. Das bedeutet, dass die Argumentation der Stadt in sich zusammenfällt, weil sie wesentlich ungleiche Sachverhalte als wesentlich gleich darzustellen versucht.

Bombenfreiheit wird nicht garantiert

Die Stadtverwaltung geht einfach über die Tatsache hinweg, dass anders als im Areal Heidenmauer (das zudem im Vergleich mit dem Bereich Pfingstwiese / Güterbahnhof laut Luftbildern aus dem II. Weltkrieg deutlich weniger Explosionskrater aufweist) – so gut wie nie in der relevanten Tiefe von vier bis sechs Metern gearbeitet wurde. Bis heute wurden diese Verdachtsflächen (ehemalige Bombenkrater), die heute zum Teil für den Jahrmarkt genutzt werden, nie systematisch nach Kampfmitteln abgesucht. Daher garantiert die Stadtverwaltung auch keine Bombenfreiheit.

Kein Verfahren zum Kampfmittelausschluß?

Weiterhin teilte die Stadtrechtsdirektorin in dem Pressegespräch mit, es gäbe keine technische Methode der Ermittlung von Kampfmitteln im Boden. Also um zu klären, ob Bomben im Boden liegen. Wörtlich sagte Sie: “Es ist kein Verfahren bekannt, das in der Lage ist Kampfmittel auszuschließen”. Selbst wenn dies so wäre. Kann das denn eine verantwortungsbewusste Position einer öffentlichen Verwaltung sein? Weil ich nicht über die Technik verfüge, etwas lebensgefährliches auszuschließen – statt dessen also graben müßte, was viel Geld kostet – mache ich nichts?

Verdachtsflächen abbohren

Und natürlich gibt es in Deutschland dutzende Fachfirmen, die vom rheinland-pfälzischen Kampfmittelräumdienst für die Ermittlung und Bergung von Kampfmitteln empfohlen werden. Es gibt auch eine in der Fachwelt weitgehend unstrittige Methode. Verdachtsflächen werden bundesweit abgebohrt. Dabei stossen die Bohrer auf all das, was in den Bombentrichtern vergraben wurde: Bauschutt, Müll, Leichen. Und Blindgänger. In vielen Fällen muss dann aufgegraben werden. Weil nur so endgültige Sicherheit und die Bergung der Waffen erreicht werden kann.

“Gefahren werden größer”

Dabei wächst die Gefahr im Boden von Tag zu Tag. Das stellt der ITVA, der Ingenieurtechnische Verband für Altlastenmanagement
und Flächenrecycling e.V., in einer Stellunganhme, die dieser Seite vorliegt, ausdrücklich fest: “Die Gefahren, die von diesen Kampfmitteln ausgehen, werden mit der Zeit größer. Zündsysteme werden labiler, kristalline Veränderungen der Sprengstoffe gehen vonstatten, korrosive Prozesse beeinträchtigen die Stabilität, etc.” Besonders gilt dies für Bildgänger, die in der Pfingstwiese unter Nahewasserniveau mitten in grundwasserführende Bodenschichten vergraben wurden (weitere Berichterstattung folgt).