Jahrmarktsausschuss: “die Aufgabe ist noch nicht gemacht”

Beobachtet und kommentiert von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Im städtischen Ausschuss für Messe und Märkte ist der örtliche Sachverstand zum Jahrmarkt auf 13 Personen hochkonzentriert. Auch wenn die Gremienmitglieder sich im Sitzungssaal weiträumig verteilen, führt das dazu, dass sehr schnell die kritische Masse erreicht ist. Wie am vorgestrigen Donnerstagabend (16.11.2023). Dem Jahrmarktsbürgermeister Markus Schlosser fällt dann die Aufgabe zu, das Bad Kreuznacher Manhattan-Projekt vor einer Explosion zu bewahren. Und das ist ihm, trotz unterschiedlichst motivierter Zündversuche verschiedenster Seiten auch vor zwei Tagen wieder gelungen.

Das Bild dokumentiert die entscheidende Abstimmung: fraktionsübergreifende Zustimmung für den Delaveaux-Antrag.

Auch wenn der Preis dafür eine dritte Sitzung zum selben Thema bedeutet. Es geht laut Tagesordnung um die “Anpassung des Entgeltes für die Teilnahme am Bad Kreuznacher Jahrmarkt”. Diese Aufgabe stand bereits am 10.10. an, wurde am 16.11. ebenfalls nicht bewältigt und ist somit am 13.12.2023 erneut Gegenstand der Beratungen. Durchgesetzt hat das Karl-Heinz Delaveaux (FWG). Das Stadtratsmitglied war 2014 von Peter Anheuser höchstpersönlich in den Jahrmarktsausschuss gebeten worden, weil der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende nach Filzvorwürfen auch in den eigenen Reihen das Gremium unbedingt mit frischen Wind in neue Bahnen lenken wollte.

Helmut Kreis (links) argumentierte für eine differenzierte Erhöhung der Schausteller-Tarife.

Delaveaux brachte als erfolgreicher Kaufmann die nötigen fachlichen Kenntnisse mit, zeigte persönlich keine unbotmäßige Schaustelleraffinität und schien dadurch dem gern auch mal hemdsärmelig agierenden CDU-Schlachtross die richtige Person für einen unabhängigen Neuanfang zu sein. Diese Vorgeschichte ist für das Verständnis wichtig. Denn trotz aller Höflich- und Freundlichkeiten agiert Delaveaux seit seiner Inauguration vor neun Jahren ohne Ansehen der Personen in dem Selbstverständnis dessen, dem egal ist, wer unter ihm die Funktionen Marktleiter und Jahrmarktsdezernent bekleidet.

“Was wollt ihr?” fragte Markus Schlosser mehrfach.

Nur zur Klarstellung: mit “Entgelt für die Teilnahme am Bad Kreuznacher Jahrmarkt” ist nicht etwa die im vergangenen Jahr kurzzeitig angedachte Erhebung eines Eintrittsgeldes für die Besucher verbunden (diese Seite berichtete). Sondern die Erhöhung der von den Schaustellern zu entrichtenden Standgelder. Diese sind bisher in der “Anlage 1 a” (kein Witz, die heisst so, obwohl es weder eine Anlage 1 b noch eine Anlage 2 pp gibt) definiert. Dabei handelt es sich um ein von Jahrzehnten gebasteltes Sammelsurium aus Festpreisen, Durchmessern, Front- und Quadratmeterberechnungen, das der Verwaltung auf drei eng beschriebenen Seiten mit der Angabe von Spannen große individuelle Gestaltungsspielräume gibt.

Karl-Heinz Delaveaux (rechts) beantragte die Vertagung der Entscheidung.

Beispiele gefällig? Gern. Bei acht unterschiedlichen Fahrgeschäften, darunter Achterbahnen, Geisterbahnen und Kinderkarussells, sind “bis zu …” – Beträge angegeben. Das Verständnis wird auch durch den Maßstabwechsel innerhalb einzelner Abrechnungspositionen verkompliziert. Hier die Ziffer 2.1.5.4.: “Verkaufsgeschäfte aller Art: 18 Euro je Meter Front. Bei Verkaufsgeschäften ab 5 Meter Tiefe errechnet sich das Standgeld nach Quadratmetern (5 Euro je qm)”. Bei Restaurationsbetrieben (Ziffer 2.1.5.3.) ist eine der Besonderheiten der Berechnung, dass bestimmte Beträge für die Frontmeter angesetzt werden, bei Imbiss- und Ausschankständen “mit Seitenverkauf eine Seite voll und eine Seite zur Hälfte berechnet wird”.

Auch Lothar Bastian (Grüne) freut die korrekte Ausschilderung am Nebeneingang, die leider noch immer nicht selbstverständlich ist.

Kurz gesagt. Diese Anlage eignet sich als Textvorlage für eine satirische Bürokratiekritik. Und müsste natürlich, vor allem wegen der erheblichen Dynamik und Unterschiedlichkeit der Umsatz- und Gewinnentwicklung in den einzelnen Sparten relativ zueinander, dringend überarbeitet werden. Die Verwaltung hatte statt dessen “eine pauschale zehnprozentige Erhöhung der Standgelder” vorgeschlagen. Diese Vorgehensweise wurde von mehreren Ausschussmitgliedern aus ganz unterschiedlichen Gründen abgelehnt. Heike Fessner (Grüne) war die erste, die das vortrug. Und ausdrücklich forderte, die für die Attraktivität des Jahrmarktes bedeutenden Fahrgeschäfte zu schonen.

Als einziges Ausschussmitglied hatte die grüne Ratsfrau auch die im wahrsten Sinne des Wortes herausragende Bedeutung des Kipp-Riesenrades erkannt und ausgesprochen. Helmut Kreis (CDU) verwies auf das erhebliche Minus beim Jahrmarkt, dass nur mit einer – von ihm selbst als unrealistisch eingestuften – Erhöhung um 50% auszugleichen wäre. Kreis sprach sich für eine differenzierte Betrachtung einzelner Sparten aus. Und machte von Anfang an deutlich, dass dazu aus seiner und der Sicht anderer Ausschussmitglieder eine andere Form der Verwaltungsvorlage erforderlich sei. Für deren Beratung forderte Kreis eine weitere Sitzung.

In der solle dann für die Sparte Süsswaren eine Erhöhung um 10%, für Automatenausspielungen um 20% und “Essen und Trinken” um 30% beschlossen werden. Karl-Heinz Delaveaux vertiefte diese Forderung und formulierte mehrfach Anträge, die allerdings am Verwaltungstisch teils Kopfschütteln teils Verärgerung auslösten. “Was wollt ihr?” fragte Markus Schlosser mehrfach. Abteilungsleiterin Kira Becker wollte wissen, “wie soll den die Liste aussehen? Wie wünschen Sie denn die Liste für die nächste Sitzung?” Ausschussmitglied Birgit Ensminger-Busse (CDU) solidarisierte sich mit dem Verwaltungsvorschlag, sprach sich für die 10prozentige Pauschalerhöhung aus und stellte an Kreis, Alfons Sassenroth, Wolfgang Bouffleur und Delaveaux gerichtet fest:

“Das ist doch verrückt, was ihr da vorhabt”. Karl-Heinz Delaveaux konterte diese Bewertung mit der Feststellung, die 10%-Pauschale sei “dünn drüber” gemacht. Und forderte der Gerechtigkeit wegen “in die Tiefe zu gehen”. Den Versuch der Verwaltung, die eigene Vorlage zur Abstimmung zu bringen, lehnte Delaveaux ab: “die Aufgabe ist noch nicht gemacht”. Schließlich stellte Karl-Heinz Delaveaux den bereits von Helmut Kreis eingangs der Sitzung umrissenen Antrag für eine weitere Ausschusssitzung, zu der die Verwaltung mit einer neu strukturierten Vorlage einladen soll. Bei der ersten Abstimmung wurden nur sieben Stimmen abgegeben: eine Ja- und vier Neinstimmen bei zwei Enthaltungen.

Heiko Kraft (SPD) erkannte, das da was nicht stimmt. Und sprach sich mit der Begründung, mehrere Ausschussmitglieder hätten den Aufruf zum Handheben nicht mitbekommen, für eine Wiederholung der Abstimmung aus. Markus Schlosser folgte dieser Anregung. Und zählte in der zweiten Runde sieben Ja- bei vier Neinstimmen und einer Enthaltungen. Mit der Bemerkung “was für ein Theater” schloss Schlosser die Sitzung. Damit der Stadt durch die Verschiebung der Beratung kein finanzieller Schaden entsteht, werden die Verträge für den Jahrmarkt 2024 erst nach der nächsten Ausschusssitzung rausgehen (weiterer Beitrag folgt).