OB Letz macht Rückzieher: “wiederkehrende Beiträge” nicht auf Stadtrats-Tagesordnung

Beobachtet und kommentiert von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Das Chaos im Stadthaus nimmt immer extremere Formen an. Und es braucht offensichtlich mehrere Tage, bis selbst einfachste Informationen vom Oberbürgermeister und / oder der Büroleiterin der Stadtverwaltung und / oder den zuständigen Hauptamtsmitarbeitenden wahrgenommen und / oder verstanden werden. Den aktuellen Beweis für das Führungsversagen liefert die amtliche Bekanntmachung zur Tagesordnung der Stadtratssitzung am kommenden Donnerstag (12.10.2023). Noch am vergangenen Mittwoch (4.10.2023) legte OB Emanuel Letz dem Hauptausschuss – nichtöffentlich – eine andere Variante vor.

Schon die rechtssichere Begründung der Aufteilung des Stadtgebietes in diese 14 Abrechnungszonen kommt einer Achttausender-Besteigung gleich. Dann noch – die juristisch gebotene – Festsetzung unterschiedlicher Stadtanteile vorzunehmen, entspricht der Quadratur eines Kreises. Aber die umfassende Information der Bevölkerung wäre schon vor Monaten oder Jahren möglich gewesen. Wenn die Menschen irgendwann einmal (vermutlich im Zusammenhang mit der ersten Vorausleistung und / oder Abrechnung in einer Zone in vielen Jahren) verstehen, wie der Hase bei den wiederkehrenden Beiträgen läuft, wird es rappeln.

Dernach sollte unter Tagesordnungspunkt 5 vom Stadtrat über die wiederkehrenden Strassenausbaubeiträge beraten und beschlossen werden. Die Kritik aus den fünf Ortsbezirken, diesen sei das Beteiligungsrecht nach § 75, Absatz 2 verweigert worden, bügelte Letz locker ab. In der Kernstadt, in der rund 40.000 Einwohner*Innen leben, gebe es keine Ortsbeiräte. Daher sei die Behandlung des Themas in den fünf Stadtteilen (zusammen rund 14.000 Einwohner*Innen) ungerecht. 40 Stunden später war diese Argumentation Makulatur. Und der OB ließ den TOP “wiederkehrende Beiträge” von der Tagesordnung streichen.

Das macht nur Sinn, wenn Letz in dieser Zeit eingesehen hat, dass die von ihm bisher vertretene Auffassung nicht nur grob rechtswidrig, sondern auch noch politisch dumm ist. Und die neue Satzung nun zunächst in den Ortsbeiräten beraten wird. Ein Jahr und mehr als zwei Monate ließ Letz verstreichen, bis er die bereits seit dreieinhalb Jahren feststehende landesgesetzliche Änderung (erinnern wir uns: Letz’ letzter Arbeitsplatz vor dem OB-Posten: die FDP-Landtagsfraktion …) endlich vor Ort anpackte. Trotz zigtausend Euro teurer fachanwaltlicher Begleitung machte der OB den mindestens politischen Fehler, die bestehenden 5 Ortsbezirke auszuschließen.

Da es die Landesförderung der Beratungskosten in Höhe von 250.000 Euro nur gibt, wenn die Satzung noch in diesem Jahr amtlich bekannt gemacht wird, besteht jetzt Zeitdruck. Denn die beiden letzten Stadtratssitzungen sind laut amtlichem Terminkalender für den 30. November und den 14. Dezember angesetzt. Vorher müssen noch die fünf Ortsbeiräte tagen. Und dann ist da ja auch noch das rechtliche Problem mit dem Durchgangsverkehr. Nur wenn der auf Bundes-, Landes- oder Kreisstrassen fließt, muss er satzungsrechtlich – so haben es die von der Stadt beauftragten Rechtsanwälte erklärt – nicht durch einen höheren Stadtanteil ausgeglichen werden.

Um das korrekt berechnen zu können, muss man natürlich zunächst einmal wissen, welches die Kreisstrassen sind. Die Kenntnisse des Stadtbauamtes in diesem Punkt sind, sagen wir mal sehr wohlwollend, lückenhaft. Natürlich kann nicht jede(r) so schlau sein, wie das Winzenheimer Stadtratsmitglied Rainer Wirz (CDU). Aber wer sich für das, was er wissen müsste, als städtischer Mitarbeiter bezahlen lässt, sollte wenigstens versuchen mit den ehrenamtlichen Mandatsträger*Innen auf Augenhöhe zu kommen. Bezogen auf die Kreisstrasse 49 ist das leider nicht der Fall. In den Beschlussvorlagen für die Sondersitzung des Planungsausschusses am 26.9.2023 steht es klipp und klar:

Die Stadtverwaltung geht davon aus, dass die Bretzenheimer Strasse vom Ortseingang im Westen bis zum Ortseingang im Osten eine Kreisstrasse ist. Wie Wirz bereits im PLUV klarstellte und die Kreisverwaltung auf Anfrage der Redaktion dieser Seite kurzfristig bestätigte, stimmt dies aber nicht (diese Seite berichtete). Bezogen auf die Strassenlänge in der bebauten Ortslage sind etwa 70% Stadtstrasse. Mit der beitragsrechtlichen Folge, dass der Durchgangsverkehr mit einem höheren Stadtanteil ausgeglichen werden muss. Ähnlich ist die Lage in Bosenheim.

Dort ist es nicht die Unkenntnis über Kreisstrassen, sondern fehlende Ortskenntnis, die die bisherige Verwaltungsposition in fataler Weise juristisch angreifbar macht. Wer sich in Bosenheim auskennt, weiß: der von der L 412 aus Volxheim und Umgebung und von der B 420 und der B 428 aus Richtung Hackenheim / Frei-Laubersheim durch Bosenheim Richtung B 50, A 61, Handelshof Gensingen, Klinitel Sprendlingen usw fliessende Verkehr wird (leider) nicht auf der Rheinhessenstrasse, sondern durch die Hackenheimer, Park- und / oder Goerzstrasse abgewickelt. Warum ausgerechnet der in Bosenheim wohnende Oberbürgermeister und Baudezernent das ignoriert, führt auch dort zu Spekulationen.

Absehbar ist: ohne Festsetzung eines Stadtanteiles in Höhe von mindestens 25% in den Ortsbezirken Winzenheim und Bosenheim wird es aus diesen Stadtteilen Normenkontrollklagen regnen. Der juristische Satzungstotschlaghammer droht aber auch aus den anderen Stadtteilen. Denn warum sollten die Grundstückseigentümer in Ippesheim, Bad Münster, Ebernburg und den innerstädtischen Abrechnungszonen hinnehmen, dass sie für Jahrzehnte oder Jahrhunderte volle 5 % mehr – mithin zusammen Millionenbeträge – zahlen sollen, als Winzenheimer, Planiger und Bosenheimer? Noch verzwickter ist die Lage in den sieben innerstädtischen Zonen.

Dort gibt es Grundstückseigentümer, die aufgrund der besonderen ausbaubeitragsrechtlichen Belastungen für Gewerbegrundstücke und der jeweiligen Eigentumsgröße ganz erhebliche Zahlungen werden leisten müssen. Und für die allein die Frage, ob der in ihrer Zone geltende Stadtanteil 5 Prozent höher oder niedriger liegt, viele tausend Euro je Abrechnungsperiode ausmachen kann. Bei Gerichtskosten für eine Normenkontrollklage von unter 1.000 Euro… All das war schon vor Jahren klar. Man hätte sich darum kümmern können. Getan wurde das, von dem einige haupt- und ehrenamtliche Kommunalpolitiker*Innen sehr viel verstehen: nichts.

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