Die Wilfried-Maus-Rede am Landesverfassungstag 18.5.2024 im Faust-Haus

Am 18. Mai 2024 fand auf Einladung von Eigentümer Mohammad Barazandeh und organisiert vom verantwortlichen Redakteur dieser Seite, Claus Jotzo, die erste Feier des rheinland-pfälzischen Landesverfassungstages (18.5.1947) in Bad Kreuznach im Faust-Haus statt. Anlass dafür ist, dass dort im Frühjahr vor 77 Jahren relevante Passagen der Landesverfassung in 13 von 16 Sitzungen beraten wurden. Auf diese Tatsache weist seit rund zwei Jahren eine vom Landtag ausdrücklich genehmigte, vom Verein denk-mal: Bad Kreuznach e.V. für Denkmal- und Umweltschutz finanzierte Gedenktafel hin.

Wilfried Maus (Mitte) berichtet die Geschichte der rheinland-pfälzischen Landesverfassung. Claus Jotzo (links) und Karl-Heinz Delaveaux hören andächtig zu.

Neben Alt-Oberbürgermeister Andreas Ludwig und dem früheren Stadtbeigeordneten Dieter Gronbach (beide CDU) nahmen die Fraktionsvorsitzenden Dr. Claudia Eider (SPD), Jörg Fechner (AfD), Jürgen Eitel (Freie Wähler), Wilhelm Zimmelin (BüFEP) und u.a. die Stadtratsmitglieder Gerhard Merkelbach und Karl-Heinz Delaveaux (FWG e.V.) an der Veranstaltung teil. Auch der Vorsitzende des Heimatkundevereines Dr. Michael Vesper, der langjährige Kreisvorsitzende der Europa-Union, Franz-Josef Mathony, der Direktor der Museen Römerhalle und Schloßpark, Marco van Bel und der Heimatforscher und Chronist Steffen Kaul gaben sich neben 50 weiteren Gäste die Ehre.

Das historische Sitzungszimmer im Obergeschoss des Faust-Hauses.

Die Festrede hielt Wilfried Maus, der Vorsitzende des Vereines denk-mal: Bad Kreuznach e.V. für Denkmal- und Umweltschutz: “Sehr verehrte Gäste, es ist mir eine besondere Ehre, hier an historisch bedeutsamer Stelle zum Verfassungstag in Rheinland-Pfalz einige Worte sagen zu dürfen. Mein Dank gilt den Veranstaltern dieser Feier, Claus Jotzo und Mohamad Baranzandeh, deren Idee es war, diesen bedeutsamen Tag für unser Land in diesem Rahmen zu würdigen. Am 18. Mai 1947 stimmte das Volk von Rheinland – Pfalz im Rahmen einer Volksabstimmung der Landesverfassung zu. Diese war bereits am 25. April von der Beratenden Landesversammlung in Koblenz verabschiedet worden. Damit war der Weg frei in eine neue, freiheitliche, demokratische Zukunft.

Zwei Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur. Bis zu diesem 18. Mai 1947 sollte es aber noch ein mühsamer Weg sein. Lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen: Wir schreiben das Jahr 1946. Das Kriegsende liegt ein Jahr zurück. Die Siegermächte teilen Deutschland in 4 Besatzungszonen auf, Deutsche Verwaltungseinheiten und politische Parteien werden zugelassen. Mit der Verordnung 57 proklamiert der französische General und Oberbefehlshaber der französischen Besatzungsarmee Marie Pierre Koenig am 30. August 1946 das neue Land Rheinland – Pfalz. Es wird bestehen aus den Regierungsbezirken Trier, Koblenz, Mainz, Montabaur und der Pfalz.

Damit wurde ein Land ohne gemeinsame historische Tradition geschaffen. Gleichzeitig bestimmt er Mainz als Sitz des neuen Landes Rheinland-Pfalz. Am 3. September 1946 wird von dem französischen Landesgouverneur Hettier de Boislambert die Bildung einer „Gemischten Kommission“ angeordnet. Diese Gemischte Kommission – „gemischt“, weil zusammengesetzt aus Vertretern der Rheinlande und der Pfalz – besteht aus 12 Mitgliedern. Ihre wichtigste Aufgabe ist es einen Entwurf für die Verfassung zu erarbeiten. Dieser sollte dann der Beratenden Landessammlung in Koblenz zur Bearbeitung vorgelegt werden.

Die Kommission veranlasst die Gründung eines Verfassungsunterausschusses. Dieser besteht aus sechs Mitgliedern: drei von der CDU, damals noch CDP, darunter auch Dr. Ernst Biesten, zwei von der SPD und einer von der KPD. Vorsitzender war der Jurist Dr Süsterhenn (CDU). Die Franzosen machen Druck. Die Amerikaner und Briten haben bereits in ihren Besatzungszonen Verfassungen in der Bearbeitung. Also gibt General Koenig einen klaren quasi Abgabe – Termin vor: Ende Oktober 1946. Das heißt: Von der 1. Sitzung des Ausschusses am 21. September bis zum Abgabetermin blieben nur fünf Wochen Zeit.

Es ist das große Verdienst von Dr. Süsterhenn und Dr. Biesten in dieser kurzen Zeit das Grundkonzept einer neuen Landesverfassung erstellt zu haben. Nach nur fünf Sitzungen kann man am 30. Oktober dem Gouverneur wie gefordert den „Unkeler Entwurf“ – Dr. Süsterhenn wohnt in Unkel – überreichen. Man muss aber auch sagen: das Ziel, einen Vorentwurf zu erstellen, konnte nur erreicht werden, weil kontrovers diskutierte Abschnitte ausgespart wurden. Das waren: die Wirtschafts – und Sozialordnung und vor allem das Kapitel Schule und Lehrerausbildung – davon noch später.

Mittlerweile hat sich auch die Beratende Landesversammlung konstituiert, 1. Sitzung am 22. November 1946, 127 Mitglieder, darunter immerhin 7 Frauen, die CDP (die spätere CDU) hat die Mehrheit mit 70 Mitgliedern, also 55,1 %, die SPD stellt 41 Mitglieder 32,3 %, die KPD hat 9 Vertreter und die kleineren liberalen Parteien Sozialer Volksbund und Liberale Partei sieben Vertreter. Diese Mehrheitsverhältnisse werden noch eine sehr wichtige Rolle spielen. Bereits in ihrer Sitzung am 6. Dezember berät die Landesversammlung den vorgelegten „Unkeler Entwurf“.

Da aber wichtige Abschnitte – wie schon erwähnt – fehlen, wird ein nachfolgender parlamentarischer Verfassungsausschuss eingesetzt. Dessen wichtigste Arbeit ist es einen Konsens herzustellen bei den strittigen Themen und Formulierungen. Dieser Verfassungsausschuss tagt in Koblenz am 18. Dezember 1946 zum ersten Mal und nochmal am 9. und 10. Januar 1947. Hier im Faust-Haus fanden 13 Sitzungen statt vom 22. Januar bis 13. März 1947. Der Ausschuss hat jetzt 15, später 17 Mitglieder, die Mehrheit hat auch hier die CDU mit 10 Mitgliedern, den Vorsitz hat der aus Zweibrücken stammende Jurist Dr. Ritterspacher.

Mitglied ist auch Karl Kuhn (SPD) aus Bad Kreuznach. Er ist auch Mitglied in der Beratenden Landesversammlung. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass der Verfassungsausschuss ab seiner 4. Sitzung hier in Bad Kreuznach und zwar im Faust-Haus tagte. Dies geht eindeutig aus seinen Berichten im Öffentlichen Anzeiger vom 17. bis 18. Mai 1972 hervor. Ich darf zitieren: „Die Beratung im Faust-Haus war alles andere als ein kleines Intermezzo in der Geschichte dieses Landes und unserer Heimat.“ Nachzulesen auch im „Naheland – Kalender 1987“ im Aufsatz von Walter Krumm. Der Winter 1946/47 ist außergewöhnlich lang und streng. Um Brennmaterial zu gewinnen, zerschlägt man alte Regale.

Es herrscht eine große wirtschaftliche Not. Die Menschen hungern. Unter diesen sehr schwierigen äußeren Bedingungen nimmt der Verfassungsausschuss seine Arbeit auf. Es gelingt dem Ausschuss den Entwurf der Verfassung zu erstellen. Dieser wird dann am 24. April 1947 der Beratenden Landesversammlung in Koblenz vorgelegt und bereits am nächsten Tag, am 25. April, verabschiedet. Bei der namentlichen Abstimmung votieren 70 für und 31 gegen die Verfassung. CDU und FDP stimmen für die Verfassung, SPD und KPD lehnen die Verfassung ab. Die Bevölkerung von Rheinland-Pfalz wird drei Wochen später in einer Volksabstimmung abstimmen.

Es waren aber nicht nur die schwierigen äußeren Bedingungen, die der Ausschuss zu bewältigen hatte: der französische Gouverneur macht weiterhin Druck: Am 6. März wird dem Ausschuss mitgeteilt, er müsse sich nicht nur mit der Verfassung beschäftigen. Er müsse für die 1. Landtagswahl, die auch für den 18. Mai vorgesehen ist, bis nächste Woche ein neues Wahlgesetz entwerfen. Bereits für die darauffolgende Woche wird der gesamte Ausschuss beim Gouverneur einbestellt. Trotz des eindringlichen Apells, dass in dieser kurzen Zeit das nicht zu schaffen sei, und der Bitte, den Termin um vier Wochen zu verschieben, bleibt es bei dem Termin 18. Mai.

Der Gouverneur lapidar: “der Ausschuss solle seine Arbeit beschleunigen”. Außerdem wird mitgeteilt, dass die künftigen Sitzungen nicht mehr in Bad Kreuznach stattzu finden haben, sondern in Koblenz wegen einer besseren Verbindung mit den Behörden – vielleicht aber auch wegen besserer Kontrolle. Es wird deutlich, wer hier das Sagen hat. Eine Sitzung in Bad Kreuznach wird dem Ausschuss noch zugestanden, die letzten fünf Sitzungen finden in Koblenz statt. In Zell bei Göllheim findet in der Villa Golsen am 25. März eine Sitzung statt, die sich mit dem Wahlgesetz befasst. An diese einzige Sitzung erinnert seit 25 Jahren eine Gedenktafel

Wenn immer von der „schweren Geburt“ der Landesverfassung gesprochen wird – so war eigentlich nur der Abschnitt „Schule“ eine schwierige Geburt. Über alle anderen Abschnitte des ersten und zweiten Hauptteils konnte man sich bis zur abschließenden Lesung in der Beratenden Landesversammlung im April verständigen. Gestatten Sie mir ein paar wenige Anmerkungen zu einzelnen Punkten und Artikeln über die hier Konsens erzielt und zu Protokoll gegeben wurden:

1. Aus dem Begriff „Staat“ wird der Begriff „Land“, z.B. wird aus der „Staatsregierung“ die „Landesregierung“. Damit bekennt sich Rheinland-Pfalz in seiner Verfassung zu einem demokratischen und sozialen Gliedstaat Deutschlands.

2. Der Vorspruch wird und bleibt mit der „Verantwortung vor Gott“ übernommen.

3. Die Grundrechte und Grundpflichten werden vorangestellt. Hier ist bemerkenswert, dass eingefügt wurde: „der Mensch ist frei“ – im Grundgesetz heißt es: „die Würde des Menschen ist unantastbar“. Es werden 16 Freiheitsrechte fest verankert: (ZITAT siehe Beiblatt). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Artikel 3: „Das Leben des Menschen ist unantastbar“. Aber: die Todesstrafe ist erlaubt als „Strafe für schwerste Verbrechen gegen Leib und Leben …“ 2 Jahre (1949) später hat das Grundgesetz mit Artikel 102 die Todesstrafe abgeschafft. Gestrichen aus der Landesverfassung wurde die Todesstrafe aber erst 1991.

3.1. Aus heutiger Sicht erscheint auch Artikel 16 interessant: „Fremde genießen Schutz vor Auslieferung und Ausweisung, wenn sie unter Verletzung der in dieser Verfassung niedergelegten Grundrechte im Ausland verfolgt werden und nach Rheinland-Pfalz geflohen sind“. Daraus wird in der aktuellen Landesverfassung: „politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“

3.2. Die Gleichheitsgesetze werden formuliert: Gleichheit vor dem Gesetz und Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Daraus wird in der aktuellen Fassung: Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

4. Der Verfassungsausschuss definiert auch den heiklen Begriff „Notstand“ in Artikel 112: der liegt vor, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört ist. Dann können auch die Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden. Die Unterscheidung in politischen und nichtpolitischen Notstand wird fallen gelassen. Hieraus spricht die noch lebendige traumatische Erfahrung der Aushebelung der Weimarer Verfassung. Die aktuelle Verfassung spricht auch in Artikel 112 von: „innerem Notstand“ bei Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

5. Zunächst sehr kontrovers waren die Standpunkte zur neuen Wirtschafts- und Sozialordnung. CDU, SPD und die Liberalen können sich aber einigen auf eine Wirtschaftsordnung, die nicht rein kapitalistisch, sondern den Grundsätzen einer sozialen Gerechtigkeit verpflichtet sein soll. Dies kann man durchaus als das Vorgänger-Modell der Sozialen Marktwirtschaft verstehen.

5.1. Interessant und erwähnenswert ist Artikel 51: „Jeder Arbeitsfähige hat das Recht und die Pflicht zur Arbeit“. Dies wurde am 8. März 2000 geändert in: „Land und Gemeinden wirken darauf hin, dass jeder seinen Lebensunterhalt durch freigewählte Arbeit verdienen kann.“

6. Der unüberbrückbare Gegensatz zwischen CDU und SPD, den Liberalen und der KPD aber blieb der Abschnitt III: die Schule und damit verbunden der Stellenwert des Elternwillens und der Lehrerausbildung. Für die öffentlichen Volksschulen fordert die CDU 1. Der Elternwille steht über dem Willen des Staates und 2. die Schulen sollten sein: entweder Bekenntnisschulen, das hieß: Schüler und Lehrer haben das gleiche Bekenntnis oder Christliche Simultanschulen, das hieß: Aufnahme der Schüler ist konfessionell nicht gebunden, aber beim Unterricht muss eine allgemeine religiöse Weltanschauung im Vordergrund stehen, auch bei z.B. bei den naturwissenschaftlichen Fächern. 3. Und die Ausbildung der Lehrer soll in Lehrerbildungsanstalten getrennt nach Konfessionen erfolgen

Die SPD und die Liberalen fordern: 1. Eltern und Staat haben das Recht auf die schulische Entwicklung des Kindes
2. Die öffentlichen Schulen sollen christliche Gemeinschaftsschulen sein, der Unterricht soll nicht konfessionell orientiert sein 3. Die Lehrerausbildung solle an Hochschulen stattfinden. Über diese zwei Fronten wird so heftig gestritten, dass daran die Verfassung in der Volksabstimmung zu scheitern droht. Die CDU droht damit, die Verfassung in der Beratenden Landesversammlung mit ihrer Mehrheit scheitern zu lassen, wenn nicht die Schulartikel in der CDU-Version aufgenommen werden.

So geschah es auch. Deswegen stimmten auch die SPD und KPD gegen die Verfassung. Im Gegenzug musste die CDU akzeptieren, dass bei der Volksabstimmung über Verfassung und Schulartikel getrennt abgestimmt wird. Bei der Volksabstimmung am 18. Mai ist die Wahlbeteiligung mit 77% relativ gut, die Zustimmung zur Verfassung mit 53 % ziemlich knapp die Zustimmung für die „Schulartikel “ mit 52,4 % auch ziemlich knapp. Seit 1968 gibt es keine Bekenntnisschulen mehr. Alle öffentlichen Schulen sind christliche Gemeinschaftsschulen. Heute – 77 Jahre nach Zustimmung der Rheinland-Pfälzer zu ihrer Verfassung können wir stolz und dankbar sein, dass unter schwierigsten Bedingungen dieses großartige belastbare Verfassungswerk entstanden ist.

So konnten Zustimmung zu dem neuen Bundesland, Wohlstand und Zufriedenheit der Menschen entstehen. Unsere Landesverfassung ist 77 Jahre jung – Sie ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wird immer wieder aktualisiert, bis zum Jahr 2005 gab es 36 Änderungen. Auch aktuell leben wir in schwierigen Zeiten. die uns als Demokraten herausfordern. Die Werte unserer freiheitlichen Demokratie sind heute vielleicht stärker gefährdet als in vergangenen 77 Jahren. Unsere Landesverfassung und unser Grundgesetz aber geben uns Leitlinien an die Hand für die Erhaltung unserer freiheitlich – demokratischen Grundordnung. Demokratie muss gelebt werden!”

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