Meinung: neues Jugendamt-Gutachten bringt Dr. Kaster-Meurer in Bedrängnis

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Die Formalien hat Dr. Kaster-Meurer von Beginn ihrer Amtszeit an nicht so eng gesehen. Kein Wunder. Die Ärztin ohne nennenswerte kommunalpolitische Erfahrung wußte einiges einfach nicht besser. Das ging – für sie – lange Zeit mehr oder weniger gut. Weil keine(r) im Rat die Pannen und Fehler ernsthaft verfolgt hat. Doch die Situation hat sich spätestens mit der Kommunalwahl 2019 grundlegend verändert. Weil die Folgen der Stümperei an der Stadtspitze immer deutlicher erkennbar werden. Und die Widersprüche zwischen Show und Wirklichkeit unüberbrückbar.

Nicht unverzüglich an Bürgermeister und Beigeordneten weitergeleitet

Wie im öffentlichen Teil der Sitzung des Hauptauschusses am Montag klar festgestellt wurde, hat diese Seite den Umgang der Oberbürgermeisterin mit der an den Stadtvorstand gerichteten Überlastungsanzeige zutreffend dargestellt: diese ging Dr. Kaster-Meurer am Donnerstag den 9. Juli 2020 zu (31.07.20: “Jugendamt: warum hat Dr. Kaster-Meurer eine Woche lang nicht informiert?”). Sie war damit rechtlich verpflichtet, das Schreiben an die beiden anderen Adressaten, Bürgermeister Wolfgang Heinrich und Beigeordneten Markus Schlosser, unverzüglich weiterzuleiten. Das tat die OBin aber erst acht Tage später, am 17. Juli 2020.

Bastian und Zimmerlin zeigten die Defizite auf

In der Sache selbst hat Dr. Kaster-Meurer nach Angaben der Personalamtsleiterin und kommissarischen Hauptamtsleiterin Isabelle Merker vor dem Hauptausschuß lediglich eine Selbstverständlichkeit veranlaßt: nämlich die ohnehin gebotene schnellstmögliche Nachbesetzung der durch Kündigung freiwerdenden Stellen beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Jugendamtes. Während Lothar Bastian (Grüne) aufgrund seiner Berufserfahrung als Personalrat am Montagabend anschaulich beschrieb, was in diesen Tagen hätte geschehen müssen, erfragte Wilhelm Zimmerlin (FWG / BüFEP) den Sachverhalt. Und bewertete ihn unmißverständlich: “das ist aber ganz schwach”.

Was sagte der Wissenschaftliche Dienst dazu?

Weil sich diese Bewertung jedem unvoreingenommenen Beobachter aufdrängen wird, wollten einige Redner*Innen von SPD und Grünen auch schnell weg von der Anamnese der Krisensituation. Und hin zu dem neuen Gutachten des Landesjugendministeriums. Denn in deren Leseweise verhindert dies die Abgabe des städtischen Jugendamtes an den Kreis. Mal ganz davon abgesehen, was der Wissenschaftliche Dienst des Landtages dazu sagen wird. Und wann es zu der vom neuen Gutachter selbst geforderten Gesetzesänderung kommt. Das Gutachten enthält eine Feststellung, die Dr. Kaster-Meurer erneut in Bedrängnis bringen wird.

War der Beschluß vom 29.11.18 rechtswidrig?

Wie dank der Veröffentlichung jetzt jede(r) auf Seite 6 unten nachlesen kann, kommt Professor Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz unter Ziffer 5 zu folgender Feststellung: “Ohne Beteiligung des Jugendhilfeausschusses vor (!) der Entscheidung des Stadtrats einer großen kreisangehörigen Stadt über die Beendigung einer Jugendamts-Trägerschaft wäre eine Entscheidung des Stadtrats rechtswidrig. Der Stadtrat ist allerdings nicht an das Votum des Jugendhilfeausschusses gebunden”. Wenn dies zutrifft – und schon am Montagabend wurde in den Reihen jener, die das Jugendamt in Trägerschaft der Stadt behalten wollen dieser Satz wie der Schriftzug auf einem Triumph-Bogen zitiert – hätte der Rat der Stadt am 29. November 2018 einen rechtswidrigen Beschluß gefaßt.

Gegen eine Aussetzung kann der Stadtrat vorgehen

Wenn ein Kommunalparlament einen rechtswidrigen Beschluß faßt, ist im Fall der Stadt die Oberbürgermeisterin gemäß § 42 GemO verpflichtet, diesen auszusetzen. Weiterhin muß die Oberbürgermeisterin die Gründe hierfür dem Stadtrat spätestens in der nächsten Sitzung mitteilen, wobei diese Sitzung innerhalb eines Monats nach der Aussetzung stattfinden muß. Genau das hat Dr. Kaster-Meurer aber – ganz bewußt – nicht getan. Sie hat im Nachhinein mehrfach ausgeführt, der Beschluß sei nicht rechtswidrig – er sei schlicht falsch. “Falsche” Beschlüsse gibt es aber laut Gemeindeordnung nicht. Es gibt lediglich zwei Arten von Beschlüssen. Jene, die von der Stadtverwaltung umzusetzen sind. Und die anderen, die von der Oberbürgermeisterin auszusetzen sind. Gegen eine Aussetzung hätte der Stadtrat vorgehen können. Nämlich in dem er seinen Beschluß bestätigt.

Weniger Fehler = weniger Kritik

In diesem Fall hätte die Oberbürgermeisterin die Entscheidung der Aufsichtsbehörde ADD einholen müssen. Und gegen diese hätte der Stadtrat Klage beim Verwaltungsgericht erheben können. Da selbst langwierige Sachen dort in längstens einem Jahr entschieden sind, hätten alle Beteiligten heute ein großes Stück mehr Klarheit. Ein Urteil statt zwei Gutachten. Wenn Dr. Heike Kaster-Meurer den korrekten Weg laut Gemeindeordnung gegangen wäre. Insofern klingt es schon ein bißchen putzig, wenn Ahmet Dasli (SPD) – zwar angenehm unaufgeregt im Ton – sein Unverständnis über die ständige Kritik in den Gremien an der Amtsführung der Oberbürgermeisterin zum Ausdruck bringt. Würde Dr. Kaster-Meurer weniger Fehler machen, gäbe es auch weniger zu kritisieren. So einfach ist das.

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04.08.20 – “Hauptausschuß setzt Signal zur Überlastungsanzeige aus dem Jugendamt”
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03.08.20 – “ver.di: “Überlastungsanzeige ist politisches Mittel””
02.08.20 – “Der Kämmerer bewährt sich als Kümmerer”
31.07.20 – “Jugendamt: warum hat Dr. Kaster-Meurer eine Woche lang nicht informiert?”
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27.07.20 – “Verärgerung über den “Drohbrief” aus dem Jugendamt”
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10.06.20 – “Kindeswohlgefährdung: 4 Kinder auf eigenen Wunsch in Obhut genommen”
10.06.20 – “Jugendhilfeausschuß beschließt Ausschreibung der Amtsleitung Jugendamt”
19.11.19 – “Jürgen Eitel (FDP): Schlamperei bei den Jugendamtsabrechnungen”
14.11.19 – “Meinung: Dr. Kaster-Meurer fährt das Jugendamt mit Volldampf aufs Riff”
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12.11.19 – “Kreis Alzey-Worms erhielt laut LRH “zu Unrecht” 26.500 Euro vom Jugendamt”
11.11.19 – “Bad Kreuznacher Jugendamt entlastet die Stadt Zweibrücken um 120.000 Euro”
08.11.19 – “Aufgedeckt: Stadtjugendamt verplemperte hunderttausende von Euro”

§ 42 GemO Aussetzung von Beschlüssen

(1) Hat der Gemeinderat einen Beschluß gefaßt, der nach Ansicht des Bürgermeisters die Befugnisse des Gemeinderats überschreitet, gesetz- oder rechtswidrig ist oder die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit verletzt, oder hat er eine Aufwendung oder Auszahlung beschlossen, für die keine Deckung im Haushaltsplan vorhanden ist, so hat der Bürgermeister die Ausführung des Beschlusses auszusetzen und die Gründe hierfür dem Gemeinderat spätestens in der nächsten Sitzung mitzuteilen; die nächste Sitzung muß spätestens innerhalb eines Monats nach der Aussetzung stattfinden.

(2) Verbleibt der Gemeinderat bei seinem Beschluß, so hat der Bürgermeister die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen. Gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann der Gemeinderat durch einen von ihm Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht erheben. Das Vorverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung entfällt.