Tourismusbeitrag: Stadtrat kippt Kalkulation

“Schwer zu lesen, schwer zu verstehen”. Werner Klopfer (CDU) kam sofort zur Sache. Und er sprach offen aus, was viele im Rat der Stadt denken: “dieses Papier wurde geschrieben, um die Position der Stadt beim OVG zu verbessern”. Genau das wollte die grosse Mehrheit im Stadtparlament nicht. Mit 21 Neinstimmen (CDU, FWG, FDP, Parteilose, Faire Liste und BüFEP) bei vier Enthaltungen der Grünen wurde die von der Verwaltung nachgeschobene Kalkulation zur Rechtfertigung des Tourismusbeitrages abgelehnt.

Oberbürgermeisterin ohne Mehrheit

Mit der Oberbürgermeisterin, dem Linken Locher und dem glühenden Beitragsanhänger Dr. Herbert Drumm stimmte nicht einmal mehr die SPD-Fraktion geschlossen für die Abgabe, weshalb nur 14 Jastimmen gezählt wurden. Wie schon am 14.6.18, als eine klare Mehrheit dafür stimmte, den CDU-Antrag zur Abschaffung auf die Tagesordnung zu nehmen (die notwendige Zweidrittelmehrheit aber verfehlt wurde), brachte der Rat der Stadt damit erneut zum Ausdruck, dass er umgedacht hat. Schon ganz am Anfang der Sitzung hatte die CDU verwundert gefragt, warum ihr im Finanzausschuss abgelehnter Abschaffungs-Antrag nicht auf der Tagesordnung für die Stadtratssitzung stand.

“Warum fragen Sie nicht die ADD?”

Dr. Bettina Mackeprang wies auf eine Bestimmung in der Gemeindeordnung hin, derzufolge zwar vieles in den Ausschüsses abschliessend entschieden werden darf, “nicht aber Satzungen betreffend”. Werner Klopfer hatte diesbezüglich bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) nachgefragt und dort Bestätigung gefunden. “Warum fragen Sie nicht die ADD?” wollte er von der Oberbürgermeisterin wissen. Doch die blockte ab. Beim CDU Antrag gehe es lediglich um einen “politische Willensbekundung und keinen Satzungsbeschluss”. Einen solchen könne die CDU ja in sechs Monaten erneut als Antrag einbringen.

Klopfers Analyse

Als es dann später um die Verwaltungsvorlage ging, zeigte Klopfer an mehreren Detailbestimmungen deren Fragwürdigkeit auf. So bezeichnete er die 80% Tourismusanteil bei Parks- und Grünflächen als “für uns gar nicht nachvollziehbar”. Denn auch ohne Gäste würden die Bad Kreuznacher gern die kultivierte Natur geniessen. Auch die 82% Tourismusanteil beim Bäderhaus schätzte er als “schwierig” ein. Insgesamt mache die Auflistung den Eindruck, “ein möglichst hohes Minus auszuweisen”. Dem CDU-Fraktionschef war aufgefallen, dass das jahrelang von der GuT behauptete Defizit von 2,6 Millionen Euro in der neuen Vorlage auf über 4,4 Millionen angewachsen war.

Zimmerlin gegen Bäderhaus-Subvention

In die selbe Richtung argumentierte Wolfgang Kleudgen (FWG). Er bezweifelte die Sinnhaftigkeit der Vorgehensweise und bezeichnete die Abgabe als “unvorteilhaft für das Klima in der Wirtschaft”. Als dann noch Wilhelm Zimmerlin (BüfEP) wörtlich Werner Klopfer “ausdrücklich zustimmte” wurde deutlich, dass der Tourismusbeitrag quer über politische Lager und persönliche Verwerfungen hinweg eine geschlossene Gegnerfront hat. Zimmerlin sah sich durch die Angabe der GuT, demnach nur 18% der Bäderhaus-Gäste aus Bad Kreuznach kommen, provoziert. Wenn dem so wäre sei es um so fragwürdiger, Jahr für Jahr hunderttausende Euro für diese Einrichtung zuzuschiessen: “das müsste verboten werden”.

“ausreichend erläutert”

Dann meldeten sich die Befürworter zu Wort. Jürgen Locher (Linke) unterstellte der Verwaltung “seriös gearbeitet” und im Finanzausschuss “ausreichend erläutert zu haben, wie die Schätzungen, die da drin stehen, zustande kamen”. Auch Herbert Drumm (Freie) verteidigte die Abgabe und unternahm den Versuch, Werner Klopfer “aufzuklären”. Seine Belehrung ging im Gelächter und Gemurre des Rates unter. Schliesslich führte SPD-Fraktionschef Andreas Henschel aus, dass sich aus Sicht seiner Partei “am Sachstand in den letzten drei oder vier Jahren nichts verändert hat”. Er forderte, “die Zahlen müssen beschlossen werden, damit es ordnungsgemäß weitergeht” und beschrieb die Kalkulation als einen “nur formalen Akt”.

Hackenheimer sind Touristen

Heiterkeit im Ratsrund kam dann wieder auf, als Dr. Michael Vesper von der Oberbürgermeisterin als Sachverständiger zur Abgabe von Erläuterungen aufgefordert wurde und diese mit den Worten “die Tabelle ist sehr einfach” begann. Auf die konkrete Frage von Manfred Rapp (CDU) welche Postleitzahlen bei der Auswertung als Einheimische und Touristen gezählt wurden, redete Dr. Vesper minutenlang drumherum. Erst als Unruhe aufkam und mehrere Zwischenrufer wissen wollten, wie jetzt genau gezählt wurde, räumte er ein, dass nur die drei Bad Kreuznacher Postleitzahlen (55543, 55545 und 55583) nicht als Touristen gelistet wurden, Hackenheimer, Rüdesheimer, Bretzenheimer usw aber schon.

Fassungsloses Staunen

Folge: Kopfschütteln und fassungsloses Staunen bei vielen Ratsmitgliedern. Das veranlasste Dr. Vesper zu der Aussage “egal ob einer 5 Kilometer oder 500 anreist, ist er ein Tagesgast”. Mit dieser Feststellung konnte sich die Mehrheit im Stadtrat erkennbar nicht identifizieren. Nachvollziehbar. Denn nicht umsonst wird in allen Mittel- und Oberzentren wie Bad Kreuznach und Mainz vom sogenannten Speckgürtel gesprochen. Also von jenen Gemeinden direkt am Stadtrand, in die Städter wegen günstigerer Baulandpreise zwecks Bildung von Wohneigentum “auswandern”. Aber weder diese Menschen selbst noch ihre früheren Nachbarn sehen diese nach dem Wegzug als “Gäste” oder gar “Fremde”. Die Verwaltung schon.

Rohrkrepierer statt Kalkulation

Die hat jetzt ein Problem. Aus dem Versuch, kurz vor Toresschluss noch schnell die beim Satzungsbeschluss und dem Beginn des Erhebungsverfahrenes fehlende Kalkulation nachzubeschliessen, wurde ein Rohrkrepierer. Am Dienstag kann die Stadt dem OVG nicht nur keine Kalkulation vorlegen. Die eindeutigen Wortmeldungen der Ratsmitglieder belegen, dass diese mehrheitlich etwas ganz anders wollen, als die Verwaltung. Nach dem Kommunalabgabenrecht ist aber der Wille des Rates entscheidend – und nicht der der Verwaltung. Steuerberater Martin Reiber, der den Kläger Antonio Valentino vertritt, hat daher schon eine Idee, wie er am 30.10.18 das OVG zur Aufhebung der Tourismusbeitragssatzung überzeugt: “Ich bitte die Stadt um einen Mitschnitt der Stadtratssitzung und lasse den vor dem Gericht abspielen. Damit haben sich weitere Diskussionen erledigt”.