Mein Mandant Antonio Valentino wehrt sich gegen Fremdenverkehrs- und Tourismusbeitragsbescheide. Wie viele andere hat er dem Veranlagungsverfahren von Anfang an misstraut. Daher machte er keine Umsatzangaben. Statt nun seine Umsatzzahlen beim Finanzamt zu erfragen gefiel es der GuT GmbH meinen Mandanten zu schätzen. In meinen Augen war das ein grosser Fehler. Denn Schätzen ist nichts für Amateure. Selbst die Profis in den Finanzverwaltungen schätzen nur in wenigen ernsten Fällen. Und wenn dort geschätzt wird, dann hat das in den meisten Fällen Hand und Fuss.
Wie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Finanzverwaltung, insbesondere den Spezialisten in Sachen Schätzung in den Veranlagungsstellen bekannt ist, handelt es sich beim Schätzen aufgrund der sinnhaltigen Anforderungen der Rechtsprechung um einen komplexen anspruchsvollen Vorgang, von dem Laien nur abgeraten werden kann. Und die Stadt Bad Kreuznach hat intern, warum auch immer, eben nicht ihre Kämmerei mit sachkundigen und erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beauftragt, sondern einen Verwaltungsteil, der angaben- und steuerfachfremd ausgebildete Personen beschäftigt. Es fehlt dem entsprechenden Verwaltungsteil schlicht an Fachkompetenz. Ich habe das selbst erlebt. Die GuT GmbH hat sich z.B. zunächst einfach geweigert meinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu bearbeiten.
Die GuT GmbH hat mir mitgeteilt, dass zB für 2017 erst 414 von 4.432 ermittelten Beitragsschuldnern einen Bescheid erhalten haben. Eine Veranlagerin in einer Lohn- und Einkommensteuerstelle einer Finanzverwaltung, die je Fall einen vielfach höheren Arbeitsaufwand hat, weil diese ja oft in einem Fall unterschiedliche Einkunftsarten, Freibeträge usw zu berücksichtigen hat, bekommt als Vorgabe vom Dienstherren die Bescheidung von “acht bis zehn Fällen” je Arbeitstag, also 1.500 bis 1.700 Fälle jährlich. Die rheinland-pfälzischen Finanzverwaltungen bewältigen diese Zahl Jahr für Jahr erfolgreich.
Vor diesem Hintergrund gravierender fachlicher Defizite und riesiger Arbeitsrückstände war die Entscheidung für eine Schätzung kontraproduktiv. Jeder Veranlager in der Finanzverwaltung wird bestätigen, dass Schätzen um ein Vielfaches zeitaufwändiger ist als das Veranlagen von Erklärungen. Wer schätzt ist wie der Veranlager einer Erklärung, der von der Erklärung abweicht verpflichtet, seine Entscheidung zu dokumentieren und zu begründen.
Dies ist aber vorliegend nicht der Fall. Sowohl bei der Akteneinsicht am 28.12.17 im Rechtsamt der Stadtverwaltung als auch bei der Akteneinsicht am 5.2.18 beim Verwaltungsgericht Koblenz musste ich feststellen, dass es keinerlei Aufzeichnungen gibt über die gewählte Schätzmethode, den Schätzvorgang und das Schätzprotokoll. Damit steht fest, dass die Mindestanforderungen an eine amtliche Schätzung vorliegend nicht erfüllt sind. Diese Mindestanforderungen sind in der Rechtsprechung laut Klein Abgabenordnung wie folgt definiert:
“Auch grobe Schätzungsfehler, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, führen regelmässig nicht zur Nichtigkeit des Bescheides (BFH BStBl 06, 478; 93, 259; 90, 351; 82, 133). Nichtigkeit soll aber dann gegeben sein, wenn die Finanzbehörde “bewusst und willkürlich” zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat (BFH BStBl 93, 259; 01, 133), die Schätzung also eine Willkürmassnahme darstellt, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmässe Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren ist (BFH BStBl 01, 381; 93, 259; BFH/NV 02,682; 06, 240; 08, 13), weil nicht erkennbar ist, dass der Sachverhalt soweit möglich aufgeklärt worden ist, um Anhaltspunkte für die Schätzung zu gewinnen, und überhaupt und ggf welche Schätzungserwägungen angestellt wurden. Das ist freilich nur dann richtig, wenn all dies anhand des Bescheides ohne Weiteres erkennbar ist, woran es oft fehlen wird. Nicht jeder grobe Schätzfehler lässt jedenfalls Willkür erkennen (BFH/NV 08, 13).”
Da zum Schätzvorgang pp keinerlei Angaben in der Akte festgehalten sind, ist genau dieser Fall einschlägig: es ist nicht erkennbar, ob und wenn ja welche Sachverhaltsaufklärung erfolgte und welche Anhaltspunkte für die Schätzung dabei gewonnen wurden. Auch sind keinerlei Schätzungserwägungen erkennbar. Damit stellt die “Schätzung” im Fall Valentino eine Willkürmassnahme dar.
Weiter wird im zitierten Kommentar zur Begründetheit des Schätzungsbescheides ausgeführt:
“BFH BStBl 90, 268 hat sogar scheinbar uneingeschränkt verlangt, es müsse für den Betroffenen gemäss der Begründungspflicht des FA dem “Grundgedanken” nach durchschaubau sein, wie das Schätzungsergebnis zustande kommt, für das Verständnis eines Schätzungsbescheides (§ 121 I) dürfte das indes nicht erforderlich sein. Jedenfalls in einem Streitverfahren müssen indes die Schätzungsgrundlagen von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfung möglich ist. Das zahlenmässige Ergebnis der Schätzung muss auf Schlüssigkeit hin kontrollierbar sein (BFH/NV 12, 1921). Auf Verlangen ist das Vorgehen der Finanzbehörde bei der Schätzung deshalb in Einzelheiten offenzulegen (BFH BStBl 82, 430; 75, 96).”
Im vorliegenden Fall wurde aber nichts angegeben oder offengelegt. Ausser dem nackten Schätzergebnis ist in der Akte nichts vorhanden. Eine Prüfung und Bewertung ist daher unmöglich. Die formalen und inhaltlichen Anforderungen an eine Schätzung sind nicht erfüllt. Die angegriffenen Bescheide sind schon daher rechtswidrig. An der Durchsetzung rechtswidriger Bescheide kann kein Rechtsschutzinteresse bestehen.
Wenn es meinem Mandanten nicht gelingen sollte, dass Verwaltungsgericht im Eilverfahren davon zu überzeugen, wird ihm dies im normalen Klageverfahren bestimmt gelingen.