Stadtverwaltung: zu Fuß gehen ist die Mobilität der Zukunft

Aufgespiesst von Claus Jotzo

Wohl unfreiwillig haben Stadtspitze und Stadtplanungsamt offiziell bekanntgegeben, wie sie sich die innerstädtische Mobilität Bad Kreuznachs in der Zukunft vorstellen: fußläufig. In einer am gestrigen Freitagmittag (19.4.2024) um 12:30 Uhr verbreiteten Presseerklärung hebt die Stadtverwaltung diesen Punkt als eine der relevanten Erkenntnisse hervor, die Emanuel Letz, seine Geschäftsleitung und Carsten Schittko vom Treffen der Michelin-Städte aus Anderson (USA) mit nach hause gebracht haben. Zwar gibt es in den Gremien der Stadt keine entsprechende Beschlusslage.

So sieht laut Stadt die Mobilität der Zukunft aus: ein Teil der Menschen bewegt sich zu Fuß in der Stadt. Auf der Starsse natürlich. Denn die Gehwege werden fürs Parken umgenutzt. Bild: privat

Zudem ist es eine Tatsache, dass die Stadtverwaltung tagtäglich durch einen viel zu geringen Kontrolldruck das Zuparken von Gehwegen in der Innenstadt faktisch zulässt. Aber nur wer gutgläubig und naiv ist, kann auf den Gedanken kommen, dass Fußverkehr – vor allem der in der Zukunft – sich auf Gehwegen abpielen soll. Ganz offensichtlich setzt die Stadtverwaltung mit ihrer unzureichenden Kontrolle des ruhenden Verkehrs eine schon vor Jahren vom Stadtplanungsamt promotete Idee praktisch um: Verkehrsflächen als “Begegnungszonen / Shared Space”.

Damit soll eine über 100 Jahre alte Entwicklung umgekehrt werden: die Segregation der Verkehrsteilnehmenden. Die begann mit dem Bau der ersten Bürgersteige und dem Aufstellen von Halteschildern und Ampeln. In Deutschland verstärkte sich diese Entwicklung, als in Folge des Wirtschaftswunders nach dem II. Weltkrieg die automobile Mobilität stark zunahm. Und es zu einer steigenden Anzahl an tödlicher Unfälle zwischen Autofahrer*Innen und Fußgänger*Innen kam. Ein Teil der Verkehrsplaner der Neuzeit setzen dem schon seit über 30 Jahren ein anderes Konzept entgegen.

Fußgänger*Innen als Einbremsung des motorisierten innerstädtischen Verkehrs. Zwar sinken aufgrund von technischen Innovationen die Opferzahlen schon seit langer Zeit beständig. Aber trotzdem sollen alle, die sich im öffentlichen Raum bewegen, zusammengeführt werden. Dabei sollen die Fußgänger*Innen die Geschwindigkeit für alle vorgeben, die der anderen Verkehrsteilnehmenden also senken. So wie Steuerstäbe in einem Kernkraftwerk. Nur bestehen Fußgänger*Innen aus Fleisch und Blut und nicht aus Cadmium- oder Borverbindungen.

In der Praxis führt das dazu, dass in den neugestalteten Bereichen die Unfallzahlen tatsächlich sinken. Aber wenn es kracht, ergeben sich ungleich schlimmere Verletzungsbilder. Der größte tatsächliche Unterschied zwischen den legitimen städtebaulichen Experimenten anderersorts und in Bad Kreuznach ist: dort sind in allen Modellen partizipative Planungsprozesses implementiert, durch die die Bevölkerung aktiv einbezogen wird. In Bad Kreuznach kann nicht einmal die Mehrzahl der Mandatsträger*Innen die entsprechenden Konzepte erklären.

Die Bevölkerung wird nur zu Show-Veranstaltungen eingeladen. Der international für diese Konzepte geforderte Standard von einem Selbstverständnis der Verantwortlichen und Planer als Partner*Innen der Einwohner*Innen wird in Bad Kreuznach nur nachgeplappert. Eine substantielle Information und ein tatsächlicher Dialog mit den Bürger*Innen findet nicht statt. Bedient werden lediglich Interessensgruppen. Und jener mikroskopisch kleine Teil der Bevölkerung, der sich ohne Motivation aus eigener Überzeugung engagiert.

Die Presseerklärung der Stadtverwaltung vom 19.4.2024 im Wortlaut:

“Internationales Netzwerk der Michelin-Städte: Stadt Bad Kreuznach zum Erfahrungsaustausch auf Konferenz in Anderson, USA

Das Internationale Netzwerk der Michelin-Städte (INMC) wurde 2017 von Clermont-Ferrand (Frankreich, Hauptsitz von Michelin) ins Leben gerufen. Ziel ist es, den internationalen Austausch zu stärken, der dank der Präsenz der Michelin-Werke zwischen Städten auf der ganzen Welt besteht. Die 4. INMC-Konferenz fand von 15. bis 19. April in Anderson (South Carolina, USA) statt. Auch die Stadt Bad Kreuznach als Mitglied des Netzwerks nahm daran teil. Michelin Nordamerika mit Hauptsitz in South Carolina ist ein wichtiger Teil der Michelin-Gruppe und erwirtschaftet ein Drittel des gesamten Reifenabsatzes.

Michelin Nordamerika beschäftigt rund 23.000 Mitarbeiter in 18 Einrichtungen, darunter ein hochmodernes Forschungs- und Entwicklungszentrum im Bereich der nachhaltigen Mobilität der Zukunft und des autonomen Fahrens. 150 Teilnehmer aus 20 Ländern und vier Kontinenten nahmen an der Konferenz teil. Aus Deutschland waren neben Bad Kreuznach die Städte Karlsruhe und Regensburg vertreten. Oberbürgermeister Emanuel Letz zieht ein positives Resümee aus Anderson: „Bad Kreuznach ist einer der wichtigsten Michelin-Standorte in Deutschland und darauf können wir als Stadt sehr stolz sein.

Der internationale Erfahrungsaustausch, aber auch der Gedankenaustausch mit Karlsruhe und Regensburg sind für unsere Innenstadtentwicklung, insbesondere im Bereich Stadtplanung und Mobilität, von großem Vorteil. Die Präsentationen der anderen Städte haben gezeigt, dass auch wir in Bad Kreuznach sehr gut aufgestellt sind und unser Potenzial noch weiter ausbauen können. Alle Städte haben die gleichen Herausforderungen, aber die Rahmenbedingungen sind unterschiedlich. Daher ist es umso wichtiger im Austausch zu bleiben, um gemeinsame Lösungen zu finden.“

Begonnen mit fachlichen Vorträgen von Richard Florida und John Houseal, zwei der führenden Stadtplaner in den USA, wurde schnell deutlich, dass die Herausforderungen, Zielsetzungen und Herangehensweisen in allen Städten die gleichen sind: Sicherstellungen der Mobilität, Gestaltung einer Verkehrswende sowie die Belebung der Innenstädte. Der Workshop: „Mobilität für alle“ beschäftigte sich mit kulturellen Veränderungen und Entwicklungen der Innenstadtmobilität. Welche Innovationen können zu einer effizienteren Transport- und Infrastrukturentwicklung führen?

Nathalie Herberger, Geschäftsleitung und zuständige Leitung für Städtepartnerschaften und Internationale Beziehungen, und Carsten Schittko, Abteilungsleitung Stadtplanung und Umwelt, unter anderem zuständige Leitung für den Bereich Mobilität, hielten vor einem breiten Publikum eine Präsentation zum Thema Stadtentwicklung und Mobilität in Bad Kreuznach. In den Vorträgen der verschiedenen Teilnehmer wurde darüber berichtet, dass der ÖPNV in vielen Städten ausgebaut wird, zum Beispiel über den Ausbau von Straßenbahnen. Aus Clermont-Ferrand wurde unter anderem über die Gestaltung der Mobilitätswende berichtet.

So wird dort am Wochenende ein kostenfreier ÖPNV angeboten, um den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren und ein attraktives Angebot zur Belebung der Innenstadt zu schaffen. Finanziert wird der kostenfreie ÖPNV über eine eingeführte Mobilitäts-Steuer. Ob das eine Lösung für die Stadt Bad Kreuznach sein kann oder nicht, sei dahingestellt. Wichtig ist jedoch Städte zu kennen, die solche Wege gehen, und Bad Kreuznach, aufbauend auf den Kontakten des Michelin-Netzwerks, ihre Erfahrungen mitteilen und damit Diskussionsgrundlagen liefern. Die Stadt Bad Kreuznach stellte verschiedene Verkehrsprojekte vor.

In der Präsentation gingen Nathalie Herberger und Carsten Schittko auf den Mobil- und Infopunkt, den Umbau der Mühlenstraße sowie auf eines der größten Zukunftsprojekte der Stadt ein: die Neugestaltung der Ost-West-Verbindung mit den damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten zur Attraktivitätssteigerung für Salinenstraße und Wilhelmstraße. Diese Verkehrsprojekte wurden in den Kontext der Innenstadtentwicklung gestellt und der Querbezug zu aktuellen Projekten wie etwa das Studentenprojekt „Wohnen in der Innenstadt“ hergestellt.

Alle Projekte haben gemein, Bad Kreuznach als lebenswerte und attraktive Stadt weiterzuentwickeln. Abschließend ist festzuhalten, dass die Nordamerikaner ihren Fokus nicht mehr nur auf die klassische Mobilität im Bereich Automobilverkehr legen, sondern sich am Beispiel der klassischen europäischen Stadt orientieren: kurze Wege, gemischte Quartiere (Wohnen und Einzelhandel kombiniert) und die Innenstadt zu einem Lebensraum für alle machen. Eine Mobilitätswende ist nicht nur ein Thema der Großstädte dieser Welt, sondern auch für kleine- und mittelgroße Kommunen von besonderer Bedeutung und ein wichtiges Zukunftsziel für alle.

Zusammengefasst in einem Zitat: „Oldest Form of Mobility (Walking) is now the newest to bechampioned“ Die älteste Form der Mobilität (Fußgänger) ist gleichzeitig die Mobilität der Zukunft. Die 5. INMC-Konferenz wird 2026 in Cuneo (Italien) stattfinden. Dies wurde während der Generalversammlung der Michelin-Städte bekannt gegeben, an der Oberbürgermeister Letz als Vertreter der Michelin-Stadt Bad Kreuznach teilnahm. Mehr Informationen zur 4. INMC-Konferenz unter www.inmcandersonusa.com/ und zum Internationalen Netzwerk der Michelin-Städte unter http://www.inmc21.com/en/”

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