“Wo ist Ihre christliche Seele, Herr Dr. Drumm?”

Die Stadtratssitzungen dauern lange. Am gestrigen Donnerstagabend (27.4.2023) allein drei Stunden und 45 Minuten der öffentliche Teil. Die Verstärker-Technik – oder der Umgang mit ihr – ist auf Kindergarten-Niveau angesiedelt. Manche Interferenz ist so laut, dass Geschädigte ohne Hörvorschaden locker vierstellige Schmerzengeldzahlungen gegen die Stadt durchsetzen könnten. Auch nach vielen Jahren haben einige der Stadtratsmitglieder keinen Zugang zum sachdienlichen Mikrophoneinsatz gefunden. Die entsprechenden Anwender-Hinweise von Verwaltungsmitarbeitenden werden geflissentlich ignoriert.

Trotz aller verbaler Unflätigkeiten und Aggressionen finden sich die Stadtratsmitglieder in jeder Sitzung zu einmütig oder mit großer Mehrheit gefaßten Beschlüssen zusammen. So auch gestern, als ein CDU-Antrag zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe beschlossen wurde.

Auch die simple Tatsache, dass die Mikrophonnutzung nicht allein dem Verständlichmachen im Sitzungsraum dient, sondern vor allem der Dokumentation der Aussagen auf dem amtlichen Tonmitschnitt, wird von Stadtratsmitgliedern immer wieder ignoriert. Die lautesten Brüller, meist Herren über 70, betonen – teils mehrfach je Sitzung – sie könnten sich auch ohne Mikro verständlich machen. Verbal geholzt wird mit und ohne elektronische Verstärkung. So mußte sich Dr. Herbert Drumm (MdL Freie Wähler) vom Grünen Co-Fraktionsvorsitzenden Hermann Bläsius gestern fragen lassen, “wo ist Ihre christliche Seele, Herr Dr. Drumm?”.

Der so persönlich konfrontierte antwortete mit der Einschätzung “meine Seele ist christlicher als Ihre”. Was das verbale Scharmützel weiter anheizte. Regelmäßig werden Redebeiträge durch teils intensive Unterhaltungen zwischen Stadtratsmitgliedern gestört. Dazu kommt eine teils parteiische Sitzungsleitung. Wie auf dem kreuznachgehoert.de-Mitschnitt nachzuhören ist, hat der sitzungsleitende Oberbürgermeister Emanuel Letz gestern Abend gleich mehrfach wesentlich Gleiches ungleich behandelt.

So maßregelte er u.a. das Stadtratsmitglied Wilhelm Zimmerlin (BüFEP), als der bei der Diskussion des Tagesordnungspunktes 9 an Ausspracheinhalte des TOPs 8 erinnerte. Nach Zimmerlin konnten Carsten Pörksen (SPD) und andere genau das selbe machen, also die TOP-8-Diskussion zitieren und bewerten, ohne vom OB unterbrochen und gerügt zu werden. Da sich die Verhältnisse in diesen Fragen in den vergangenen Monaten eher verschlechtert als verbessert haben und in 13 Monaten die nächste Kommunalwahl stattfindet, ist eine Verbesserung noch in der laufenden Legislaturoperiode eher unwahrscheinlich.

Die gute Nachricht ist: trotz all dieser Verhaltensauffälligkeiten findet auch Sacharbeit statt (die Berichterstattung dieser Seite folgt in den kommenden Tagen). Und unterhaltsam sind zumindest die verbalen Streitigkeiten schon. Der Besuch von Stadtratssitzungen als Zuhörer*In lohnt also in jedem Fall. Rund zwei Dutzend Einwohner*Innen haben sich dieses kostenlose Vergnügen gestern und in den Vormonaten geleistet. Nachahmung wird empfohlen. Ein paar Plätze waren noch frei. Und zusätzliche Stühle sind schnell beigebracht.