Feuerlauf im Kurpark

Schon die Ankündigung löste erste Proteste aus. Als dann die Holzscheite im Kurpark aufgeschichtet wurden, sprachen einige sogar von “Hexenverbrennungen” (die es im Mittelalter in Bad Kreuznach nicht gegeben haben soll). Nach dem Anzünden wurde in Sozialen Netzwerken vielfach der Sinn der Aktion hinterfragt. Und das Projekt als schlechtes Beispiel für Energieverschwendung in Zeiten der Heizmittelknappheit kritisiert. Was fand dort zwischen Seiteneingang des Kurhauses und der Tanzfläche im Kurpark statt? Ein Fall von “Feuerlaufen” (Pyrovasie) als “Mentaltraining für mehr Erfolg und mentale Stärke”.

Dabei schreiten die Teilnehmer*Innen barfuß über einen Laufsteg aus glühenden, zwischen 250 und 500 Grad heissen Holzkohlestücken. Angeboten werden diese “Gänge über glühende Kohlen” seit den 90ziger Jahren verstärkt im Rahmen von religiös und / oder kommerziell getragenen Motivations- und Selbsterfahrungslehrgängen. Allerdings haben weder die finanziell interessierten alternativ-therapeutischen noch religiöse Anbieter diese Methode erfunden. Vielmehr werden Feuerläufe bereits seit Jahrtausenden von Naturvölkern überall auf der Welt praktiziert.

Die gewerblichen Anbieter der Neuzeit versprechen den Probant*Innen der oft Ein-Tages- oder Wochenendeseminare “Potentialentwicklung”, die “Auflösung negativer Gedanken und schlechter Gefühle” verbunden mit einem “positiveren Blick in die Zukunft”. Die Garantie dafür, dass die Teilnehmer*Innen unversengt das andere Ende des Glutteppichs erreichen, liegt in der Bewegungsdynamik. Und in der erstaunlichen Tatsache, dass Holz, Kohle und die Asche, die die Glut umgibt, sehr schlechte Wärmeleiter sind und nur eine geringe Wärmespeicherkapazität haben.

Unter Berücksichtigung dieser Tatsache kann der Spaziergang durch die Glut verletztungsfrei gelingen, wenn die Kontaktzeit von Fußsohlen und Glut, wie bei einem nicht zu langsamen Gehen, unter einer halben Sekunde je Schritt liegt. Langsameres Gehen erhöht die Gefahr von Verbrennungen. Schnelleres allerdings auch. Denn dabei würde das Körpergewicht unwillkürlich auf Zehenspitzen und Fußballen verlagert, was die Auflagefläche auf die Glut verkleinern und damit den Druck erhöhen würde. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL schlußfolgert daraus:

“Ein schadloses Überqueren der Holzkohlenglut“ sei auch „ohne Vorbereitungszeremoniell, ohne jegliche psychophysische Ausnahmezustände, ohne Verknüpfung mit religiösen Glaubensinhalten“ und „barfuß in normaler Alltagsverfassung möglich“. Die Verbreitung dieser Erkenntnis liegt natürlich nicht im Interesse der gewerblichen Anbieter. Denn das würde ja die Nachfrage nach den Kursen reduzieren. Erfahrene Feuerläufer raten von privat organisierten Experimenten ab. Und empfehlen nicht länger als sieben Sekunden auf dem Kohlenbett zu verbringen. Das, so ein Augenzeuge, hat im Kurpark gut geklappt.