Polizei kontrolliert “Missachtung der Verbotsverfügung”

Ein Fall von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Eine Beleidigung. Und 78 eingeleitete Ermittlungsverfahren. Das ist die Bilanz des Polizeieinsatzes zur Durchsetzung des Spaziergang-Verbotes am Montagabend (24.1.2022) in der Bad Kreuznacher Innenstadt. Juristischer Ausgangspunkt der polizeilichen Maßnahmen war eine Allgemeinverfügung der Stadt (diese Seite berichtete). In dem in der vergangenen Woche in Kraft getretenen Dekret wurden jedwelche nicht angemeldeten Veranstaltungen und Versammlungen unter Hinweis auf die rasant steigenden Coronafallzahlen verboten.

Trotzdem kamen am Montagabend hunderte Menschen in die Innenstadt, um friedlich aber rechtswidrig gegen die amtliche Coronapolitik zu demonstrieren. Die Polizei spricht in ihrer Presseerklärung von einer “mittleren dreistelligen Anzahl an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet”. Diese Personen “bewegten sich auf verschiedenen Routen durch die Innenstadt”. Augenzeugen bestätigen, dass es sich dabei in der Innenstadt selbst um tatsächliche Kleinguppen von zwei bis neun Personen handelte.

In anderen Stadtbereichen, wie dem Kurgebiet, waran aber auch zahlenmäßig größere Gruppen unterwegs. Weil diese aber alle unterschiedliche Orte aufsuchten, ist eine zuverlässige Schätzung nicht möglich. Die örtliche Polizei war nach eigenen Worten “auf die Missachtung der Verbotsverfügung vorbereitet”. Fest steht, dass gegen 20 Uhr mehrere Dutzend Einsatzfahrzeuge der Polizei im Bereich Salinenplatz, Salinenstrasse, Wormser Strasse, Wassersümpchen und Baumgartenstrasse vorfuhren.

Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in diesem Bereich (“mittlere Mannheimer Strasse”) bereits einige Dutzend Passanten auf. Aber ganz offenichtlich wurde der Polizeieinsatz von diesen Passanten per Handy kommuniziert. Denn eine dreistellige Zahl von Personen strömte bis etwa 20:20 Uhr zusätzlich in diesen Bereich. Die Polizeikräfte errichteten eine Sperre längs der Baumgartenstrasse. Von den sich dort aufhaltenden über 100 Personen durften mehrere Dutzend die Kontrollzone wieder verlassen.

Auch jene Personengruppen, die südlich der WOOLWORTH-Filiale auf der Mannheimer Strasse standen, wurden in die Kontrolle nicht einbezogen. In dem von Anwesenden als “Kessel” beschriebenen Bereich fand eine Personenkontrolle statt. Dabei wurden laut Polizei 78 Personen erfasst. Diese betreffend werden “Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz und die 29. CoBeLVO werden geprüft und eingeleitet”. Einer dieser 78: Stadtratsmitglied Nelson Prieß (AfD).

Der schildert seine persönlichen Erlebnisse und Eindrücke wie folgt. Er habe sich zunächst auf dem Kornmarkt und in der Mannheimer Strasse bewegt, um sich einen Eindruck von der Lage zu verschaffen. Da ihm dabei keine besonderen Vorkommnisse aufgefallen seien, habe er sich zum Aufwärmen gegen 20 Uhr in die Gaststätte “Salinas” begeben und ein Getränk bestellt. Dort habe er dann das Eintreffen Dutzender Polizeieinheiten auf dem Salinenplatz bemerkt, das Getränk “To go” genommen und sei den anderen Menschen gefolgt.

Bis er an einer Polizeibarriere Höhe Baumgartenstrasse nicht habe weitergehen können. Es habe dann mehrere Durchsagen der Polizei “an die festgesetzten Personen” gegeben, anschließend eine Wartezeit und schließlich habe die Polizei jene, die sich freiwillig kontrollieren lassen wollten, aufgerufen. Um seinen Stadtrundgang fortsetzen zu können, habe er sich als einer der Ersten zur Kontrolle gemeldet. Dabei habe er seine Personalien angegeben und ein vorproduziertes Schreiben erhalten, in das seine persönlichen Daten nur noch handschriftlich eingesetzt worden seien.

Bei diesem Schreiben habe es sich um einen Platzverweis für die Innenstadt gehandelt. Die Kontrollmaßnahme als solche bewertet Nelson Prieß als “völlig übertrieben und unverhältnismäßig”. Die operative Umsetzung habe er als “sachlich-professionell” wahrgenommen. Er persönlich könne sich jedefalls über übertrieben aggressives Verhalten der Polizeibeamten nicht beschweren: “die haben eben ihren Job gemacht”. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch Jörg Fechner, der ebenfalls für die AfD im Stadtrat sitzt.

Fechner gehörte zu jener, in seiner Wahrnehmung mehrfach dreistelligen Passantenschar, die wegen des Polizeieinsatzes in der mittleren Mannheimer Strasse zusammengelaufen war, aber nicht festgehalten und kontrolliert wurde. Seine Absicht war es nach eigenen Worten zu einer Deeskalation beizutragen. Mit diesem Ziel führte er mit mehreren Polizeibeamten Gespräche, die nach einem “etwas holprigen Beginn sehr sachlich verliefen”. Dabei hätten auch Polizeibeamte anerkannt, dass es in Bad Kreuznach bisher keinerlei Gewalt und ähnlich unerfreuliche Vorfälle, wie sie aus anderen Städten bekannt sind, gegeben habe.

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