Der Demokratieabbau beginnt heute im Finanzausschuss

Die Meinung unseres Redakteurs
Claus Jotzo

Der Bote erscheint und ist unverdächtig. Und daher für diese Aufgabe bestens geeignet. Drei Tage vor Beginn der Beratungen des Stadthaushaltes für 2022 (heute ab 15 Uhr öffentliche Sitzung im Sitzungssaal Brückes 2-8) verschickte Kämmereiamtsleiter Thomas May im Auftrag der Oberbürgermeisterin die neuen Regeln für die Ausschussarbeit im Finanzausschuss. Unter Bürgermeister Wolfgang Heinrich war es eine gute Praxis, dass alle direkt demokratisch legitimierten Mandatsträger*Innen (Stadtratsmitglieder und Ortsvorsteher) bei den Etatberatungen reden durften.

Kaum verfügt die Oberbürgermeisterin auch über die Kämmerer-Macht (als Vertreterin des seit dem 18.11.2021 ausser Dienst befindlichen Bürgermeisters), hat sie diese Rederechte beschränkt. Wie wenig Widerstand Dr. Kaster-Meurer von CDU und FDP erwartet, die im OB-Wahlkampf immerhin mit Gegenkandidat*Innen aufwarten, wird durch die Art und Weise ihrer Verfügung deutlich. Sie läßt den Kämmereiamtsleiter wie einen Büttel “Par ordre du mufti” die neuen Regeln als “Hinweise” verkünden. Der schreibt wörtlich: “Entgegen der sonst üblichen Arbeitsweise im Finanzausschuss werden nur die Finanzausschussmitglieder ein Rederecht haben.

Wir bitten dafür um Ihr Verständnis”. Das wird bei dem überwiegenden Teil der Mitglieder des Finanzausschusses groß sein. Denn dem ein oder der anderen dort ist es schon lange ein Dorn im Auge, Widerspruch von Stadtratsmitgliedern anhören zu müssen, die dem erlauchten F-Kreis nicht angehören. Stimm- und Antragsrecht hatten die unter Heinrich redeberechtigten Nichtausschußmitglieder natürlich nicht. Aber schon das Rederecht wurmte jene, die gern selbst die Richtung vorgeben. Und erst recht jene, die mangels klarer Gedankenführung oder Problemen beim sprachlichen Ausdruck rhetorisch nicht so glänzen können.

Und daher mehr unfreiwillig durchgehend die Klappe halten – die Darstellungsmöglichkeit für Dritte aber unbedingt verhindert sehen möchten. Wie groß der Schaden ist, den das Redeverbot leichtfertig für die städtische Demokratie anrichtet, wird durch nichts deutlicher, als die verlogene Position von FDP und Grünen in dieser Frage. Vor 25 Jahren, als ich selbst als Mitglied des Rates der Stadt und des Finanzausschusses dort Rede- und Stimmrecht hatte, zählten FDP wie Grüne zu den kleinen Gruppierungen.

Unter dem Vorsitz von Rolf Ebbeke nahmen daher die grünen und liberalen Stadträte gern die vom früheren Oberbürgermeister (t) praktizierte und von Wolfgang Heinrich fortgeführte Regelung in Anspruch, auch ohne Ausschußplatz bei den Etatberatungen mitzureden. Heute mit acht (Grüne) bzw sechs (FDP / Faire Liste / Freie Wähler) Stadtratssitzen zu den früheren Volksparteien quantitativ aufgeschlossen, wollen sie davon nichts mehr wissen. Und schämen sich nicht Corona als schmutziges Deckmäntelchen für die Ausgrenzung von Meinungen und Sachbeiträgen zu mißbrauchen.

Das ist die Bad Kreuznacher Realität des Jahres 2021: wenn es der Oberbürgermeisterin paßt, wie zuletzt im Planungsausschuss, dürfen einzelne Bürger*Innen minutenlang und mehrfach das Wort führen, um ihre persönlichen Interessen zu vertreten. Und wenn Tage später das wichtigste Dokument des jährlichen kommunalpolitischen Arbeitens beraten wird, dann werden sogar gewählte Ratsmitglieder ausgeschlossen. Heute interessiert das leider kaum eine(n) in der Stadtgesellschaft.

Die Menschen haben aktuell andere Sorgen. Die Mitwirkung an öffentlichen Entscheidungen wurde ihnen über Jahrzehnte konsequent abgewöhnt. Aber wenn die Einwohner*Innen besser informiert werden, wenn sie irgendwann erkennen, welche Möglichkeiten zur Mitwirkung ihnen vorenthalten wurden, schafft das die Basis für grundlegende Veränderungen. Dann werden alle zur Verantwortung gezogen, die etwa wegen ein paar Minuten eingesparter Sitzungszeit demokratische Grundwerte aufs Spiel gesetzt haben.