EILMELDUNG: Bürgermeisterstelle bleibt noch Monate vakant

Bewertung unseres Redakteurs
Claus Jotzo

Heute Vormittag (8.11.2021) verhandelte das Verwaltungsgericht Koblenz die Klage des amtierenden Bürgermeisters Wolfgang Heinrich (parteilos) gegen die Stadt Bad Kreuznach. Der aus Sicht von Beobachtern auf eine “knappe” dreiviertel Stunde angesetzte Termin dauerte nicht einmal 20 Minuten. Deren wesentliche Erkenntnis lautet zusammengefaßt: die Bürgermeisterstelle der Stadt Bad Kreuznach wird wohl noch viele Monate vakant bleiben. Denn selbst wenn sich das Gericht der Herausfordung, in neuer Besetzung ein Urteil zu sprechen, zügig stellt: wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wird dies nicht das letzte Wort sein, dass in dieser Causa gesprochen und geschrieben wird.

Rechtsanwalt Dr. Eberhard Baden und sein Mandant Wolfgang Heinrich zeigten sich nach der kurzen Verhandlung sehr optimistisch.

Dazu liegen sowohl die Sachdarstellung als auch die juristische Bewertung beider Seiten viel zu weit auseinander. In der Kammer hat es unmittelbar vor dem Sitzungstag eine personelle Veränderung gegeben: eine Berufsrichterin ist kurzfristig ausgeschieden und mußte ersetzt werden. Der Vorsitzende Richter Christoph Gietzen, seit März diesen Jahres auch Vizepräsident des Verwaltungsgerichts, führte kurz in vom Gericht zu entscheidende Problematik ein. Als erste Hürde für den Kläger beschrieb er die Prüfung der Klagebefugnis.

Nahmen als interessierte Zuhörer an der Verhandlung in Koblenz teil: Stadtratsmitglied Gerhard Merkelbach, dessen Ratskollege und Landtagsabgeordneter Dr. Herbert Drumm und der stellvertretende Bosenheimer Ortsvorsteher Kay Maleton (von rechts).

Bereits hier habe sich die Kammer in alter Besetzung in der unverbindlichen Vorberatung die Frage gestellt, ob diese gegeben ist, da der Kläger doch alle ihm gesetzlich garantierten Mitwirkungsrechte habe nutzen können und genutzt habe: die Bewerbung, die Kandidatur am 24. Juni 2021 und eine Teilnahme an der Wahl in dieser Stadtratssitzung. Und auch bei der Vorbetrachtung der Begründetheit der Klage seien Fragen erörtert worden, etwa “wer ist das zuständige Organ?” und “wer legt die Ausschreibungsfristen fest?”.

Diesem oberflächlich betrachtet für den Kläger ungünstigen Überlegungen folgte dann ein sehr kurzer Bericht des sachbearbeitenden Richters, in dem Ablauf bzw Ergebnis für die Sache relevanter Hauptausschuß- und Stadtratssitzungen im Detail unzutreffend dargestellt wurden mit der Einschränkung “so wie wir es verstanden haben”. Das führte zu kurzzeitiger Unruhe im Sitzungssaal, in dem als Zuhörer vier Augenzeugen der entsprechenden Sitzungen sassen. Der Vorsitzende Richter gab danach zunächst dem Prozeßvertreter des Klägers, Dr. Eberhard Baden, die Möglichkeit zum Vortrag von Ergänzungen.

Dieser verzichtete vor dem Hintergrund reichhaltiger Prozeßerfahrung auf weitere Ausführungen. Schriftsätzlich hatte der Fachanwalt für Verwaltungsrecht nicht nur die Fragen des Gerichtes schlüssig beantwortet, sondern auch die Position der Stadtverwaltung argumentiv zerlegt. Und beschädigte, auch vor dem Hintergrund der nachstehend noch aufgezeigten Gesamtsituation, die Aussichten seines Mandanten in der nächsten Instanz nicht durch besserwisserische Richterschelte. Stadtrechtsdirektorin Heiderose Häußermann mochte bei der ohne Stadtratsbeschluß erfolgten Verlängerung der Ausschreibungsfrist vom 30. April auf den 31. Mai “keine wesentlichen Fehler” erkennen.

Deren bereits am 19.4. im Hauptausschuß besprochene, von der Oberbürgermeisterin am 20.4. per Vermerk in Auftrag gegebene und am 24.4. veröffentlichte Verlängerung stehe in keinem Zusammenhang mit der am 21.4. von Bürgermeister Heinrich vorgelegten Bewerbung. Sondern habe ausschließlich dem Ziel gedient, “damit sich die Fraktionen im Stadtrat ein möglichst gutes Bild machen können und es einen Bewerberkreis gibt”. Was den Vorsitzendne Richter zu der Bemerkung veranlaßte: “die Probleme liegen auf der Hand”. Anschließend kam Thomas Blechschmidt zu Wort, den das Gericht als Betroffenen amtlich beigeladen hatte.

Er habe seine Bewerbung erst am 31. Mai abgegeben, weil er zunächst für sich einige Fragen habe klären müssen. Zuvor hatte Blechschmidt auf das Stellen eines eigenen Antrages verzichtet, nachdem ihn das Gericht darüber belehrt hatte, dass er mit einem solchen am Prozeßkostenrisiko teilnehme. Bürgermeister Wolfgang Heinrich, dem als Kläger das letzte Wort zugestanden hätte, verzichtete auf eigene Ausführungen (Kommentar eines Zuhörers: “hätte er das häufiger mal im Finanzausschuß gemacht, säßen wir jetzt nicht hier”). Mehrfach stellte der Vorsitzende Richter im Rahmen der Verhandlungsführung und in seinem Schlußwort heraus, dass die Kammer, anders als geschäftsüblich, keinen richterlichen Hinweis zum Ausgang des Verfahrens geben werde.

Mit der schriftlichen Mitteilung des Urteils sei in den kommenden 14 Tagen zu rechnen. Doch ganz egal, wie dieses Urteil ausgeht, einen Schlußstrich in der Bürgermeisterfrage wird es nicht ziehen. Denn wenn das Verwaltungsgericht die Argumente des Klägers bei seiner endgültigen Gewichtung doch noch angemessen abwägt und Wolfgang Heinrich Recht gibt, wird sich die Stadt kaum damit abfinden. Der Stadtrat kann aber aus formalen Gründen, weil nämlich u.a. keine Eilbedürftigkeit im Rechtssinne besteht, selbst bei schneller Vorlage des Urteils nicht am 22. November 2021 über seine weitere Vorgehensweise entscheiden, sondern erst in der Dezembersitzung.

Und über eine ggf dann eingelegte Berufung beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) wird erfahrungsgemäß dort nicht vor dem Frühjahr nächsten Jahres entschieden. Umgekehrt ist die Lage noch klarer. Auf Anfrage dieser Seite zeigte sich Bürgermeister Heinrich nach dem Ende der mündlichen Verhandlung tiefenentspannt. Er wies mit der rhetorischen Eleganz, die ihm nach Einschätzung seiner Kritiker in Gremiensitzungen mitunter fehlte, darauf hin, dass er gegen einen Gerichtsentscheid, der ihm die Klagebefugnis bestreitet, “nach sorgfältiger Prüfung der Urteilsgründe Berufung einlegen” kann, was dazu führt, “dass das Urteil nicht rechtskräftig wird”.

Mit der Konsequenz, “dass der Beigeladene (Anmerkung der Redaktion: Thomas Blechschmidt) bis zum Abschluss des Verfahrens nicht ohne möglichen Regressanspruch ernannt werden kann”. Über derart komplexe Implikationen macht sich die Oberbürgermeisterin keine Gedanken. Dr. Heike Kaster-Meurer ließ die Stadtpressestelle am Nachmittag ihre Sichtweise verbreiten: “Kläger Heinrich moniert, dass die Fristverlängerung für die Bewerbungen nicht formgerecht gewesen sei. Ich bin überzeugt, dass alles seine Richtigkeit hatte und bin daher zuversichtlich, dass das Gericht dies auch so sieht und wir den gewählten Bürgermeister Thomas Blechschmidt schon bald ernennen können und er mit seiner Arbeit für die Bürgerschaft beginnen kann.“

Garniert mit dem Schlußsatz: “die Amtszeit von Wolfgang Heinrich läuft am 17. November ab”. Dabei hat das juristische Tauziehen um das Bürgermeisteramt jetzt erst begonnen. Und die Schwergewichte sind erst am Wochenende an ein Stück vom Seil gekommen. Durch ein Schreiben der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier. Die hat nämlich den drei Stadtratsmitgliedern, die gegen die Wahlhandlungen vom 24. Juni 2021 im Stadtrat Beschwerde eingelegt haben (diese Seite berichtete), auf den 3. November 2021 datierte Zurückweisungsbescheide geschickt, die am Samstag vergangener Woche zugestellt wurden.

Ausdrücklich darin vermerkt: die Rechtsbehelfserklärung mit dem Hinweis auf die einmonatige Klagefrist. Zwei der drei Beschwerdeführer haben bereits angedeutet von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Das hat nicht nur ein erst im Dezember beginnendes, vielmonatiges Verfahren in der ersten Instanz zur Folge. Vor allem ist damit die im Fall der Klage des Bürgermeisters aus Sicht des Gerichtes als Problem gesehene Klagebefugnis im Fall dieser drei Stadtratsmitglieder ausgeräumt. Es wird also in jedem Fall zur inhaltlichen Klärung in der Sache kommen. Und damit zur Aufdeckung der Verfahrens- und Beschlußabläufe im Zusammenhang mit der Ausschreibung.

Das einzige Argument der Stadt in diesem Zusammenhang ist ein Urteil aus den achziger Jahren, das die Position der Stadt stützt. Deren Rechtsamt hat dabei allerdings übersehen, dass sich die Rechtslage in den neunziger Jahren durch eine Umformulierung im Gesetzestext dramatisch verändert hat. Bürgermeister Heinrich hat all das von Anfang an im Auge gehabt. Und stellt daher gelassen fest: “manchmal kommt die Gerechtigkeit halt etwas später, aber sie kommt im Rechtsstaat in der Regel. Vollendete Tatsachen bis zum Verfahrensabschluss wird es vorliegend nicht geben. Fazit: Die Mühlen der Justiz mahlen langsam aber gründlich. Es kann im Interesse der Gerechtigkeit noch lange dauern. Die Zeit muss man sich nehmen”.

Das gilt vor allem für Thomas Blechschmidt. Er kann sich kaum darauf einlassen vor einem rechtskräftigen Abschluß aller Verfahren eine Bestellungsurkunde der OBin anzunehmen. Denn wenn auch nur einer der Kläger sich bei Gericht letztinstanzlich durchsetzt, muss er den Posten wieder räumen und wäre auf Zeit rechtswidrig im Amt gewesen. Dieser Bewertung kann sich ein Kommunalpolitiker, der mit der Motivation antritt, Gutes für die Stadt zu bewirken, kaum aussetzen. Und auch die drei Blechschmidt mehrheitlich stützenden Fraktionen von CDU, SPD und Grünen plus die FDP dürften vor dem Risiko einer vorzeitigen Amtseinweisung zurückschrecken. Vor allem vor den politischen Folgen und der Meinungsbildung in der Bevölkerung, die das Possenspiel um formale Fehler der aktuell Regierenden bis zur Kommunalwahl im Mai 2024 nicht vergessen wird (weiterer Bericht folgt).