Freundeskreis Kreiznacher Johrmarkt e.V. belebt die Tradition der “Entwanzung”

Gastbeitrag von Dieter Gronbach:
Begrüßungsrede zur Entwanzungsfeier 2021
am 22.8.2021 im Bonnheimer Hof

Ich freue mich sehr, Sie alle zur diesjährigen Entwanzungsfeier und unserem Spansauessen begrüßen zu dürfen. Wir führen die beiden Veranstaltungen dieses Jahr gemeinsam – trotz des ausgefallenen Jahrmarktes – durch, weil wir nicht ein weiteres Jahr warten wollten. Auch der Jahrmarktskalender ist mit großem Erfolg wieder erschienen. Wenn schon der Jahrmarkt wieder ausfällt, wollen wir ihm mindestens mit unserem üblichen Rahmenprogramm gedenken! Im Jahr 2015 hat unser Freundeskreis den alten Brauch der Entwanzung wieder aufleben lassen.

Schon vor 1900 wurden in Kreuznach Zugezogene als Wanzen bezeichnet und bereits 1905 wurden erste Kriterien für Entwanzungen entwickelt, die bis in die 70er Jahre von Karnevalisten durchgeführt wurden. Dabei werden verdiente Mitbürger, die nicht in Bad Kreuznach geboren sind, einem „echde Kreiznacher“ gleichgestellt. Dies hat Gerd Menne, dessen Entwanzung im August 2020 durch seinen Paten Oliver Holste vorgesehen war, leider nicht mehr erlebt, da er im Februar 2020 verstorben ist. Gerd Menne aus Baumholder war Fußballprofi in der Geburtsstunde der Fußballbundesliga beim VfB Stuttgart und später Trainer beim FC Augsburg und Mainz 05.

Über Jahrzehnte führte er ein Sportgeschäft in Bad Kreuznach und war für die SG Eintracht als erfolgreicher Trainer und in weiteren Funktionen tätig. Ebenfalls für 2020 war die Entwanzunmg von der Frau Heike Sellen mit ihrem Paten Dr. Andre´Borsche, vorgesehen, die wir nun in diesem Jahr herzlich begrüßen dürfen. 2021 wollen wir besonders auf den Berufszweig der Schausteller aufmerksam machen, die in der Coronazeit erhebliche Entbehrungen und Verluste hinnehmen mussten und sich trotzdem nicht „unterkriegen“ ließen.

Sie haben alternative Standplätze in der Innenstadt und vor Verbrauchermärkten gefunden, an Ersatzveranstaltungen mitgewirkt oder sie sogar selbst organisiert und durchgeführt sowie neue Vertriebswege, z.B. über das Internet erschlossen und so erfolgreich Wege zur Selbsthilfe gefunden. Erwähnenswert ist ferner, dass sie auch uns damit ein Stück Normalität und Jahrmarkt- und Kirmesfreude ermöglicht haben. Wir begrüßen Frau Judith Hummerich-Brakhuis mit Ehemann und ihren Paten Ralf Leonhard sowie Dieter Klinkerfuß mit Ehefrau und seinem Paten, dem Kreuznacher „Schausteller-Urgestein“ Eitel Gräff.

Bevor der Taufakt und die Übergabe der Urkunde und der Ehrennadel erfolgt, stelle ich Ihnen alle Beteiligten persönlich vor:

Vita Heike Sellen

Frau Heike Sellen, geborene Weinrich, kam am 12.1.1951 in Neukirchen, Kreis Moers, zur Welt. Nach dem Tod Ihrer Mutter im Jahr 1952 kam die Vollwaise in das Haus ihrer Großeltern nach Bad Kreuznach. Ihr Vormund war der Kreuznacher Kommunalpolitiker Franz Dankelmann, der von 1961 – 1970 auch Jahrmarktsbürgermeister war. Nach Schul- und Berufsausbildung zur Friseurin entstanden bereits Ende der 60ziger als Volontärin am Theater in Frankfurt/Main erste Kontakte zur Bühne. Dieser Bereich entsprach ihren Hobbys und Aktivitäten, die sie auch heute noch gerne pflegt: Lyrik, Musik, künstlerische Gestaltung, Malen, Zeichnen und Lesen.

Hauptberuflich wählte sie jedoch den sicheren Weg: sie wurde Beamtin beim Fernmeldeamt und war dort 30 Jahre, bis zur Versetzung in den Vorruhestand im Jahr 1998, tätig. Als Ausgleich übte sie in ihrer Freizeit intensiv ihre Hobbys aus: Sie spielte Bassgitarre in einer Mädchenband, war Laienschauspielerin im Theater, hielt Vorträge im Karneval, schrieb Gedichte und Bücher und war von 1992 bis 2014 in zahlreichen Radio- und Fernsehsendungen zu sehen und zu hören. Ihre besondere Liebe galt dabei dem „Kreiznacher Platt“, also der hiesigen Mundart. „Mundartdichterin“ ist daher eine Bezeichnung, mit der sie sich gerne identifiziert.

Eine hohe Zahl ihrer Gedichte und Beiträge im SWR Hörfunk und Fernsehen sowie beim HR, bei RTL und bei SAT galt in Sendungen wie: Glaskasten, Landesschau, Hier zu Lande, Fröhlicher Weinberg, Treffpunkt, Fröhlicher Alltag, Ein perfekter Tag, daher auch diesem Thema. Erfolgreich war sie über Jahre auch mit eigenen Mundartabenden und in den letzten Jahren mit der Organisation von Benefizveranstaltungen für die „Aktion Herzenssache“ und Interplast. Trotz ihrer nicht leichten Jugend- oder vielleicht gerade deshalb- ist sie eine Frohnatur geworden, die sich mit einer positiven Lebenseinstellung zu einer selbstsicheren und kontaktfreudigen Person entwickelt hat.

In ihrer zupackenden Art sieht sie, wo Hilfe notwendig ist und wird entsprechend tätig. So gründete sie 2017 den Verein „CreuznachCon Cuore“ zur Unterstützung hilfebedürftiger Kinder. Dort arbeitet sie auch erfolgreich mit Dr. Borsche zusammen, der deshalb auch heute ihr Pate sein wird. Für ihr ehrenamtliches Engagement wurde Frau Sellen 2018 mit dem Sozialpreis der Hans und Ilse Staab Stiftung ausgezeichnet. Auch auf die Entwanzung durch Ihren Paten Dr. Andre Borsche und damit die Anerkennung als „echde Kreiznacherin“ freut sich die Mutter einer Tochter und stolze Großmutter von zweimal Zwillingen nach eigener Aussage sehr.

Vita Dr. André Borsche

Er ist der ideale Pate für Heike Sellen, da er alle Kriterien und Aktivitäten, die auch für Frau Sellen im Vordergrund stehen, vereinigt: In Berlin in eine Künstlerfamilie geboren. Der Vater spielte im Berliner Philharmonischen Orchester unter Karajan und widmete sich der abstrakten Malerei. Sein Onkel Dieter Borsche war in den 50er Jahren ein deutscher Filmstar der Nachkriegszeit. Der studierte Mediziner, der hauptberuflich als Chefarzt in der Diakonie tätig ist, wurde überregional bekannt durch seinen ehrenamtlichen Einsatz bei INTERPLAST. Seit Jahren opfert er eines großen Teils seines Jahresurlaubes, um für unzählige arme Patienten unmittelbare direkte Hilfe zu leisten. Seit 1990 reist er mit seinem Team regelmäßig in die ärmsten Winkel der Welt.

Meistens tatkräftig unterstützt durch seine Frau Dr. Eva Borsche, war er insgesamt über 50 x mal in Indien, Brasilien, Peru, Ruanda, Kamerun, Sierra Leone, Tansania, Guatemala, Nepal, Iran, Tschetschenien, Haiti und Bolivien aktiv im Einsatz. Dafür erhielt er das Bundesverdienstkreuz und zahlreiche weitere Auszeichnungen, so jüngst das Siegel „TOP-Mediziner 2021“ der Redaktion des Magazins „Focus Gesundheit. Für uns war es eine Ehre, ihn im Jahr 2016 zu entwanzen und als Kreuznacher aufzunehmen. Mit Frau Sellen ist er auch durch die Arbeit im Verein Creuznach Con Cuore verbunden. Taufspruch Frau Sellen: Das am meistens unterschätzte Geschenk Gottes an die Menschen ist der Humor.

Vita Dieter Klinkerfuß

Dieter Klinkerfuß wurde am 20. Februar 1958 in Wiesbaden geboren. Er stammt in 4. Generation aus einer traditionellen Schaustellerfamilie. Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Schulzeit, die er zum großen Teil auf der Reise absolvierte, trat er in den elterlichen Betrieb ein. Nach dem frühen Tod seines Vaters musste er mit 16 Jahren die Familie und den Betrieb führen. Dabei war ihm der Erwerb des Führerscheines mit 17 Jahren, der ihn zu Fahren der Transporte berechtigte, eine wertvolle Hilfe. Nach der Hochzeit mit seiner „Kinderliebe“ Gertrud Rosskopf im Jahr 1984 schied er mit Ablauf der Saison aus dem Betrieb aus, der in der Folgezeit von seinem Bruder geführt wurde.

Er wechselte in den Schaustellerbetrieb seiner Schwiegereltern Goswin und Lore Rosskopf nach Bad Kreuznach, einer der guten alten Schaustellerdynastien in unserer Stadt. Das Ehepaar hatte sich über viele Jahrzehnte gute Stellplätze in unserer Region gesichert und der Schwiegersohn brachte seine handwerklichen Fähigkeiten im Fahrzeugbau ein. Er baute zum Beispiel einen neuen Kassenwagen und gestaltete den Fahrzeugbestand zu Containerwagen um, was die Transporte erheblich erleichterte. 1990 gründete er mit seinem Schwiegervater eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und beide Partner modernisierten den Betrieb und bauten ihn aus. So kamen z.B. ein neuer Autoscooter, zwei Kinderkarussells und ein Ausschankwagen hinzu.

Der Tod seiner agilen und aktiven Schwiegermutter Lore im Jahr 2005 erforderte eine neue Aufgabenverteilung im Familienbetrieb, die gemeinsam gemeistert wurde. Zudem galt die Fürsorge der Familie dem verbliebenen Ehemann Goswin, der bis ins hohe Alter (er starb 2016 89jährig) noch in seinem Kassenhäuschen saß und von vielen Kirmes- und Volksfestfreunden in unserer Region wegen seiner ruhigen und gutmütigen Art geschätzt wurde.

Als Dieter Klinkerfuß 2020 einen Herzinfarkt erlitt und Einschränkungen hinnehmen musste, nahm er auch gerne die Hilfe seiner im Jahr 1986 geborenen Zwillinge entgegen. Obwohl beide zwischenzeitlich eigenen Geschäften nachgehen (einer davon ebenfalls wieder im Schaustellergewerbe), helfen beide aus, wenn „Not am Mann“ ist. Hier findet sein Lebensmotto, das wir gleich von seinem Paten hören, praktische Anwendung. Das Ehepaar Klinkerfuß verfügt aktuell über sieben Geschäfte (1 Autoscooter, 1 Schießwagen, 1 Ausschank -Cadillac Treff, 3 Kinderfahrgeschäfte und 1 Toilettenwagen) mit denen sie die Festplätze in unserer Region bereichern und den Besuchern Freude bereiten.

Vita Pate Eitel Gräff

Eitel Gräff dürfte wohl der „Alterspräsident“ der aktiven Schausteller in Bad Kreuznach sein! Auch mit über 80 Jahren arbeitet er noch an seinen Geschäften, insbesondere dem Kinderkarussell und dem Schießwagen mit. Seit den 60zigern, nach dem Tod seines Vaters, steht er an der Spitze des Familienunternehmens. Die nächste Generation mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter packt aber bereits zunehmend an und steht für eine Betriebsübernahme „nach Corona“ bereit. Eitel Gräff – übrigens ein Cousin des legendären Goswin Rosskopf – stammt aus einer Schaustellerfamilie, die seit mehr als hundert Jahren, nämlich seit 1903 besteht.

Sein Vater hatte mehrere Rundfahrgeschäfte, die heute Kultcharakter haben: Das doppelstöckige Etagenkarussell mit seinen Pferdefiguren und der Schwanenflieger, einem Kettenflieger, der über Jahrzehnte zu den Attraktionen auf den Volksfesten der Region zählte. In der Folgezeit baute Eitel Gräff mit seiner Ehefrau den Betrieb aus und modernisierte ihn. Wenn er mit seinem Rückzug „nach Corona“ wirklich ernst macht, wird ihm auch mehr Zeit für sein Hobby „Angeln“ verbleiben und man wird ihn öfter am Weiher in Langenlonsheim oder an der Nahe treffen können. Heute übernimmt er eine Entwanzung, die quasi in der Familie bleibt. Taufspruch (Lebensmotto) Dieter Klinkerfuß: Allein sind wir nichts, gemeinsam sind wir alles.

Vita Judith Hummerich-Brakhuis

Judith Hummerich wurde als Tochter der Schaustellerfamilie Hummerich aus Mengerschied in vierter Generation 1968 in Simmern im Hunsrück geboren. Ihre Eltern gehörten mit ihrer Mandelbrennerei über Jahrzehnte zu den Stammbeschickern unseres Jahrmarktes und wurden 1988 für ihre 25. Teilnahme geehrt. Frau Hummerich half Ihren Eltern schon von Kindesbeinen an im Geschäft mit und der persönliche Kontakt zu den Kunden gefiel ihr. Nach der Schulausbildung lernte sie daher zunächst Verkäuferin und später Einzelhandelskauffrau. Da ihr -nach eigener Aussage- das Schaustellergewerbe „im Blut liegt“ übernahm sie den Betrieb der Eltern und machte sich selbstständig.

Vor mehr als 25 Jahren kam sie nach Bad Kreuznach und siedelte später auch ihren Betrieb im Stadtteil Winzenheim an. Zwischenzeitlich wurde auch sie für die 50. Teilnahme ihres Betriebes am Jahrmarkt geehrt. Ihr Angebot umfasst ein umfangreiches Spektrum an Süßwaren, wie zahlreiche Mandelsorten, Magenbrot, Negerküsse, Lebkuchenherzen, Zuckerwatte u.ä. und ich habe dabei sogar noch Kaugummizigaretten entdeckt, an denen ich in meiner Kindheit viel Freude hatte. Sie geht mit der Zeit und bietet alle diese Artikel auch ganzjährig in einem online-Shop an. Während der Corona-Zeit hat sie zudem Event-Pakete kreiert und mit Erfolg angeboten. Aktuell ist sie auch bei ihrem ehrenamtlichen Engagement.

Bei den Johannitern hat sie als Corona-Testerin mitgearbeitet. Die Beisitzertätigkeit im Schaustellerverband mit dem Bereich Marketing übt sie nach wie vor aus. Die wenige Freizeit genießt sie in ihrer großen Familie. Zu ihrer leiblichen Tochter kamen durch Eheschließung vier weitere Kinder hinzu und zwischenzeitlich ist sie sechsfache Großmutter. Familientreffen finden oft in Friesland statt, einer Region die sie lieben gelernt hat und aus der Ihr Mann stammt, was der Name Brahuis nachdrücklich unterstreicht. Er kam aus beruflichen Gründen an die Nahe und ist hier heimisch geworden. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und freuen uns auf Ihre Entwanzung. Ihr Taufpate ist der Vorsitzende des Bad Kreuznacher Schaustellerverbandes Ralf Leonhard.

Vita Ralf Leonhard

In Bad Kreuznach ist das Schaustellergewerbe eng mit dem Namen Ralf Leonhard verbunden, der sich durch sein ehrenamtliches Engagement im hiesigen Schaustellerverband einen guten Namen gemacht hat. Ralf Leonhard, der 1966 in Bad Kreuznach im St. Marienwörth geboren wurde, übt diesen Beruf seit 30 Jahren aus. Seine Liebe zu diesem Gewerbe entstand bereits mit 14 Jahren, als er in seiner Freizeit Helfer in dem Schaustellerbetrieb von Lore und Goswin Rosskopf wurde, mit denen er schon seit Kindesbeinen -durch die unmittelbare Nachbarschaft zum Winzenheimer Kirmesplatz- eng verbunden war. Beruflich war er ausgebildeter Elektrotechniker, der anschließend als Versicherungsvertreter kaufmännische Berufserfahrung sammelte.

Seine technischen und praktischen Fähigkeiten sowie seine kaufmännischen Kenntnisse brachte er ab 1991 in seinen eigenen Betrieb ein, den er mit einem Kinderkarussell eröffnete. Zwischenzeitlich ist Leonhard nur noch mit Eisbuden auf der Reise. Sein zweiter Geschäftszweig ist das Eventmanagement. Ehrenamtlich ist er seit 2006 im Schaustellerverband tätig, zunächst als Schriftführer und seit 2008 als Vorsitzender. Er hat den Verband Bad Kreuznach zu einem wichtigen Regionalverband im Deutschen Schaustellerbund gemacht. Von 2016 -2018 war er dessen Vizepräsident mit dem Aufgabengebiet Marketing. Taufspruch (Lebensmotto) für Frau Hummerich: Immer wenn Du meinst es geht nicht mehr – kommt von irgendwo ein Lichtlein her!

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