Leserbrief des Dr. Andreas Popp zur aktuellen Stadtpolitik

Leserbrief von
Dr. Andreas Popp

Verkehrswende gegen Klimawende, das ist die Devise. Man will den CO2-Ausstoß des Autoverkehrs verringern. Also alle rauf auf ́s Fahrrad! Man baut also ein millionenteures, für den Nutzer aus diversen Gründen leider unpraktisches Rad-Parkhaus und kippt ein paar Eimer rote Farbe auf die Straßen. „Angebot schafft Nachfrage“ belehrt uns unser OB. Andererseits: kommt auf ́s Angebot an. Kürzlich folgte ich mutig radelnd ( ich besitze kein Auto ) den Piktogrammen und roten Markierungen auf der Wilhelmstraße, als sich ein 20-Tonner an meine Fersen heftete, der wegen des Gegenverkehrs nicht überholen konnte.

Ich rief meinen Schutzengel zu Hilfe, ganz so, wie es unsere OB derzeit noch empfiehlt (Zitat Öffentlicher Anzeiger vom 12.7.). Doch das Rettende ist ja nah, denn die Geschwindigkeit soll auf 30 km/h beschränkt werden, was auch ohne Kontrollen (siehe hierzu auch die Rüdesheimer Strasse) besagtes Angebot schlagartig verbessern wird. Vielleicht sollte man vorsichtshalber ein Schutzengeldezernat mit zunächst 12 Planstellen (unter der Leitung unserer OB?) einführen. Wie ernst es unseren Stadtoberen mit der Einsparung von CO2 tatsächlich ist, wird daran deutlich, dass der Autoverkehr im Laufe der letzten 10 Jahre um 20 % zugenommen hat.

Frage: warum? Vielleicht auch deshalb, weil die Stadt seit Jahren Bauprojekte in der Peripherie fördert bzw ermöglicht. Und da stehen dann die Doppelgaragen, noch bevor der Richtkranz baumelt. Vielleicht auch deshalb, weil z B ein weiterer Verbrauchermarkt, dieses mal auf dem Grundstück vom früheren Glas Hüge in der Bosenheimer Straße genehmigt wird, auf dessen Parkplatz Raum für tausende zu erwartender Fahrräder sein wird. Abgesehen von z.B. einem weiteren Autoparkplatz in der Gymnasialstraße, hier aus Klimaschutzgründen projektiert mit einer kleinen Wiese.

Man schafft also stadtplanerisch eine so genannte „Donut-Struktur“, innen hohl und außen fett, beklagt aber gleichzeitig den Leerstand in der Innenstadt. Ein letzter Kritikpunkt: „Jede noch so kleine Aktion zum CO2-Sparen zahlt sich aus. Also mitmachen… “motiviert” uns unsere OB, sorgt aber (als Baudezernentin und Aufsichtsratmitglied bei Gewobau und Sparkasse) für immer mehr Beton in und um Kreuznach herum, und widersetzt sich der städtebaulichen Erkenntnis, dass Erhaltung und Instandsetzung des vorhandenen Baubestandes ökologisch und ökonomisch sinnvoller sind als die Errichtung von Neubauten.

Denn, für unsere Baudezernentin sicher ein alter Hut, bei der Herstellung von einer Tonne Zement pustet man ebensoviel, nämlich eine Tonne CO2 in die Atmosphäre. Darum: mehr wandern, mehr radeln und immer schön das Licht ausmachen. Handeln und Reden sind hierzulande zwei sehr unterschiedliche Schuhe. Man kann es, gesittet ausgedrückt, bigott nennen. Oder, verständlicher: verlogen. Zuletzt: um den gern bemühten Zitatenschatz unserer OB zu bereichern: “ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen muss“, wie Max Liebermann einmal treffsicher formulierte.