Mario Barth soll Bad Kreuznach retten

Denkanstoss von
Claus Jotzo

Es ist rund 500 Jahre her. Da übersetzte ein einfacher Mönch namens Martin Luther die Bibel aus der Sprache der wenigen Herrschenden in die Alltagssprache der einfachen Leute. Weil Luther bei dieser Übersetzung mit vielen Verlogenheiten und Fehlinterpretationen der (katholischen) Kirche aufräumte und die deutsche Bibelfassung den Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu religiösen Inhalten ermöglichte und damit Machtpositionen schleifte, wurde er dafür aus den alten Strukturen heraus massiv kritisiert. Eine seiner Reaktionen wurde zum geflügelten Wort. Luther riet 1530 “dem Volk aufs Maul zu schauen”.

 

Ganz unabhängig von dem Thema, wie sinnhaltig die Neuaufteilung der Verkehrsflächen in der Innenstadt bewertet wird: viele rechtstreue Auto- und Radfahrer*Innen fragen sich, warum jene, die krass gegen die neuen Vorschriften verstossen, erkennbar nicht verfolgt werden. Wie dieser Lieferdienst-Fahrer, der gestern Abend schon auf dem Weg zu diesem rechtswidrigen Haltepunkt gleich mehrere Verkehrsordnungswidrigkeiten vollendete.

Die katholische Kirche glaubte es besser zu wissen als Luther. Der sich an diese krasse Fehleinschätzung anschließende, bis heute andauernde degenerative Prozess, ist bekannt. Die Spaltung der Kommunikation in einen “amtlichen” Teil, in dem die tatsächliche oder vermeindliche gesellschaftlich-politische Elite sich austauscht und den fürs einfache Volk, wurde durch das Angebot des Internets in dramatischer Weise befeuert. Menschen können heute in großer Zahl direkt in einen Meinungsaustausch treten. Mit allen Chancen und Risiken, die das bietet. Erstaunlich ist.

Überall zeigt sich: den vorgeblich oder tatsächlich “Wissenden” ist es zu mühsam, sich den kritischen Fragen und Hinweisen einfacher Mitbürger*Innen zu stellen. Diese werden, wie in Bad Kreuznach aktuell mit der sogenannten fahrradfreundlichen Umgestaltung der Innenstadt, nicht einmal vorab angemessen informiert. Entgegen rechtlicher Vorgaben und vor allem entgegen politischer Versprechungen. Für die amtliche Kommunalpolitik ist es nur ein lästiges Detail, die Einwohnerfragestunde.

Machtpragmatiker wie der Ehemann der Oberbürgermeisterin, Günter Meurer, wußten bis vor drei Jahren nicht einmal, dass Bürger*Innen diesen Tagesordnungspunkt – vom Gesetzgeber so vorgesehen – ganz ausdrücklich nutzen dürfen, um den gewählten Kommunalpolitikern Hinweise zu geben. Und gar nichts erfragen müssen. Meurers von der Sitzungsleitung nicht gestoppte “Fragen, Fragen”-Brüllerei, wenn Bürger genau dieses Recht nutzten, ist noch heute auf den Mitschnitten der Stadtratssitzungen nachzuhören.

Die dümmliche Arroganz, mit der Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer, SPD, Grüne, Linke und PBK in der vergangenen Woche eine Einwohnerfragestunde im Stadtrat verweigerten, wird von den Menschen als solche wahrgenommen. Da braucht es keine Übersetzung mehr. Wenn in einer solchen Sitzung nicht die Demokratie-Theorie-Schwätzer im Stadtrat, sondern Fitneßunternehmer Gerhard Merkelbach, zum einzigen Befürworter demokratischer Rechte der Einwohner*Innen wird, sagt das über die Entfremdung einiger im Amt von ihrer Bevölkerung einiges aus.

Daher darf die Reaktion dieser Menschen niemanden verwundern. Wer vor Ort keine Ansprechpartner für seine Probleme sieht, sucht sie sich eben woanders. Und so soll Showtalent Mario Barth zum Retter Bad Kreuznachs reüssieren. Dutzendfach war eine entsprechende Aufforderung in den vergangenen Tagen in den Sozialen Medien zu lesen. Und eine zweistellige Zahl von Einwohner*Innen gab in den einschlägigen Internetforen an, dessen Produktionsgesellschaft angeschrieben und um Hilfe gebeten zu haben.

Doris Loritz hat ihren Aufruf an die mediale Lichtgestalt veröffentlicht. Dieser lautet: “über die Politik hier in der Kur- und Badestadt Bad Kreuznach kann man sich nur aufregen. Irrsinnige, lebensgefährliche Pop-up-Radwege unter anderem am Bahnhof und in der Gensinger Strasse, die aussehen, wie eine verunglückte Baustelle. Steuerverschwendung eines millionenschweren Fahrrad-Parkhauses, in dem nur ganz wenige Fahrräder geparkt werden. Schwimmbad Umbau im Salinental um Vielfaches teurer, als von der Bürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer den Bürgern erzählt wurde.

Die Kultur unserer einstigen Kur- und Badestadt bleibt auf der Strecke, da zerfallen unter anderem das Faust-Haus, die alten Brückenhäuser, Wahrzeichen unserer Stadt. Weihnachten 2020 wurde von Andreas Schnorrenberger, der sich sehr für Bad Kreuznach einsetzt, eine Spendenaktion ins Leben gerufen, damit auf dem historische Kornmarkt ein Weihnachtsbaum aufgestellt und geschmückt wurde. Die Kreuznacher Bürger beteiligten sich an der Aktion, so dass Weihnachten in der Corona Zeit nicht allzu traurig ausfiel.

Die Geschäfte und die Innenstadt drohen auszusterben. Hier muss schnellstens was getan werden, bevor es zu spät ist”. Es sagt über die Mehrheit der Mitglieder des Rates der Stadt viel aus, dass diese nichts unternehmen, um mit Mitbürger*Innen, die sich derartige Sorgen machen und zu solchen Feststellungen kommen, ins Gespräch zu kommen. Auf der Tagesordnung für die morgige Stadtratssitzung (17:30 Uhr im Leonardo-Hotel) steht der Punkt “Einwohnerfragestunde” ganz vorn. Mal sehen, wie die gewählten Kommunalpolitiker*Innen mit den Kommentaren ihrer Mitbürger*Innen umgehen.