Galgenberg: zahlen am Ende die Gewobau-Mieter oder die Stadtkasse?

Es geht um mindestens 2,4 Millionen Euro. Und um die Frage, wieso in Bad Kreuznach höchst relevante städtische Aufgabenstellungen inkompetenten Dilettant*Innen überlassen werden. Die gestrige Berichterstattung dieser Seite über Gier und Trägheit am Galgenberg hat für beispiellose Reaktionen gesorgt. Menschen, die wegen der Coronaseuche in dieser Stadt um das geschäftliche Überleben kämpfen, zeigen sich ebenso entsetzt wie jene, die brav Tag für Tag zur Arbeit gehen und fragen, warum von der kommunalen Politik nicht einmal die Einhaltung von Anstandsregeln durchgesetzt wird.

 

Dutzendfach wurde thematisiert: wie konnte die Gewobau Millionenausgaben für die Erschliessung veranlassen, bevor die Zustimmung und Kostenübernahme aller Grundstückseigentümer vorlag? Eine Antwort auf diese zentrale Frage ist der Beschlussvorlage für den Stadtrat nicht zu entnehmen. Auch eine Erklärung dafür, warum Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer als Aufsichtsratsvorsitzende der Gewobau das Thema jahrelang vollständig verheimlichte und auch aktuell nur nichtöffentlich behandelt sehen möchte, wird in dem amtlichen Papier nicht gegeben.

Immerhin zeigt die Verwaltungsdrucksache 21/171 eine Reihe von Alternativen auf, wie mit dem Problem umgegangen werden kann. Um deutlich zu machen, in welches organisatorische und rechtliche Minenfeld Dr. Kaster-Meurer Gewobau und Stadtrat mit dem Vorschlag, die städtische Gesellschaft als Erschliessungsträger einzusetzen, geführt hat, vorab der Hinweis: der ganz normale Weg wäre gewesen, ein ordentliches Erschließungsverfahren durch das Stadtbauamt durchzuführen. Wegen des Anschluß- und Benutzungszwanges hätte es dabei Probleme mit Nichtzahler*Innen nicht geben können.

Die Gewobau selbst drängt seit Ende 2020 verstärkt auf eine Klärung des Problemes durch die Stadt. Die Oberbürgermeisterin hat eine Behandlung in den städtischen Gremien über sechs Monate lang verhindert (siehe unsere gestrige Berichterstattung “Von Gier und Trägheit am Galgenberg”. Die nachstehenden “Szenarien” (*) stammen im Kern von der Gewobau und wurden von dieser bereits im vergangenen Jahr profiliert, aber erst am Montag vergangener Woche per Email den Stadtratsmitgliedern zugeleitet. Die jeweiligen Stellungnahmen der Stadtverwaltung sind beigefügt:

Szenario 1:

Die Gewobau vollendet die Erschließung ohne Kostenbeteiligung der sich verweigernden Fremdanlieger: “führt die Gewobau die Erschließung bis zum Abschluss aus, muss sie die Kosten, die auf die „Fremdanlieger ohne Vertrag“ entfallen, selbst tragen. Da die Stadt keinen eigenen Aufwand hat, kann sie auch nicht dadurch zu einer Refinanzierung der Gewobau beitragen, dass sie bei diesen Fremdanliegern Erschließungsbeiträge erhebt”. Bevor jetzt Tobsuchts- oder Ohnmachtsanfälle auftreten. Diese Variante wird von der Gewobau selbst verworfen:

“Ein solches Vorgehen würde aber dem Gerechtigkeitsgedanken grob widersprechen. Den Fremdanliegern würde die Erschließung „geschenkt“. Der Einnahmeausfall müsste aus den Erträgen der Gesellschaft erbracht werden, also letztlich (auch) von den Mietern der Gewobau. Dieses Szenario ist aus Sicht der Geschäftsführung der Gewobau kein gangbarer Weg”. Anmerkung der Stadtverwaltung:

“Die Verwaltung empfiehlt, mit den Fremdanliegern in konstruktive Vertragsverhandlungen zum Abschluss von Kostenübernahmevereinbarungen einzutreten, um zu einer Einigung zu kommen”. Anmerkung der Redaktion: Diese Aussage kommt einer Mißtrauenserklärung an die Geschäftsleitung der Gewobau gleich. Denn dadurch wird der Eindruck erweckt, als habe es eben diese Gespräche in den vergangenen zwei Jahren nicht gegeben. Oder die seitens der Gewobau damit betrauten Personen seinen inkompetent.

Szenario 2:

Die Gewobau erwirbt die Grundstücke der Zahlungsverweigerer: “Die Problematik entfällt dann, wenn die Gewobau die Grundstücke von den Fremdanliegern erwirbt. Dann nämlich refinanziert sie den Erschließungsaufwand über die Weiterverkäufe. Als Kaufpreis kommt ein Betrag von 150 EUR pro m² in Betracht, nachdem die Gesellschafterversammlung der Gewobau vom 10. Dezember 2020 den Verkaufspreis auf 250 EUR/m² inklusive Erschließung für Einzelkäufer festlegt hat.

Es dürfte allerdings unrealistisch sein, dass die Fremdanlieger Grundstücke zu diesem Preis veräußern werden. Der Bodenrichtwert für die Weingärten liegt bei 300 EUR pro m² erschlossenes Bauland. Unerschlossen liegt der Preis also bei mindestens 200 EUR pro m². Denkbar ist aber, dass die Gewobau diese speziellen Grundstücke zu höheren Preisen erwirbt. Dann sollte aber, damit nicht jede Weiterveräußerung zu einem Verlust führt, für diese Grundstücke ein höherer Verkaufspreis zulässig sein, der zumindest zu einer Kostendeckung führt.

Soweit ein Fremdanlieger über mehrere Grundstücke verfügt, kann eine Verrechnung des Kaufpreises mit dem Erschießungsaufwand für die Grundstücke erfolgen, die der Fremdanlieger behält. Diese Variante ist allerdings dann nicht zielführend, soweit die Fremdanlieger nicht bereit sind, ihre Grundstücke an die Gewobau zu veräußern”.

Szenario 3:

Die Gewobau unterbricht die Erschließung: “die Gewobau könnte – als eine Art Zwischenmaßnahme – die Kanalhausanschlussleitungen der „Fremdanlieger ohne Vertrag“ vom Leitungsnetz trennen. Die Abkopplung von der Erschließung ist allen Fremdanliegern, die noch nicht unterzeichnet haben, bereits in Aussicht gestellt worden. Die Kosten hierfür betragen rund 750 Euro pro Anschluss. Insgesamt sind 46 Kanalanschlüsse betroffen. Anmerkung der Stadtverwaltung: “es ist zweifelhaft, ob ein solches Vorgehen rechtmäßig ist, auch wenn es in dem jetzigen Vorschlag nur vorübergehend sein soll”.

Szenario 4:

Die Gewobau tritt vom Erschließungsvertrag mit der Stadt aus 2015 zurück: “der Gewobau steht nach dem Erschließungsvertrag ein Rücktrittsrecht zu, weil nicht alle Fremdanlieger mit ihr eine Kostenübernahmevereinbarung abgeschlossen haben. Die Erschließungsaufgabe geht bei einem Rücktritt wieder vollständig auf die Stadt zurück, die dann die Erschließung des zweiten Bauabschnittes beenden muss. Ferner muss die Stadt der Gewobau den bisherigen Erschließungsaufwand erstatten („Wertersatz leisten“).

Den hierdurch bei der Stadt angefallenen Aufwand wird diese dann gemäß ihrer Erschließungsbeitragssatzung auf alle Eigentümer mit Beitragsbescheiden umlegen. Die Gewobau muss in diesem Fall dem Bauunternehmen Knebel und dem Ingenieurbüro Dillig kündigen und diesen eine Entschädigung im sechsstelligen Bereich bezahlen. Die zeitliche Verzögerung beträgt im Falle einer Kündigung des Vertrags mit der Baufirma Knebel minimal 12 Wochen, wenn die Stadt sofort die notwendigen Maßnahmen zur Neuausschreibung und Vergabe ergreift und umsetzt.

Weitere erhebliche zeitliche Verzögerungen ergeben sich, wenn die Ingenieurleistungen (aktuell Firma Dillig) ebenfalls gekündigt werden. Die zusätzlichen Kosten, die durch die zeitliche Verzögerung im Rahmen der erneuten Baustelleneinrichtung und Bodenaufbereitung entstehen, liegen mindestens im hohen fünfstelligen Bereich. Sie steigen aber deutlich, wenn infolge des Baustellenstillstands eine Bodenaufarbeitung nicht möglich ist und statt der Aufarbeitung ein Bodenaustausch vorgenommen werden muss.

Wenn die Stadt allerdings die Verträge mit Dillig (Vergabe nach europaweiter Ausschreibung) und Knebel (Vergabe nach Angebotsaufforderung und Bietergesprächen) „übernimmt“, könnte sogar erreicht werden, dass die Gewobau keine Entschädigung zu leisten hat und die Arbeiten „nahtlos“ (Anmerkung der Redaktion: damit ist nicht etwa ein Ausschluß des Geschäftsführers der Stadtwerke, Christoph Nath, gemeint. Sondern die alte deutsche Formulierung für einen unbehinderten Übergang) fortgesetzt werden.

Zur „Refinanzierung“ muss die Stadt die Eigentümer zu Erschließungsbeiträgen nach ihrer Erschließungsbeitragssatzung heranziehen. Ein finanzieller Aufwand für die Herstellung der Erschließung, der umgelegt werden kann, entsteht der Stadt dadurch, dass sie der Gewobau den dort entstandenen Aufwand ersetzt”. Anmerkung der Stadtverwaltung: “es besteht Klärungsbedarf, wie ein Zurücktreten der Gewobau vom Erschließungsvertrag umgesetzt werden kann und welche Kosten zu wessen Lasten entstehen würden”.

Anmerkung der Redaktion: es ist erschütternd, dass eine von den Einwohner*Innen finanzierte 45-Millionen-Euro-Stadtverwaltung mit hauptamtlich vielköpfig besetztem Rechtsamt derartige Alltagsfragen öffentlicher Verwaltung nicht zeitnah und rechtssicher klären kann.

Szenario 5:

Modifizierung des Erschließungsvertrags aus 2015: “die Gewobau und die Stadt könnten – als Alternative zum Rücktritt – den Erschließungsvertrag modifizieren. Aktuell handelt es sich um einen „echten“ Erschließungsvertrag, in dem die Gewobau die Rolle des Erschließungsträgers übernommen hat. Da die Gewobau nach dem aktuellen Vertrag keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten gegen die Stadt hat, entsteht der Stadt selbst kein Aufwand, den sie im Wege von Erschließungsbeiträgen auf die Eigentümer umlegen können.

Durch die Modifizierung wird der „echte“ Erschließungsvertrag zu einem „unechten“ Erschließungsvertrag. Die Stadt beauftragt nunmehr die Gewobau, die Erschließung durchzuführen und ihren Aufwand der Stadt in Rechnung zu stellen. Die Stadt „refinanziert“ sich auch in diesem Szenario durch die Erhebung von Erschließungsbeiträgen. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zu einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation, in der die Fremdanlieger nicht bereit waren, sich durch Kostenübernahmevereinbarungen mit dem Erschließungsträger am Erschließungsaufwand zu beteiligen, wie folgt geäußert (BVerwGE 145, 354 ff.):

Ein Wechsel von „echtem“ zu „unechtem“ Erschließungsvertrag im Wege der „Modifizierung“ ist grundsätzlich zulässig, um eine vorteilsgerechte Belastung des Fremdanliegers mit Erschließungskosten durch Beitragsbescheide zu ermöglichen. Fremdanlieger, die bereits einen Kostenübernahmevereinbarung abgeschlossen haben, erhalten keine Beitragsbescheide. Deren Zahlungen an den Erschließungsträger (hier Gewobau) werden vielmehr verrechnet. Die Erschließungsbeiträge gelten mit Zahlung an die Gewobau als abgelöst. Die Einzelheiten des Vertrags bleiben den Verhandlungen vorbehalten.

Denkbar dürfte es u.a. sein, dass der Aufwand, der auf die Grundstücke der Gewobau entfällt, ebenfalls verrechnet wird, sodass eine Beitragserhebung bei der Gewobau nicht erfolgen muss. Beitragsbescheide wären dann nur an die Fremdanlieger zu richten, die die Kostenübernahmevereinbarung nicht unterzeichnet haben. Ob sich die Erwartung der Fremdanlieger erfüllt, die nicht unterzeichnet haben, dass sie sich dadurch „günstiger“ stellen, erscheint im Übrigen zweifelhaft. Die Kostenübernahmevereinbarung, die den betroffenen Fremdanliegern angeboten worden ist, sieht lediglich eine Beteiligung der Fremdanlieger an den tatsächlich entstandenen externen Kosten vor, jedoch kein Honorar für die Leistungen der Gewobau selbst.

In einer Modifizierungsvereinbarung sollte aber ein solches Honorar vorgesehen werden, zumal solche Honorare in der Rechtsprechung als angemessene Kosten der Erschließungsmaßnahme angesehen werden, die auf die Beitragspflichtigen verteilt werden können (vgl. VG Mainz, Urteil vom 21. April 2010 – 3K 537/09.MZ –). Entsprechendes gilt für die Fremdfinanzierungskosten. Eine Umlage der Fremdfinanzierungskosten auf die Fremdanlieger sieht die Kostenübernahmevereinbarung der Gewobau nicht vor; sie sind jedoch nach der Rechtsprechung umlagefähig (vgl. VG Mainz, a.a.O.), sodass sie Gegenstand der Modifizierungsvereinbarung werden sollten.

Der auf die Anlieger zu verteilende Aufwand steigt zudem dann, wenn die Verträge mit den Firmen Knebel und Dillig, sollte es doch zu einem Rücktritt kommen, nicht auf die Stadt „übertragen“ werden können, sondern es durch Neuausschreibung etc. zu Zeitverzögerungen und zu Kostensteigerungen kommt”. Anmerkung der Stadtverwaltung: “in der oben genannten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch davon abgesehen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob eine zeitliche Begrenzung des Rechts zur nachträglichen Modifizierung eines echten in einen unechten Erschließungsvertrag in Betracht zu ziehen ist.

In dem seinerzeit zur Entscheidung stehenden Sachverhalt wurde der Modifizierungsvertrag noch vor Beginn der Herstellung der Erschließungsanlage abgeschlossen. Insofern stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass eine zeitliche Begrenzung für eine zulässige Modifizierung nur in Betracht gezogen werden kann, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage im Zeitpunkt der Vertragsmodifikation bereits begonnen wurde. Im vorliegenden Fall wurde mit der Herstellung der Erschließungsanlage nicht nur bereits begonnen, sie ist vielmehr schon fast vollständig abgeschlossen. Der Abschluss eines Modifizierungsvertrags ist damit risikobehaftet.

Das Prozessrisiko würde in dieser Variante vollständig bei der Stadt liegen, denn sie müsste sich dann gerichtlich mit den Fremdanliegern auseinandersetzen, welche mit Sicherheit die Beitragsbescheide der Stadt angreifen werden. Die Erfolgsaussichten werden diesbezüglich für völlig offengehalten. Zudem sind grundlegende Fragen für den Abschluss eines Modifizierungsvertrags nicht geklärt. Über den Abschluss eines modifizierenden Erschließungsvertrags nach Szenario 5 sollte erst beraten werden, wenn das Ergebnis der unter Beschlussvorschlag 1 bis 3 beschlossenen Aufträge feststeht”.

“Abwägung zum Beschlussvorschlag”

Die Stadtverwaltung schlägt vor, nach dem „Szenario 5: Modifizierung des Erschließungsvertrags“ vorzugehen: “zur Sicherung des Verhandlungsprozesses soll die weitere Erschließung der Grundstücke, die den Fremdanliegern gehören, die noch keinen Vertrag unterzeichnet haben, nicht weiter betrieben bzw. aktiv unterbunden werden. Der Vorschlag ist ein „milderes Mittel“ im Vergleich zu einem Rücktritt der Gewobau vom Erschließungsvertrag, der zu einer sofortigen Beendigung aller Erschließungsarbeiten durch die Gewobau führen würde. Die Fremdanlieger haben es selbst in der Hand, welchen Weg sie wählen (Unterzeichnung der Kostenübernahmevereinbarung oder Abwarten der Verhandlungen Stadt/Gewobau)”.

Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:

25.05.21 – “Von Gier und Trägheit am Galgenberg”
25.05.21 – “Meinung: Sieben”

(*) Die Redaktionsmitarbeiterin, die diese teils in Bürokraten-Deutsch teils in Fachchinesisch verfassten Texte abtippen mußte, bevorzugt Eis der Blauen Eisdiele. Wer seine Dankbarkeit für die Fleissarbeit zum Ausdruck bringen möchte, die allen interessierten Einwohner*Innen die Lektüre dieses höchst bedeutenden Dokumentes ermöglicht, kann bei Antonio Valentino im “Ponte Vecchio” gern einen entsprechenden Gutschein abgeben. Jedes einzelne Bällchen zählt. Denn wir erleben ja hoffentlich einen langen, heissen Somnmer.