Dr. Martin Senner zur Lämmergasse 5: ein Märchen aus uralten Zeiten

Gastbeitrag von
Dr. Martin Senner

“Mit der sogenannten Neustadtsanierung der 1970er Jahre hat dieser Stadtteil etwa 60 Prozent seiner historischen Bausubstanz eingebüßt. Ganze Gassen verloren ihr Gesicht. Namentlich Metzger- und Michel-Mort-Gasse sind einer von modernen Wohnblocks gesäumten Freifläche gewichen, wo außer den Straßenschildern nichts mehr daran erinnert, daß dies das Viertel der Kreuznacher Metzger war. Da klingt es wie ein Märchen aus uralten Zeiten, daß Michel Morts Erben 1835 ermahnt werden mußten, „daß ihre Haken und Laden zum Aushängen und Auslegen des Fleisches weder auf die Rabatten noch auf die Straßen vorspringen dürfen“.

 

1662 gab es nach einem Vermerk im Ratsprotokoll „fünff, auch wohl sechs“ Metzger, die Hämmel zur Mast hielten. Eigentlich sollte die Zahl der Tiere auf jeweils 50 begrenzt bleiben. Tatsächlich umfaßten die Herden bis zu 350 Tiere. Die Hammelmetzger waren also ein bedeutender Wirtschaftszweig. Nach ihrem Gewerbe hießen darum die obere Gerbergasse, die zuvor (und dann wieder im 19. Jahrhundert) die Hundsgasse‘ gewesen ist, und die heutige Lämmergasse. Auf diesen Namen umgetauft wurde die, Hammelgasse‘ Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Stadtplan von 1837 gilt der Name auch für die heutige Ambrosiusgasse.

Zeitweise rechneten sogar Petersgasse und Alte Poststraße zur Lämmergasse, deren Name mithin, um Karl Geib zu zitieren, „Bezirkswert“ hatte. Die Denkmaltopographie von 1987 sieht in der Lämmergasse (zwischen Mannheimer Straße und Gerbergasse) „eine der Hauptstraßen der Neustadt“ und schreibt ihr für die Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg nicht weniger als zwei Adelshöfe zu: das Kopfhaus zur Mannheimer Straße, ,Gottschalk des Juden Haus‘ (Mannheimer Str.12), und Lämmergasse 9-11. Die Lämmergasse blieb von der Abrisswelle (Anmerkung der Redaktion: der siebziger Jahre) keineswegs verschont.

Im vorderen Teil fielen sämtliche Häuser der nördlichen Straßenfront (Hausnummern 2-10). Trotz der damit erfolgten Aufweitung der Gasse hat sie ihren historischen Charakter ein Stückweit bewahrt. Noch – denn nun soll mit dem spätbarocken Wohnhaus Lämmergasse 5 „ein straßenbildprägendes Gebäude an städtebaulich wichtiger Stelle“ verschwinden. Gut möglich, daß gerade mit diesem Abriß die Quantität der Verluste umschlägt in Qualität – oder richtiger: ins krasse Gegenteil, wenn nämlich die gesichtslose Moderne die letzten Überbleibsel der Vergangenheit endgültig überwuchert. Dann wird bei einer Stadtführung vielleicht erzählt, in der Lämmergasse seien vor Zeiten jede Menge fleißiger Handwerker daheim gewesen:

Schuster, Schneider, Gerber, Lein- und Strumpfweber, Kürschner und Kaminkehrer, Maurer (wie jener Georg Stanger, der sich 1779 das Haus No 28 errichten ließ), Gärtner, Seiler und Bierbrauer, dazu Fuhr- und Handelsleute, auch Wundärzte und Schullehrer. Zum Beispiel „Professor“ (Gymnasiallehrer) Wilhelm Weinmann, der 1807 schräg gegenüber von Lämmergasse 5 in der Petersgasse gewohnt hat. Nur Metzger waren inzwischen Mangelware… Das alles wird man hören wie ein Märchen aus uralten Zeiten, denn die steinernen Zeugen, die den Lebensraum unserer Vorfahren zur Anschauung bringen könnten, sie werden unwiederbringlich dahin sein”.

Demonstration am Samstag den 29. Mai um 16 Uhr

Der drohende Abriss und der damit einhergehende Verlust des Hauses Nr, 5 war für den Historiker Dr. Martin Senner Anlass auf die historische Bedeutung der Lämmergasse hinzuweisen. Der Verein denk–mal: Bad Kreuznach teilt diese Einschätzung von Dr. Senner und befürchtet, dass dies nicht der letzte Abriss auf dieser Straßenseite sein wird. Vorsitzender Wilfried Maus: “Es gilt, die letzten verbliebenen authentischen Zeugen dieses alten Handwerker-Quartiers zu erhalten. Wir laden ein zur Demonstration gegen den Abriss des Hauses Lämmergasse 5 und für die Erhaltung denkmalgeschützter Gebäude am Samstag, 29.5.2021,16 Uhr, Treffpunkt Ambrosiusgasse neben Kaufhaus Stenger”. Die Demonstration führt dann als Spaziergang zum „Brückenhaus mit der Schwedenkugel“.