Kommentar: “der Deutsche Bundestag hat uns alle reingelegt”

Von Herausgeber
Antonio Valentino

Knapp daneben ist auch vorbei. Das dachten am Dienstag dieser Woche viele, als der Kreis eine Inzidenz von 100,4 meldete. Denn wenn der Wert 0,5 Punkte niedriger ausgefallen wäre, also bei 99,9 gelegen hätte, wäre es gemäß der neuen Bundesnotbremse der erste Tag in Richtung mehr Freiheit gewesen. Die Tendenz dazu gab es schon in den Tagen zuvor: ständig fallende Werte. Am Mittwoch meldet der Kreis mit 93,5 endlich eine Inzidenz unter 100. Wir alle dachten: so kann es weiter gehen.

Als dann am Donnerstag der Wert sogar auf 88,4 sank und auch die Zahl der aktut Infizierten deutlich zurückging, versuchte schon der ein oder die andere sich an die Löse-Bedingungen für die Bundesnotbremse zu erinnern. Dieser Gedanke wurde gestern Mittag mit dem Freitags-Wert 77,7 zum konkreten Arbeitsauftrag. Da haben dann die ersten im Infektionsschutzgesetz nachgelesen, was jetzt kommt. Die Hoffnung der oberflächlichen Nachrichtenhörer*Innen: am Samstag und Sonntag wird eh nicht viel getestet. Dann sind die 5 Tage rum – und die Party kann beginnen.

Aber daraus wird nichts. Denn die als Notbremse verkaufte Regelung gleicht mehr einer Feststellbremse. Und die Juristen des Deutschen Bundestages haben den Lösemechanismus an fast unzugänglicher Stelle angebracht. Denn jetzt stellt sich heraus: Tag ist nicht gleich Tag. Und der ist schon lange kein RKI-Tag. Um die auf ihre Freiheiten bedachte Bevölkerung vor sich selbst zu schützen, enthält das Bundesinfektionsschutzgesetz als einziges von tausenden im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Regelwerken in einem einzigen Paragrafen zwei unterschiedliche Definitionen von 24 Stunden.

Wenn es darum geht die Notbremse zu ziehen, ist von “drei Tagen” die Rede. Wenn es darum geht diese wieder zu lösen, sind es nicht “fünf Tage”, sondern “fünf Werktage”. Da gemäß Bundesurlaubsgesetz Sonn- und Feiertage keine Werkstage sind, bedeutet dies: sowohl der vorgestrige Feiertag Christi Himmelfahrt als auch der kommende Sonntag zählen nicht mit. Doch damit nicht genug. Obwohl mittlerweile allgemein bekannt ist, dass die in den Landkreisen am Tag x um 14 Uhr bekanntgegebenen Daten zehn Stunden des Vortages einbeziehen, zählt dieser Tag in der Notbremsen-Rechnung nicht.

Sondern erst der darauf folgende, wenn das RKI das selbe Ergebnis als Bestandteil des Bundesergebnisses mitteilt. Mit diesen Detailbestimmungen wird die Lösung der Notbremse im Kreis Bad Kreuznach im Mai 2021 um mindestens drei volle Tage verzögert. Konkret bedeutet das: selbst wenn ab jetzt alle Folgetage “UHU”s sind (also der Inzidenzwert unter 100 liegt) endet die Notbremse erst am kommenden Freitag, den 21. Mai 2021, um 0 Uhr. Was zu folgender Kuriosität führen wird: am Donnerstag den 20. Mai beginnt um 22 Uhr eine Ausgangssperre, die zwei Stunden später um 24 Uhr endet.

Obwohl also bereits am vergangenen Dienstag die 100ter-Marke fast gerissen war, müssen wir bis (mindestens) kommenden Freitag warten, bis es aufwärts geht. Ich wollte das zunächst nicht glauben. Aber die entsprechende Erklärung von Signora Sabine Bauer, der stellvertretenden Leiterin der Stabsstelle Corona des Kreises, ist einfach überzeugend (siehe gesonderter Beitrag in der heutigen Ausgabe). Damit ist klar: als der Deutsche Bundestag die Bundesnotbremse beschlossen und diese erklärt hat, wurden wir alle reingelegt. Die wußten genau, dass es im Mai und Juni die Feiertage gibt.

Und daher aus 5 ganz schnell 8 Tage “Abklingzeit” werden können. Auch wenn es für Sie kein Trost ist. Das Parlamento della Repubblica Italiana führt die Italiener nicht weniger schlimm an der Nase herum. Und daran sind wir Bürger*Innen selbst schuld. Wir machen es uns bequem. Wir engagieren uns zu wenig. Und lassen die deputati zu oft ohne Begleitung. Zum Glück ist für die nächsten Tage kühles, regnerisches Wetter angesagt. Da wirkt sich die Notbremsenverlängerung nicht ganz so schlimm aus.