“Der Bürger wird ausgeraubt”

Für den ÖPNV gibt es grünes Licht aus allen sieben Stadtratsfraktionen. Natürlich auch von Bürgermeister Wolfgang Heinrich. Soweit die grosse Gemeinsamkeit, die am Montagabend im Finanzausschuss erkennbar wurde. Schon bei der Frage, wie die operative Umsetzung technisch erfolgen soll, gibt es grosse Meinungsunterschiede. Der grüne Stadtratsveteran Lothar Bastian wies darauf hin, dass bundesweit Landkreise sehr gute Erfahrungen mit Sammeltaxisystemen machen. Und kann daher die Fixierung auf Busse gar nicht verstehen. Ganz anders als seine Fraktionsvorsitzende Andrea Manz und ihr Pendant bei den Linken, Jürgen Locher, die beide beim ÖPNV nur von Bussen sprachen.

Der ganz grosse Dissenz besteht aber in der Frage, ob sich die Stadt Bad Kreuznach länger in der Verantwortung als Träger des ÖPNV sehen sollte. Oder diese Aufgabe dem dafür gesetzlich vorgesehenen Landkreis überlassen soll. Die Grundsatzentscheidung in dieser Frage fiel am 18. März. Für die ÖPNV-Trägerschaft der Stadt und deren Mitgliedschaft in einer Betreiber GmbH, zusammen mit den Landkreisen Bad Kreuznach und Mainz-Bingen. Allerdings wird diese Beschlussfassung bereits aus formalen Gründen juristisch hinterfragt. Zwei unabhängig voneinander operierende Gruppen von Stadtratsmitgliedern prüfen aktuell eine Anfechtung des Beschlusses vor dem Verwaltungsgericht.

Parallel dazu hat sich zwischenzeitlich eine gewisse Ernüchterung auch bei einem Teil der GmbH – Befürworter ergeben. Denn die im Umfeld der Landtagswahl erwartete finanzielle Förderung von kommunalen ÖPNV-Projekten durch das Land wird mit immer grösseren Fragezeichen versehen. “Im neuen Koalitionsvertrag steht davon nichts”, hat Lothar Bastian betrübt festgestellt. Und Kay Maleton (Faire Liste) erläuterte, warum dies so ist. Denn bevor das Land zahlt, soll ein landesweiter Nahverkehrsplan erarbeitet werden. Das bedeutet: wer jetzt vorschnell beim ÖPNV lokal Fakten schafft, könnte am Ende mit viel weniger Landesmitteln dastehen, als im März beim Beschluß erhofft.

Diese mit Händen zu greifende Unsicherheit hat Bürgermeister Wolfgang Heinrich operativ aufgegriffen. Und den am 29. April 2021 gefaßten Umsetzungsbeschluss des Stadtrates, in dem der vertragliche Beitritt der Stadt zum Projekt der Landkreise festgeschrieben wurde, juristisch analysiert. Sein Fazit: “gesetz- und rechtswidrig” (diese Seite berichtete bereits gestern). Um die städtische Beteiligung kurzfristig und ohne Umweg über die Verwaltungsgerichte zu stoppen, hat Heinrich dem Finanzausschuss den formal korrekten Weg ausgearbeitet: eine Aufforderung an die Oberbürgermeisterin, die Aufsichtsbehörde ADD und den Landesrechnungshof zur Aussetzung des Stadtratsbeschlusses vom 29.4.21.

Und eine erstaunlich grosse Mehrheit von 11 Ja- zu nur 2 Neinstimmen schloss sich bei 3 Enthaltungen der Auffassung des Bürgermeisters an. Am auffälligsten und stärksten mußten sich dabei Teile der CDU winden und wenden. Denn im März 2021 waren es Stimmen der Christdemokraten, die den Grundsatzbeschluß mit der GmbH-Lösung überhaupt ermöglichten. Daher warb Dr. Silke Dierks ausdrücklich dafür, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Und auch Norbert Welschbach sprach sich erst wortreich für den ÖPNV aus, bevor er rhetorisch geschickt versuchte die Kurve zu einer Nichtträgerschaft der Stadt zu bekommen.

CDU-Fraktionschef Manfred Rapp, der von Anfang an Bedenken gegen die städtische ÖPNV-Trägerschaft hatte, tat sich mit seiner Ablehnung leichter, fand aber auch nur sanfte Worte der Kritik, um die Andersdenkenden in der CDU-Fraktion nicht zu sehr zu provozieren. Es waren daher die Ausschußmitglieder der kleineren Fraktionen, die kein Blatt vor den Mund nahmen. Kurz und höflich drückte sich Reinhard Nühlen (FWG / BüFEP) aus: “ich will es kurz machen. Das was Sie da geschrieben haben, findet meine volle Zustimmung. Vielen Dank!” ließ er den Bürgermeister protokollieren.

Auch Kay Maleton (Faire Liste) stellte kurz und knackig fest: “ich teile diese Einschätzung vollumfänglich”. Norbert Welschbach (CDU) leitete seinen Redebeitrag ebenfalls mit einer an Heinrich gerichteten Zustimmung ein: “formal haben Sie natürlich völlig recht. Wir haben keine Deckung, wir haben nichts im Haushalt drin” und erinnerte daran, das er letzte Woche im Stadtrat dagegen gestimmt habe. Widerspruch gabs dann von Dr. Silke Dierks (CDU), die in einem längeren Redebeitrag versuchte die im März getroffene Entscheidung als grundlegend und wegweisend herauszustellen.

Thomas Wolff drückte sich anschließend wesentlich klarer aus mit der Feststellung “der Bürger wird ausgeraubt”. Der AfD-Fraktionsvorsitzende kommentierte die Tatsache, dass die Stadtratsmitglieder gar keine konkreten Zahlen erhalten hätten, deutlich negativ. “Man sitzt hier in einem Zirkus – Fenster auf – Geld heraus”. Jürgen Locher erinnerte an eine Stadtratssitzung Ende 2018, in der mit großer Mehrheit eine deutliche Verbesserung des ÖPNV beschlossen wurde. “Natürlich wußten wir damals, dass dadurch die Kosten steigen”, argumentierte der Linken-Fraktionsvorsitzende.

Christoph Anheuser (FDP) wurde ebenfalls sehr deutlich: “es geht hier gar nicht um die Kommunalisierung des ÖPNV, diese Entscheidung ist getroffen. Es geht hier einzig und allein darum, ist es eine Pflichtaufgabe für die Stadt, den ÖPNV zu betreiben und sich an einer Gesellschaft zu beteiligen mit einem Witzanteil, nur damit sich da zwei Leute von der Stadt entsandt den Poppes in irgend welchen Gremien platt sitzen können? Und es geht um das unterirdische Verwaltungsverhalten in dieser Frage. Wir haben keine Zahlen – so geht es nicht!”

Anheusers Parteifreund Werner Lorenz sah die Ursache der Probleme in der fehlenden Zusammenarbeit im Stadtvorstand, räumte aber ein, dass sich die Stadt auch aus seiner Sicht die Kosten für den ÖPNV nicht leisten könne. Andrea Manz (Grüne) wies darauf hin, dass die ADD dem Ministerium unterstellt sei. Und das auf Landesebene der ÖPNV ist zur Pflichtaufgabe bestimmt worden sei. Zudem seien 157.000 Euro Stadtanteil für den Start der GmbH im Haushalt eingestellt. Manz dankte Dr. Dierks für deren Redebeitrag. Und wählte dann das Bild, “wir ziehen uns doch gegenseitig die Hosen runter und stehen blos und nackig da vor den anderen Landkreisen”.

Dabei wurde Manz von Werner Lorenz mit einem Zwischenruf gestoppt: “Frau Manz, sie können sich kein Fahrrad kaufen, das Sie sich finanziell nicht erlauben können. Wir können es uns im Augenblick einfach nicht erlauben, so traurig das ist”. Jörg Fechner (AfD) wehrte sich dagegen, dass “einem permanent das Wort im Mund herumgedreht wird. Wir können uns diese ÖNPV-Beteiligung nicht leisten. Wir haben keine hinreichenden Informationen in Euro und Cent, was es uns kostet”. An Andrea Manz gerichtet erklärte Fechner: “jede Maßnahme, die Sie aus der grünen Ecke vorschlagen, zieht den Bürgern das Geld aus der Tasche – und das wollen wir nicht”.

Verzichtet auf einen eigenen Redebeitrag: Dr. Herbert Drumm (bald MdL, Freie Wähler).

Auch Norbert Welschbach (CDU) sorgte sich hinsichtlich der Ausgaben, die auf die Stadt zukommen: “jetzt zahlen wir die Kreisumlage und die Kostenbeteiligung als Gesellschafter”. Daher sprach sich sein Fraktionsvorsitzender Manfred Rapp deutlich dafür aus, “der Landkreis soll das für die Stadt Bad Kreuznach übernehmen”. Rapp stellte rückblickend auch den Beratungsvorgang in Frage: “aus meinem Empfinden heraus wurde viel mit Angst geschürt für diese Beschlußlage”. Lothar Bastian (über sich selbst: “grün in der Wolle gefärbt”) sah seine Position zwiegespalten. Er habe sich daher in der Stadtratssitzung auch der Stimme enthalten.

Applaus erhielt Bastian für die Aussage, “die Busgeschichte muss gar nicht sein” und sprach von einem “völlig veralteten Riesenbussystem”. Auch in der Finanzfrage legte sich Bastian unmißverständlich fest: er forderte eine “verbindliche Zusage vom Land, dass die die Kosten übernehmen – wir können die Kosten nicht übernehmen”. Wie es nun weitergeht? Mit dem von Bürgermeister Heinrich initiierten Beschluss hat der Finanzausschuss ADD und Landesregierung eine Zwickmühle gestellt. Wird der juristischen Logik nicht gefolgt, wird es Klagen geben. Dann könnte auch der Grundsatzbeschluß fallen.

Eine breite Mehrheit eragb sich bei der Abstimmung.

Ob es für den noch einmal eine Mehrheit geben würde, bezweifeln selbst Freunde der GmbH-Lösung. Wird der juristischen Heinrich-Logik gefolgt und der Stadtratsbeschluß formal ausgesetzt, hat dies eine Verschiebung des GmbH-Projektes bis zu einem Zeitpunkt zur Folge, an dem die Kosten und Folgekosten transparent sind. Angesichts der dann feststehenden Millionen-Summen ist kaum vorstellbar, dass die SPD geschlossen an diesem ÖPNV-Konzept festhält. Denn schon das SPD-motivierte Festhalten am Jugendamt beschert der Stadt jährlich ein Zusatzdefizit von bis zu vier Millionen Euro.

Nach Ende der Sitzung wurde noch in unterschiedlichen Gruppen und Grüppchen weiter diskutiert. Besonders beliebt sind die apres-Treffen bei Werner Lorenz. Weil es da für die, die auch zuhören können, einne guten Tropfen gibt.

Kommen da noch zwei oder drei durch den ÖPNV dazu, gibts kein Geld mehr für andere Dinge. Und Steuererhöhungen werden unvermeidlich. Das mag die SPD bei der OB-Wahl noch vor den Einwohner*Innen verbergen können. Rechtzeitig vor der Kommunalwahl 2024 liegen die Fakten aber auf dem Tisch. Und dann wird es zu einer politischen Abrechnung kommen, wie es sie in den vergangenen 40 Jahren vor Ort noch nicht gab.

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04.05.21 – “Finanzausschuss rügt Stadtrat: “ÖPNV-Beschluß gesetz- und rechtswidrig”