SPD boykottiert den Finanzausschuß

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Am Montagabend tagte der Finanzausschuß. Im großen Sitzungssaal der Kreisverwaltung. Schon beim ersten inoffiziellen Durchzählen fiel es auf. Dr. Heinz Rüddel war das einzige anwesende SPD-Stadtratsmitglied. Als es dann um 17.36 Uhr losging, war er der erste, der sich zu Wort meldete. Mit einer persönlichen Erklärung. Dr. Rüddel attestierte dem Bürgermeister, dieser handele rechtmäßig, wenn er den Finanzausschuß zu einer Präsenzsitzung zusammenrufe: “die Coronaverordnung gibt ja auch ausdrücklich die Möglichkeit” dazu. Auch seien die Tagesordnungspunkte “beratungs- und entscheidungspflichtig”.

Dr. Heinz Rüddel erwies sich als “Gentleman-Boykotteur”. Er kam persönlich vorbei, um seine Nichtteilnahme zu erklären.

Aus seiner Sicht allerdings nicht eilbedürftig. Und daher wäre eine Verschiebung der Sitzung in den Februar nach Einschätzung Dr. Rüddels angemessen gewesen. Denn “wir sind auch darum gebeten worden, jeden Kontakt so gering wie möglich zu halten”. Mit diesem Hinweis bat er die Ausschußkollegen um Verständnis, “dass ich nicht das Risiko dieser Sitzung eingehen möchte und daher gehen werde”. Sprachs, packte seinen Hut und seine Sachen. Und ging. Dr. Rüddel verpaßte so die Antwort des Bürgermeisters, der auf die Vorschriften der Gemeindeordnung zur Durchführung von Präsenzpflichten hinwies.

Wolfgang Heinrich vertrat die Position der großen Mehrheit souverän und erhielt, was in Gremiensitzungen selten ist, mehrfach Beifall für seine Ausführungen.

Lediglich bei “Naturkatastrophen oder anderen aussergewöhnlichen Ausnahmesituationen” seien etwa Videokonferenzen möglich. Wolfgang Heinrich vermied den Seitenhieb auf die eigene Stadtverwaltung, die Kitas geöffnet hält. Und auch Hinweise auf den weitgehenden Normalbetrieb im Bereich der produzierenden Wirtschaft und des Lebensmittelhandels, mit denen bereits Gerichte die Unterstellung einer “Ausnahmesituation” widerlegt hatten. Statt dessen referierte Heinrich die Vorzüge des von ihm eigens reservierten Sitzungssaales der Kreisverwaltung, der für die 19 Ausschußmitglieder als “hoher großer Raum mit Aussentreppe riesige Abstände” biete, um zusammenfassend festzustellen:

“Es ist absolut verhältnismäßig, was wir machen”. Der Bürgermeister fühlte sich auch “bestätigt durch alle, die da sind”. Und das waren, bis auf ein Mitglied der Grünen und die SPD-Mitglieder, alle anderen. Es fehlten lediglich Holger Grumbach, Günter Meurer und Yunus Senel, die alle für die SPD als Ausschußmitglieder dem Gremium angehören. Sowie sämtliche sozialdemokratische Stellvertreter, also Heiko Kraft, Ahmet Dasli, Dr. Claudia Eider, Björn Wilde und Carsten Pörksen, die allesamt auch Stadtratsmitglieder sind. Dem Boykott der SPD-Fraktion schloß sich die Mehrheit der Grünen an.

Lothar Bastian (rechts neben Andrea Manz) schloß sich dem Boykott seiner Parteifeunde nicht an.

Auch deren Fraktionsvorsitzende Andrea Manz gab eine persönliche Erklärung ab, bevor sie den Sitzungssaal wieder verließ (gesonderter Bericht folgt). Als dritte meldete sich Bianca Steimle von der Fraktion Die Linke zu Wort. Sie verzichtete im Gegensatz zu Dr. Rüddel und Manz auf eine Erklärung. Sondern beantragte, dass lediglich die beiden ersten Tagesordnungspunkte (Annahme von Spenden und Entwurf Haushaltsplan 2021; 2. Änderungsliste) behandelt und die restlichen in eine “Hybrid- oder Onlinesitzung” verschoben werden. Über diesen Antrag wurde ohne Kommentare und Diskussion sofort abgestimmt.

Für den Antrag stimmte nur Bianca Steimle, die anderen Ausschußmitglieder dagegen. Anders als Dr. Rüddel und Andrea Manz nahm Bianca Steimle bis zum Ende an der Sitzung teil und nutzte bei mehreren Tagesordnungspunkten die Möglichkeit, ihre bzw die politische Position der Fraktion Die Linke in die Beratungen einzubringen. Allein dieses Verhalten führte dazu, dass mehrere Mitglieder der anderen Fraktionen nach der Sitzung, trotz der Gegensätze in der Sache, diese Mitarbeit der Fraktion Die Linke ausdrücklich als “konstruktiv” anerkannten, während über die Mitarbeitsverweigerung der SPD und der Grünen (Ausnahme: Lothar Bastian) durchgängig der Kopf geschüttelt wurde.

Trauriger Abklatsch

Bewertung von
Claus Jotzo

Vor 88 Jahren hatte die SPD noch Abgeordnete, die zu einer Sitzung kamen, obwohl sie wußten, dass das einem Todesurteil gleich kommen konnte. Von der Aufrichtigkeit, dem Mut und der Opferbereitschaft dieser Sozialdemokraten lebt die Bundesrepublik Deutschland noch heute. Und wird dies auch in Zukunft tun.

Denn immer wenn wer an der Tatsache zu verweifeln droht, dass eine von breiten Bevölkerungskreisen getragene Vernichtungsideologie auf deutschem Boden möglich war und dass das sich selbst als Heimat der Dichter und Denker rühmende Land neben anderen Perversionen erstmals die industrielle Menschenvernichtung praktizierte, kann der oder die sich im Sinne Hölderlins an deutsche Kommunisten und Sozialdemokraten erinnern, die der Gefahr und dem Bösen aufrecht entgegengetreten sind.

Heute nehmen Sozis einen erwiesenermaßen mit einfachsten Mitteln beherrschbaren Virus zum Vorwand, um sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen. Für so eine SPD sind 16% noch zuviel. Sie ist nur noch ein trauriger Abklatsch lange vergangener großer Tage.