Aufgespiesst: Mirko “Lüfter” Kohl versus Werner “Schliesser” Lorenz

Die Konfliktlinien im Stadtrat verlaufen nicht allein entlang von Fraktions- und Parteigrenzen. Unzählige Kriterien spielen eine Rolle. Da gibt es beispielsweise die Gruppe der Ratsmitglieder, die den Stadtbezirken positiv gegenübersteht. Und jene, die die fünf bestehenden am liebsten längst abgeschafft hätte. Zusätzlich eine, die auch allen anderen Einwohner*Innen in der Kernstadt Ortsbeiräte gönnt. Quer durch alle politischen Gruppen verläuft auch der Dissenz zwischen jenen im Rat, die dort gern diskutieren und streiten.

Minenfeld unterschiedlichster Interessen

Und den anderen, die angesichts der Aufwandsentschädigung von nur rund 250 Euro stundenlange Sitzungen für Zeitverschwendung halten. Einige würden alternativ zum derzeitigen Sitzungsbeginn um 17.30 Uhr lieber nachmittags tagen, wie es der Kreis macht. Und andere befürworten einen Beratungsstart um 20 Uhr. Kurzum. Beim Stadtrat handelt es sich um ein Minenfeld unterschiedlichster Interessen. Mit einem Extremverschleiß an Führungspersonal. So hatte die CDU-Fraktion in der letzten Wahlperiode auch aus diesem Grund in nur fünf Jahren gleich mehrere Fraktionsvorsitzende.

Präsenzsitzung oder Videokonferenz

Seit der Kommunalwahl im Mai letzten Jahres ist es die SPD, die gleich zwei neue aufbietet. Mit der Corona-Epidemie hat sich ein vollkommen neues Konfliktfeld aufgebaut. Entweder Sitzungen weiterhin mit Anwesenheit der Entscheidungsträger. So wie es die Erfinder der Demokratie im antiken Griechenland erfolgreich vorgemacht haben. Oder als Videokonferenz, bei der neben vielen anderen Details keiner weiß, in welcher konkreten Lebens- und Verhaltenssituation sich die anderen Teilnehmer*Innen befinden.

Viele leere Sitzplätze, Abstand ohne Ende: jede Menge Raum im Großen Kursaal.

Die Sitzung des Hauptausschusses am Montag vergangener Woche fand nicht im Internet, sondern im Großen Kursaal statt. Mit von der Partie neben anderen Mirko Kohl (CDU), bekennender Videokonferenzbefürworter. Und Werner Lorenz (FDP), Freund der Aussprache von Angesicht zu Angesicht. Die Oberbürgermeisterin, der ebenfalls Videokonferenzen viel lieber sind, als Präsenzsitzungen, hatte unter dem Deckmäntelchen des Infektionsschutzes die Fenster des höchsten und damit luftinhaltsreichsten Saales in der Stadt, in dem 600 Menschen Platz haben und nur rund 30 saßen, weit öffnen lassen.

Weit geöffnete Fenster im Grossen Kursaal während der Sitzung des Hauptausschusses am 7.12.2020.

Bei Aussentemperaturen um null Grad zog es daher schon nach wenigen Minuten wie Hechtsuppe. Werner Lorenz saß neben seinem Fraktionsvorsitzenden Jürgen Eitel. Der 79jährige Liberale war im Winterpullover gekleidet und klagte nicht mit einem Wort. Aber dessen Hautverfärbung fiel Lorenz natürlich auf. Weshalb er zunächst versuchte auf der Empore sitzende Personen zum Schließen der Fenster zu bewegen. Das gelang nicht. Und daher machte sich der Bosenheimer Winzer persönlich auf den Weg nach oben. Lorenz schloß die Fenster eigenhändig.

Um die von einem kalten Dauer-Luftzug bedrohte Gesundheit der Ausschußkolleg*Innen besorgt, verschloß Werner Lorenz die Fenster.

Als Mirko Kohl dies bemerkte, bat er zunächst Lukas Wirz vom Hauptamt der Stadt diese Schließung wieder rückgängig zu machen. Und ergriff dann auch am Mikrophon das Wort, um sich für geöffnete Fenster auszusprechen: “Ich habe mich eben gemeldet, als ich beobachtet habe, dass alle Fenster geschlossen wurden. Der Herr Wirz glaube ich ist unterwegs. Und ich bitte doch all die gerade, die gegen eine Onlinesitzung gestimmt haben. Ich friere zwar auch. Aber ich bitte da einfach nur dadrum, dass wenn wir alle schon jetzt uns hier in Präsenzsitzung bei den katastrophal steigenden Zahlen uns treffen, dass wir dann leider auch frieren müssen, aber dass die Fenster entsprechend geöffnet sind”.

Als Mirko Kohl die Fenster-Schließung bemerkte, meldete er sich zu Wort und protestierte.

Werner Lorenz erkannte darin eine Art Retourkutsche des Ratskollegen Kohl für das Eintreten auch der FDP für Anwesenheitssitzungen. Er widersprach Kohl daher lautstark und wies darauf hin, dass so wenige Menschen in dem riesigen Saal auch ohne Dauerlüften nur einem minimalen Risiko ausgesetzt sind. Zudem war Werner Lorenz aufgefallen, dass der selbe Mirko Kohl wie er selbst nur vier Tage zuvor am gleichen Platz im Grossen Kursaal saß. Als Teilnehmer der Stadtratssitzung. An der mehr als doppelt so viele Personen teilnahmen, als an der Sitzung des Hauptausschusses. Die mehr als 15 Minuten länger dauerte. Und bei der nicht gelüftet wurde. Ohne jeden Protest von Mirko Kohl.

Erstveröffentlichung am 15.12.2020