Die Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden riskiert den Verfassungsbruch

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Claus Jotzo

Ob die Angst vor der Öffentlichkeit oder dem Coronavirus größer ist, diese Frage blieb gestern Abend offen. Fest steht allerdings, dass die Mehrheit der Fraktionsvorsitzenden im Rat der Stadt Bad Kreuznach bereit ist an Stelle von Präsenzsitzungen Entscheidungen auf Ausschuß- und ggf auch Stadtratsebene in Videokonferenzen zu treffen. Obwohl das gescheiterte Experiment am Montag vergangener Woche samt Testlauf am Freitag zuvor bewiesen hat, dass dadurch die Beratungsqualität dramatisch sinkt und die breite Öffentlichkeit konkret ausgeschlossen wird.

Telefonkonferenz

Das ist das wesentliche Ergebnis der Telefonkonferenz der Verwaltungsspitze mit den Vorsitzenden der sieben Stadtratsfraktionen (CDU, SPD, Grüne, FFF (FDP, Faire Liste, Freie Wähler), AfD, Linke und FWG / BüFEP). Damit hat sich Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer (SPD) weitgehend durchgesetzt. Bei den gewählten Kommunalpolitikern. Die Rechtslage ist, das hat der Redaktion dieser Seite ein Fachjurist bereits am Wochenanfang dargelegt, eine ganz andere. Sollten tatsächlich Ausschuß- und Stadtratsentscheidungen im Umlaufverfahren oder in Videokonferenzen fallen, haben betroffene Bürger*Innen beste Aussichten diese vor Gericht anzufechten.

Keine Präsenzsitzungen nur in ganz extremen Fällen

Denn von der Abhaltung von Präsenzsitzungen darf nur in ganz extremen Fällen abgesehen werden. Wer der deutschen Sprache mächtig ist, kann das den auch in der rheinland-pfälzischen Bestimmung verwendeten Begriffen “Naturkatastrophe” und “andere außergewöhnliche Notsituationen” entnehmen. Ganz eindeutig ist die Coronaseuche, von der nach umfassenden Testreihen nur rund 500 von 160.000 Kreiseinwohner*Innen akut betroffen sind, weder eine “Naturkatastrophe” noch eine “andere außergewöhnliche Notsituation”.

Verhältnismäßigkeit ist zu prüfen

Schon im Bürgerkontakt wird es den Mandatsträger*Innen schwer fallen zu erklären, warum sie Arbeiten gehen, ihr Hobby pflegen, Einkaufen, Frisörbesuche und all das andere erledigen, was im Laufe einer Woche so anfällt – die Ausschuß- und Ratsarbeit aber nur im stillen Kämmerlein ausüben können. Die angerufenen Gerichte werden zunächst einmal die Verhältnismäßigkeit prüfen müssen. Auf unterschiedlichen Ebenen. Wäre es für die Rats- bzw Ausschußmitglieder zumutbar gewesen, an einer Präsenzsitzung teilzunehmen? War die Einschränkung der Öffentlichkeit dem Beratungsgegenstand angemessen?

“Präsenzsitzungen solange der Einzelhandel öffnet”

Fand eine hinreichende Abwägung statt? Mit welchen Argumenten? Und wie ist diese dokumentiert? All diese und andere Fragen müssen differenziert geklärt werden. Wobei die bisherige Rechtsprechung ganz eindeutig ist. Praktisch alle Gerichtsentscheide gingen gegen die Verwaltungen aus. Die ausdrücklich “unscharfe” Richtlinie des Fachjuristen: “solange der Einzelhandel öffnet, sind Präsenzsitzungen Pflicht”. Die selbe Gemeindeordnung, die “Naturkatastrophen” und “andere außergewöhnliche Notsituationen” als Begründung für Videokonferenzen benennt, sagt übrigens auch ganz klar, dass bereits zu ganz normalen Zeiten auch eine handvoll Stadtratsmitglieder alleinentscheidungsberechtigt ist.

Stellvertreter sind gut gegen Corona-Panikattacken

Nämlich dann, wenn eine vorhergehende Sitzung beschlußunfähig war und in der Einladung darauf hingewiesen wurde, dass auch wenig Anwesende entscheidungsmächtig sind. Darin drückt der Gesetzgeber die Bedeutung von Präsenzsitzungen aus. Bei Ausschußsitzungen sollten die Präsenz-Verweigerer darauf hingewiesen werden, dass keine(r) kommen muß. Eigens für Fälle von Corona-Panikattacken und Bequemlichkeitsausbrüchen ermöglicht die Gemeindeordnung ein Stellvertreter*Innensystem.