Die Angst der Fraktionen vor einer Ausschuß-Neuwahl

Bewertung von
Claus Jotzo

Eigentlich steht als drängende Aufgabe die Beratung und Beschlußfassung des Stadthaushaltes für 2021 an. Die Sanierung der Finanzen, der Bau einer neuen Grundschule, die Bereitstellung ausreichender Kita-Plätze, die Abgabe des Jugendamtes an den Kreis, die Rekommunalisierung des ÖPNV – an schwergewichtigen Aufgaben mangelt es der Stadtpolitik wahrlich nicht. Und trotzdem hat die Nachricht von der Erweiterung der Fraktion FDP / Faire Liste / Freie Wähler (FFF) in Teilen der Bad Keuznacher Kommunalpolitik eingeschlagen wie eine Bombe.

Stärkeverhältnis verändert

Denn spätestens damit hat sich das Stärkeverhältnis der im Stadtrat vertretenen politischen Gruppen nachweislich verändert. Wie von dieser Seite dargelegt, ergibt sich durch die diversen Fraktionswechsel eine neue Größenrelation untereinander, was zu einer anderen Verteilung der Ausschußsitze führen würde. Die dadurch zwingend vorgeschriebene Neuwahl der Ausschüsse ist nicht nur eine einfache Formfrage. Und es geht auch nicht allein darum, wer ein Pöstchen verliert oder dazugewinnt. Die von dieser Seite bereits gestern thematisierte Fragestellung betrifft die Legitimität der Entscheidungen von Ausschüssen und dem Stadtrat.

Ohne Ausschußneuwahl drohen Klagen

Beraten und beschließen nämlich Gremien, die dem Gesetz nach anders zusammengesetzt sein müßten, können deren Entscheidungen erfolgreich vor Gericht angefochten werden. Sowohl von einzelnen Stadtratsmitgliedern und Fraktionen. Aber auch von betroffenen Einwohner*Innen. Dieses erhebliche Risiko führt anderernorts in der Praxis oft zu den Super-Koalitionen nahezu aller Ratsmitglieder. Unter dem Deckmäntelchen “sachorientierter, überparteilicher Arbeit” bekommt jede politische Gruppierung ein Häppchen vom großen Kuchen ab – keiner meckert. Und vor allem: keiner klagt.

Schluß mit “Friede, Freude, Eierkuchen”

Die Situation in Bad Kreuznach ist mittlerweile eine andere. Hier haben einzelne Stadtratsmitglieder wie Wilhelm Zimmerlin (BüFEP) und Gerhard Merkelbach (Faire Liste) bereits bewiesen, dass ihnen die Einhaltung von Rechtsvorschriften wichtiger ist, als “Friede, Freude, Eierkuchen” und ein Extra-Bussi der OBin bei der Weihnachtsfeier. Und auch in der Bürgerschaft lauern mittlerweile einige darauf, es Antonio Valentino nachzutun, der Ende 2018 die erste Variante des Tourismusbeitrages für 2017 gerichtlich verbieten ließ.

Komplexität, Unwissenheit und Risiken:

Es besteht also ein tatsächlicher Druck die Neubesetzung der Ausschüsse rechtlich korrekt durchzuführen. Und trotzdem schrecken fast alle davor zurück. Selbst jene, die davon profitieren würden. Was die Frage aufwirft: wieso kommen bei einem rechtlich klar geregelten Vorgang Ängste auf? Das liegt an der Komplexität der Sache an sich. Auch am fehlenden Wissen vieler Stadtratsmitglieder über das Wahlverfahren. Und an den tatsächlichen Risiken, die damit verbunden sind. Denn nur ein einziger Weg führt zu einem plan- und vorhersehbaren Ergebnis: der “Gemeinsame Wahlvorschlag”.

Die Überraschungen bei geheimen Wahlen

Kommt es dazu nicht, haben alle Wahlvorschlagsträger und Fraktionen das Recht einen eigenen Wahlvorschlag vorzulegen. Und dann wird darüber in geheimer Wahl abgestimmt. Aus der Bundes- und Landespolitik, in der geheime Wahlen häufiger stattfinden, ist bekannt, wie das enden kann: mit vollkommen überraschenden Ergebnissen. Bei der geheimen Wahl gibt es aber noch ein zusätzliches Problem: Briefwahl ist nicht möglich. Das heisst, nur wer anwesend ist, darf abstimmen. Ganz egal ob der Fehlgrund Geliebte(r), Autopanne, Arbeit, Urlaub oder Krankheit heisst.

Nur wer anwesend ist darf abstimmen

So kann eine Fraktion im Stadtrat, wie z.B. die Grünen, zwar acht Sitze haben. Wenn aber in der Wahlveranstaltung nur sechs davon anwesend sind, können die Grünen aus den eigenen Reihen auch nur diese sechs Stimmen erhalten. Mit dem Ergebnis einer geringeren Ausschußplatzzuteilung. Das damit verbundene Risiko, die Sorge vor einem unkalkulierbaren Ergebnis ist bei den Fraktionen riesengroß. Und führt zu teilweise kuriosen Verhaltensweisen. Den sachkundigen Beobachtern ist in diesem Zusammenhang der 30. August 2018 noch gut in Erinnerung.

FWG setzte Sonderbesetzung durch

Damals stand wegen dem Übertritt von Birgit Ensminger-Busse von der FDP zur CDU und der Neubildung der FWG-Fraktion aus Karl-Heinz Delaveaux und Wolfgang Kleudgen ebenfalls eine mögliche Ausschußneuwahl an. Der Stadtrat tagte damals im Großen Kursaal. Eine Mehrheit der Fraktionsvertreter*Innen hatte sich zwei Wochen zuvor in einer dubiosen Vorbesprechung mit der Oberbürgermeisterin auf einen “Gemeinsamen Wahlvorschlag” geeinigt. Der sah das erstaunliche Ergebnis vor, dass die Zwei-Mann-Fraktion FWG im Finanzausschuß zwei von 17 Sitzen behalten sollte. Und die siebenfach größere CDU nur fünf.

Karl-Heinz Delaveaux war gut vorbereitet

Den damaligen CDU-Fraktionschef Werner Klopfer wurmte diese offensichtliche Ungerechtigkeit so sehr, dass er sich vom Ergebnis der Vorbesprechung distanzierte. Und samt seiner Fraktion eine Sitzungsunterbrechung vor der Wahl durchsetzte. Mit dem Ziel einer anderen Verteilung innerhalb des “Gemeinsamen Wahlvorschlages”. Diese Forderung ließ FWG-Fraktionschef Karl-Heinz Delaveaux locker abperlen. Delaveaux hatte sich auf genau diese Situation gut vorbereitet, aufgrund der Anwesendenzahlen verschiedene Rechenmodelle erstellt und hätte beim Abschied vom “Gemeinsamen Wahlvorschlag” die Tücken des Ausschußwahlverfahrens zum Vorteil für seine Fraktion genutzt.

CDU zog Protest kleinlaut zurück

Delaveaux kann halt mindestens bis elf zählen. So viele Stadtratsmitglieder (!) nahmen – entschuldigt – an der Sitzung nicht teil: ein Viertel der gewählten Mandatsträger. Trotz eines am Jahresende 2017 vorgelegten Jahresterminkalenders. Darunter auch mehrere Christdemokraten. Das dämmerte in der Sitzungsunterbrechung den Mitgliedern der CDU-Fraktion. Weshalb diese ihren Protest kleinlaut zurückzog. Und die zu ihren Lasten erfolgte Umbesetzung im Finanzausschuß mit der Faust in der Tasche akzeptierte.

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