Vorsatz oder Unfähigkeit? Stadt schließt Öffentlichkeit digital aus

Von Gabriele Stroh, Antonio Valentino,
Steffi Schmidt und Claus Jotzo

Transparenz und Öffentlichkeit sind der beste Schutz vor Amtsmißbrauch und dunklen Geschäften. Aus diesem Grund hat die SPD-geführte Landesregierung – leider unbemerkt von breiten Bevölkerungsschichten – vor vier Jahren eine Jahrhundertreform des Kommunalrechtes durchgesetzt: alle Ausschüsse von Gemeinden, Städten und Kreisen müssen seit dem fast immer öffentlich tagen. Nicht nur die Presse, alle Einwohner*Innen dürfen zu den Sitzungen kommen und zuhören. Noch immer fremdeln viele langjährige Kommunalpolitiker mit dieser gravierenden Rechtsänderung.

Die Screenshots beweisen: auch die Ausschußmitglieder hatten digital jede Menge Probleme.

Nach wie vor würde ein großer Teil lieber wie früher “unter sich” klären, was BürgerInnen zu zahlen und zu machen haben. Eine ganz neue Variante von Geheimsitzung hat die Stadtverwaltung Bad Kreuznach am Montag dieser Woche ausprobiert. Eine sogenannte Videokonferenz in der Variante Hybrid. Die Redaktion dieser Seite hat zwei MitarbeiterInnen und zwei Leser*Innen testweise die Sitzung digital verfolgen und dokumentieren lassen. Und dabei wurde deutlich: der Zugang der Öffentlichkeit zum Zuhören und -sehen der Sitzung wurde mindestens erschwert, in zwei Fällen sogar verhindert.

Das fing damit an, dass eben nicht einfach ein Link anzuklicken war, um dabei zu sein, wie die Veröffentlichungen der Stadtverwaltung suggerierten. Sondern die Interessenten mußten sich eine App fürs Smartphone bzw Software für ihren PC runterladen. Vollkommen ungeklärt ist dabei die Rechtsfrage: wer haftet, wenn diese Software bzw App zu einem Schaden führt oder von Dritten mißbraucht wird? An zwei Geräten gelang digital-affinen Personen der Zugang zur Sitzung nicht. Die beiden anderen konnten die Sitzung allerdings auch nur bruchstückhaft verfolgen.

Die Tonqualität wurde als “unter aller Sau” eingestuft. Gut zu hören war allein die Oberbürgermeisterin. Alle anderen RednerInnen schlecht bis gar nicht. Selbst wer die zehn digital zugeschalteten Stadtrats- und Ausschußmitglieder persönlich kennt, konnte diese in der Videokonferenz nicht sicher erkennen. Fazit: selbst die ungünstigen Verhältnisse im Sitzungssaal der Stadtverwaltung ermöglichen eine ungleich bessere optische wie akustische Wahrnehmung, als das digitale Angebot. Konsequenz der zwei LeserInnen: “das tun wir uns nicht noch einmal an”.

Ein Grund für das Desaster dürfte sein, dass es der Stadtverwaltung vollkommen egal war, ob die öffentlichkeit die Sitzung mitverfolgen konnte oder nicht. Um das ausserhalb der kommunalpolitischen Blase wahrnehmbare bzw nicht wahrnehmbare Signal kümmerte sich keine einzige Amtsperson. Statt dessen war eine handvoll im Sitzungssaal damit beschäftigt die Kommunikationslücken für die Amts- und Mandatsträger so klein wie möglich zu halten. Ein weiterer Beweis für die öffentlichkeitsphobe Grundeinstellung der Verwaltung:

Getestet wurde am Freitagnachmittag vergangener Woche lediglich, ob der Verbindungsaufbau zu den Ausschuß- und Stadtratsmitgliedern klappt. Ein die Beteiligung der Öffentlichkeit sicherstellender Test fand nicht statt. Und so haben die daran interessierten Kreise einen Weg gefunden, die vor vier Jahren beschlossene Gesetzesänderung für mehr Transparenz vollständig zu unterlaufen. Kein einziges Stadtrats- und Ausschußmitglied, dass an der Videokonferenz am Montag digital teilnahm, hat sich darum gekümmert, die Teilhabe der Öffentlichkeit sicherzustellen. Statt die erheblichen technischen Probleme zu thematisieren, wurde die Stadtverwaltung sogar noch gelobt.

Gerd Cremer (rechts) und Rolf Bühring saßen live vor Ort im städtischen Sitzungssaal. Und konnten so wesentlich mehr von der Sitzung mitbekommen, als Einwohner*Innen an PCs und Smartphones daheim.

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