Am Montag lauern keine Querdenker auf dem Schulweg

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Der Brandbrief ging am Donnerstag an alle Schulleitungen in Rheinland-Pfalz. Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier (ADD) weist darin auf eine bundesweite Aktion gegen die Maskenpflicht hin. Der Inhalt ist ein unmißverständlicher Warnhinweis: Aktivisten der Stuttgarter Polit-Initiative “Querdenken 711” planen am kommenden Montag (9.11.20) gezielt Kinder und ihre Angehörigen auf dem Schulweg anzusprechen. Die Ansprech-Trupps sollen nach Information der ADD aus jeweils einem Elternteil, einem Arzt und einem Anwalt bestehen.

Auch am kommenden Montag können die Kinder unbeschwert in die Schule gehen. Die von der ADD angekündigte Querdenker-Aktion findet nicht statt. Bild: Polizei

Diese Agitationsgruppen haben nach Einschätzung der ADD ein klares Ziel: “Menschen zu Maskenskeptikern, wenn nicht gar zu Gegnern zu machen”. Die ADD verfügt laut dem amtlichen Schreiben, das über EPoS („Elektronische Post für Schulleitungen/Schulen“ ist ein sicheres E-Mailsystem zur offiziellen Kommunikation zwischen Schulleitungen, dem Ministerium für Bildung, (BM), der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) und dem Pädagogischen Landesinstitut (PL) verschickt wurde, auch detaillierte Kenntnisse über die operative Umsetzung der Coronaschutzmaßnahmengegner:

“Unterwiesene Teams”

“Die vernetzten und vorher in Regionalmeetings entsprechend unterwiesenen Teams sollen vor den Schulen an ihren Verteilerposten eine CO2-Messung der Atemluft der Kinder unter deren eigenen Masken anbieten, um die potenzielle Schädlichkeit von Masken plakativ darzustellen”. Zudem würden die Querdenker eine Millionen Masken verschenken, die “anscheinend großmaschig und stark luftdurchlässig sein” sollen. “Mit ihnen wird es deshalb laut “Querdenker” vielleicht keinen vermeintlich gesundheitsschädlichen CO2-Rückstau geben. Dann fehlt aber auch der Schutz vor Ansteckung”, mahnt die ADD.

“Verunsicherung und Verärgerung”

Und gibt dann eine Reihe von Hinweisen, wie vor und in der Schule mit der Aktion umzugehen ist (Wortlaut untenstehend). Der Brandbrief der ADD hat in einer Reihe von Schulen im Kreisgebiet hektische Aktivitäten, Elterninformationen, Lehrerkonferenzen und an der Aktivitäten zu Folge gehabt. “Verunsicherung und Verärgerung” ist die gleichlautende Bewertung der Wirkung dieser Aktivitäten, die der Redaktion dieser Seite am Donnerstag und am gestrigen Freitag aus vier Schulen, teils aus dem Lehrkörper teils aus der Elternschaft, berichtet wurde.

Aktion findet nicht statt

Ärgerlich daran ist: die ganze Aufregung war umsonst. Denn die Aktion findet nicht statt. Laut “Querdenken 711” war sie in der von der ADD beschriebenen Form sogar nie geplant: “Dass Schüler oder Eltern auf dem Schulweg angesprochen werden würden, ist falsch. Alle Initiativen von Querdenken melden Versammlungen nach GG Artikel 8 an und stehen für die freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein”. Es habe zwar im vergangenen Oktober eine interne “Kommunikations-Test-Email” gegeben, in der eine Schulaktion angekündigt worden sei.

Nicht aus dem Busch springen

Aber Querdenker würden nicht “aus dem Busch springen”, sondern beantragte und genehmigte Infostände aufbauen. Das hätte die ADD auch leicht selbst ermitteln können. Durch eine Anfrage an “Querdenken 711”. Oder durch ein Nachlesen deren Selbstdarstellung auf deren Internetpräsentation. Jetzt bedankt sich die Stuttgarter Initiative sogar mit einem leicht höhnischen Unterton für die unerwartete Aufmerksamkeit, die ihr die rheinland-pfälzischen Behörden zuteil werden ließen.

Unverantwortlich

Kommentar von
Claus Jotzo

Es ist unverantwortlich, dass in einem der wenigen noch tatsächlich freien Länder der Welt Zeitgenossen, die genau von dieser Freiheit Tag für Tag profitieren, den Eindruck erwecken, als würden wir alle in einem Unrechtsstaat leben.

Jedem freiheitsliebenden Menschen, der auch nur über ein bißchen Empathie verfügt und daher mitleidet, wenn Menschen, die nichts anders machen, als die Samstags-Spaziergänger auf dem Kornmarkt, in vielen anderen Ländern mißhandelt, verhaftet und in anderer Weise menschenrechtswidrig bestraft werden, müßte der Hals schwellen, wenn auf Demonstrationen gegen die Coronaschutzmaßnahmen Bundeskanzlerin Merkel als Diktatorin und Ministerpräsidentin Dreyer als deren willfährige Spießgesellin hingestellt werden.

Wir Demokraten ertragen all das, weil wir wissen, dass es besser ist, wenn jeder seine Wahnvorstellungen frei heraus sagen darf und man sich dann offen bürgerschaftlich damit auseinandersetzen kann. Und so feststellt, wo sich hinter aggressiver und / oder naiver Rhetorik echte Probleme und reale Sorgen verbergen. Unverantwortlich ist aber auch das Total-Versagen einiger Staatsorgane. Im Fall “Warnung vor Querdenkern auf dem Schulweg” ist hier die entsprechende Abteilung bei der ADD gemeint.

Die in ihren klimatisierten Büros (Hausanschrift: Kurfürstliches Palais, mehr muß man dazu nicht sagen) vor dem rauen Herbstwind gut geschützten Schlafmützen dort, hätte man am Donnerstag besser durcharbeiten lassen. Und nicht zum Mittagessen wecken sollen. Statt einfach mal mit einem Aufwand von 21 Minuten (so lange haben wir gebraucht, um die entsprechenden Quellen im Netz zu finden und zu sichern) die Sachlage zu überprüfen, wird eine landesweite Verunsicherung ausgelöst.

Wie clever (Ironieschild hochgestreckt) die zuständigen ADD-Mitarbeitenden sind, kann man daran erkennen, dass die jeweiligen Schulträger, etwa die Kreisverwaltung Bad Kreuznach, gar nicht informiert wurden. Man muß sich das mal vorstellen: da warnt eine Aufsichtsbehörde vor unerfreulichen lokalen Aktivitäten – und informiert die dort zuständigen Behörden nicht.

Der Kreis mußte von dem Aufreger auf anderem Weg erfahren. Und machte vor, wie öffentliche Verwaltung den Einwohner*Innen tatsächlich dienlich ist: für den Fall der Fälle, auch um verunsicherten Lehrern und Eltern Auskunft geben zu können, wurden Polizei, Ordnungsamt und andere betroffene Dienststellen informiert. Und auf eine öffentlichkeitswirksame Showaktion verzichtet.

Der ADD-Brief vom 5.11.2020 im Wortlaut

“Per EPoS: 05. November2020

An alle Schulen in Rheinland-Pfalz

Initiative „Querdenken“ gegen Maskenpflicht
Hinweise zum Umgang mit entsprechenden Aktivitäten innerhalb der Schule

Sehr geehrte Schulleiterinnen und Schulleiter, es liegen Informationen vor, die uns dazu veranlassen, mit nachfolgendem Sachverhalt an Sie heranzutreten: Die Initiative “Querdenken” plant offenbar am 09.11.2020 eine bundesweit organisierte Großaktion gegen die Maskenpflicht. Im Fokus: Kinder und Jugendliche an 1000 Schulen in Deutschland! Es sollten Aktivisten vor Ort (gewünscht ist jeweils ein Elternteil, ein Arzt und ein Anwalt) gezielt Kinder und ihre Angehörigen auf dem Schulweg ansprechen. Ihre Intention: Menschen zu Maskenskeptikern, wenn nicht gar zu Gegnern zu machen.

Die vernetzten und vorher in Regionalmeetings entsprechend unterwiesenen Teams sollen vor den Schulen an ihren Verteilerposten eine CO2-Messung der Atemluft der Kinder unter deren eigenen Masken anbieten, um die potenzielle Schädlichkeit von Masken plakativ darzustellen. Die Initiative rechnet damit, dass ihre Aktivitäten zu einem breiten fakten-basierten Hinterfragen der Maskenpflicht bei den Eltern führen wird, die ihre Erkenntnisse dann weitertragen werden. Zudem sollen in allen Bundesländern von tausenden Helfern an 1000 Schulen je 1000 Mund-Nasen-Abdeckungen kostenlos an Kinder verteilt werden.

Jeder Träger wird durch ein Logo auf der Maske Werbung für eine mit Querdenken verbundene Organisation machen. Die ausgeteilten Masken sollen anscheinend großmaschig und stark luftdurchlässig sein. Mit ihnen wird es deshalb laut “Querdenker” vielleicht keinen vermeintlich gesundheitsschädlichen CO2-Rückstau geben. Dann fehlt aber auch der Schutz vor Ansteckung. Ich bitte Sie diesen Sachverhalt in pädagogisch geeigneter Art und Weisemit den Schülerinnen und Schülern im Klassen- oder Kursverband zuerörtern und – wenn auch nochmals – auf die infektionsschutzbedingte Notwendigkeit zum Tragen einer Mund- und Nasenschutzmaske hinzuweisen.

Hierbei bitte ich Sie einen besonderen Schwerpunkt auf das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu legen, das jeden einzelnen ungeachtet seiner persönlichen Meinung zu einem bestimmten Sachverhalt zum Respekt gegenüber konträren Meinungsbildern und zur Rücksichtnahme auf mitunter sehr konträre soziale Bedürfnis- und Interessenlagen von anderen Gesellschafsmitgliedern verpflichtet. Während einer Pandemie, die wissenschaftlich erwiesenermaßen durch Tröpfcheninfektionen verbreitet wird und zu ernsthaften gesundheitlichen Folgeschäden bis hin zum Tod der Betroffenen führen kann, ist das Tragen einer Mund-und Nasenbedeckung im öffentlichen Raum ein Ausdruck von eben genau dieser Rücksichtnahme gegenüber den Mitmenschen.

Natürlich ist es legitim und Ausdruck einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dass freiheitseinschränkende Maßnahmen des Staates innerhalb der Gesellschaft auf Sinn, Zweck und Verhältnismäßigkeit hinterfragt und diskutiert werden. Die Förderung eines solchen kritischen Denkenszu gesellschaftspolitischen Themen entspricht auch dem staatlichen Bildungsauftrag. Allerdings muss ein entsprechender Diskurs stets tatsachenbasiert und nicht allein auf Befindlichkeitsebene geführt werden. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass das Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung in Kombination mit Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum gerade für junge Menschen, die in aller Regel im Infektionsfall mit keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen zu rechnen brauchen, als massive Beeinträchtigung ihrer persönlichen Freiheit empfunden wird.

Allein aus diesem Beeinträchtigungsgefühl heraus lässt sich jedoch nicht die Notwendigkeit der Verpflichtung zum Tragen einer Mund- und Nasenbedeckung im öffentlichen Raum negieren. Ebenso legitimiert es nicht dazu die bestehenden Hygieneregeln außer Acht zu lassen. Im Gegenteil: Wenn die persönliche Freiheit junger Menschen nicht noch weiter durch staatliche Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens eingeschränkt werden soll, müssen die geltenden Regeln auch von jungen Menschen beachtet und bei Verstößen mit Maßnahmen begegnet werden.

Falls also Schülerinnen und Schüler ab der kommenden Woche auf dem Schulweg von Aktivisten der Initiative: „Querdenken“ angesprochen werden sollten, bitte ich Sie darauf hinzuweisen, dass außerhalb des Schulgeländes selbstverständlich eine Kommunikation mit den Aktivisten und auch eine CO2-Messung der Atemluft unter den getragenen Masken erlaubt ist. Aufgrund der bestehenden Hygieneregeln ist es jedoch trotz der vermeintlichen Gegenargumente der Initiative: „Querdenken“ untersagt ohne oder mit deutlich ungeeigneten Maskenattrappen das Schulgelände zu betreten.

Ergänzend verweise ich hier nochmal auf das Schreiben der ADD vom 23.10.20 zum Thema Mund-Nasen-Bedeckung und Maskengegnern. Ich hoffe, dass ich Sie mit diesem Schreiben informieren und Gelegenheit zur Vorbereitung auf mögliche Aktionen geben konnte. Ich wünsche Ihnen, dass Sie im Schulalltag mit entsprechenden Aktivitäten nicht konfrontiert werden. Mit freundlichen Grüßen In Vertretung Raimund Leibold”