SPD fällt beim Fakten-Check ihrer Thiergarten-Verteidigung durch

Bewertung von
Claus Jotzo

Meinungen soll und darf jede(r) haben. Und über Geschmack läßt sich nicht streiten. Genausowenig wie über Fakten. Weil seit einigen Jahren in der politischen Diskussion auch in Bad Kreuznach Realitäten geopfert werden, um vorgestanzte Wunsch-Meinungen zu ermöglichen, hat sich diese Seite von Anfang an vorgenommen, wo immer möglich einen Fakten-Check durchzuführen. Die aktuelle Verteidigungsschrift der SPD-Stadtratsfraktion für Annette Thiergarten (Grüne) gibt dazu eine ausgezeichnete Möglichkeit.

Häufige Verstösse gegen die Gemeindeordnung

Zugunsten dieser Analyse samt Bewertung stellen wir die Berichterstattung über den zugrundeliegenden Mißstand, nämlich den vom Stadtratsmitglied Annette Thiergarten laut Gerhard Merkelbach verwirklichten Rechtsbruch, zurück. Wohlwissend, dass eine breite Mehrheit im Stadtrat die Berichterstattung über solche Themen für überflüssig und unangenehm hält. Denn von einigen wird allzuoft gegen die Regeln der Gemeindeordnung verstossen. Gern wird daher gemeinschaftlich über Rechtsverletzungen hinweggesehen. So wie die Dauerparker vor dem Imbiß Gümüs die Ausrede präsentieren, sie hätten doch nur fünf Minuten gehalten, so heisst es unter der Hand von den betroffenen Stadtratsmitgliedern: es war doch für eine gute Sache.

Ausserdem haben im Laufe der Jahre einige im Rat der Stadt eine alte Sponti-Weisheit verstanden: wer seinen Zeigefinger auf einen anderen richtet, zeigt mit den drei anderen auf sich selbst … Daher gewinnt Gerhard Merkelbach mit seinem Engagement in den Reihen seiner Ratskolleg*Innen keine neuen Freunde. Ganz anders, als in der Bevölkerung. Kommen wir nun zur per Presseerklärung verbreiteten Verteidigungsschrift der SPD-Stadtratsfraktion für Annette Thiergarten (Grüne). Diese ist von Dr. Claudia Eider und Holger Grumbach unterzeichnet. Und schon diese Tatsache ist das erste Problem für die SPD: keine(r) von beiden hat an der Sitzung des Kulturausschusses teilgenommen (anders als der Verfasser dieses Textes).

Kenntnis nur vom Hörensagen

Dr. Eider und Holger Grumbach können sich nur auf Hörensagen stützen, sind keine Augenzeugen. In ihrem Text (den wir untenstehend unter der Überschrift “Die Presseerklärung der SPD-Stadtratsfraktion im Wortlaut:” wiedergeben) wird an keiner Stelle ein SPD-Ausschußmitglied zitiert. Aus guten Grund. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Cäcilia Brantzen, Lisa Lutzebäck oder Dr. Heinz Rüddel unwahre Angaben machen würden. Denn das könnte im Einzelfall schmerzliche rechtliche Folgen haben. Als Quelle ihrer Weisheit bezieht sich die SPD-Fraktionsspitze allein auf Einladung und Protokoll der Ausschußsitzung.

“Es wurde sich darauf verständigt”

Diese Unterlagen sind öffentlich einsehbar (https://bad-kreuznach-stadt.gremien.info/sitzungen_top.php?sid=ni_2020-KA-7&suchbegriffe=&select_koerperschaft=&select_gremium=KA&datum_von=2018-06-14&datum_bis=2020-12-17&entry=0&sort=&kriterium=si). Und daher kann sich dort jede(r) von der Leseschwäche der SPD-Fraktionsspitze überzeugen. Unter Tagesordnungspunkt 5 “Neues “Eisernes Buch” der Stadt Bad Kreuznach” ist im Protokoll wörtlich festgehalten: “Beratung”. Und weiter: “Es wurde sich darauf verständigt”. Die SPD schreibt dazu wörtlich:

SPD: “ohne Beschluß keine Befangenheit”

“Es handelte sich hierbei um keine Beschlussvorlage, sondern lediglich um eine Mitteilungsvorlage. Ein Blick ins Protokoll hätte Herrn Merkelbach also eigentlich schon gereicht, um festzustellen, dass über den Punkt nur diskutiert und kein Beschluss gefasst wurde und somit auch gar keine Befangenheit vorliegen kann”. Richtig ist, dass das Papier von der Verwaltung mit dem Wort “Mitteilungsvorlage” überschrieben und verschickt wurde. Unwahr ist, dass kein Beschluß gefaßt wurde. Für die Tatsache, dass es sich – anders als die SPD dies behauptet – nicht nur um eine Mitteilung gehandelt, reicht ein Blick in das Kommunalbrevier aus.

Keine Aussprache über Mitteilungen

Diese “Übersetzungshilfe für kommunalrechtliche Vorschriften” haben alle Mitglieder des Rates der Stadt, also auch Dr. Claudia Eider und Holger Grumbach, bei ihrer Verpflichtung im Juni 2019 erhalten. Dort steht unter dem Kapitel “Mitteilungen und Anfragen” wörtlich: “Gemäß § 33 GemO hat der Bürgermeister gegenüber dem Rat verschiedene Unterrichtungs- und Auskunftspflichten. Die entsprechenden Mitteilungen finden unter diesem Tagesordnungspunkt statt. Eine Aussprache hierüber erfolgt nicht”. Am 9. September 2020 fand allerdings eine Aussprache statt. Eine sehr ausführliche Aussprache.

Über 30 Minuten lang diskutiert

Über keinen anderen Tagesordnungspunkt, nicht einmal über den Kultur-Haushalt für 2021, wurde an diesem Abend so lange diskutiert: über 30 Minuten lang. Allein Annette Thiergarten beteiligte sich mit mindestens fünf Wortmeldungen. Und diese Diskussion veränderte den Verwaltungsvorschlag erheblich. In einer Reihe von Punkten setzte Annette Thiergarten ihre persönliche Sichtweise durch. Ein Detail hält das Protokoll sogar fest: “Frau Thiergarten erklärt, dass ein Buchbinder und kein Kalligraph für den Einband zu beauftra­gen wäre”. Die Oberbürgermeisterin sagte eilfertig zu, genau so zu verfahren.

Amtsleiterin Grit Gigga mahnte

Annette Thiergarten trat in dieser Diskussion so dominant auf, dass sich die Leiterin des städtischen Kulturamtes, Grit Gigga, zu der Erklärung genötigt sah, sie fühle sich mit der Diskussionsituation unwohl, da sich an der Diskussion Personen beteiligten, die zum Bewerberkreis der von der Jury verworfenen Vorschläge zählen, mithin in eigener Sache sprechen. Auch nach diesem Hinweis brach Annette Thiergarten ihre Mitwirkung nicht ab. Sondern diskutierte munter weiter. Die im Protokoll vermerkte Formulierung, “es wurde sich darauf verständigt”, dokumentiert nichts anders als das Ergebnis einer Meinungsbildung.

Kulturausschuß hat Beschluß gefaßt

Fachjuristen haben dazu formuliert: “Der Beschluss ist Ausdruck der kollektiven Willensbildung”. Eine “Verständigung” ist genau dies. Daher spielt es juristisch keine Rolle, ob dies als “Festlegung” oder “Entscheidung” bezeichnet wird. Denn es ist faktisch ein Beschluß. Und Diskussion und Verständigung sind objektiv eines definitiv nicht: die Entgegennahme einer Mitteilung. Somit steht fest: der Kulturausschuß hat am 9. September 2020 unter aktiver Mitwirkung von Annette Thiergarten einen Beschluß zu einem Thema gefaßt, an dem sie persönliche und finanzielle Interessen hat und demzufolge gemäß § 22 Gemeindeordnung auszuschließen war.

Befangenheit auch ohne Beschlußmitwirkung möglich

Traurig für die SPD: selbst wenn unsere vorstehende Sachdarstellung falsch wäre, würde das an der Widerlegung der zweiten Behauptung der SPD gar nichts ändern. Denn ganz anders, als es Dr. Claudia Eider und Holger Grumbach behaupten, liegt Befangenheit eben nicht nur dann vor, wenn ein Beschluß gefaßt wird. Um das zu erkennen, muß man nicht in juristische Archive hinabsteigen oder komplexe Überlegungen anstellen. Es reicht der Wortlaut des vorstehend zitierten Kommunalbreviers. Im Kapitel “Umfang des Mitwirkungsverbots” steht es so einfach geschrieben, dass auch Nichtjuristen es verstehen können:

Verboten ist “nicht nur die Mitwirkung an der Beratung und Entscheidung im Gemeinderat, sondern jedwede Beteiligung, also auch in den Ausschüssen. … Eine Mitwirkung an der Beratung liegt nicht nur dann vor, wenn der Auszuschließende zum Beratungsgegenstand spricht, sondern schon dann, wenn er entgegen § 22 Abs. 4 GemO in öffentlicher Sitzung am Beratungstisch verbleibt (bloßes Abrücken um Stuhlesbreite reicht nicht!) und nicht unter den Zuhörern Platz nimmt”. Aber genau das hat Annette Thiergarten getan. Sie hat sich nicht zu den Zuhörer*Innen gesetzt. Sondern mitgeredet.

Jury lehnte auch Thiergarten-Vorschlag ab

Bleibt die Frage (auf die wir in nächsten Beitrag sehr konkret eingehen), wie die Interessen der Annette Thiergarten aussehen und wie ihre Einflußmöglichkeit als Stadtrats- und Ausschußmitglied praktisch sein muß, um die Besorgnis der Befangenheit im Rechtssinne hervorzurufen. Da ist die Sach- und Rechtslage glasklar: Annette Thiergarten hat sich im Frühjahr 2019 als eine von fünf Personen mit einem Vorschlag für die Neugestaltung des “Eisernen Buches” der Stadt beteiligt. Die zur Beurteilung dieser fünf Vorschläge eingesetzte Jury, der sie nicht angehörte, fand alle fünf Vorschläge nicht passend.

Thiergartens Zurückweisung begründet Befangenheit

Und vergab den Preis nicht. Allein dieser Umstand schließt aus, dass sich eine in dieser Weise zurückgewiesene Person “uneigennützig und gemeinwohlorientiert” an der weiteren Entwicklung speziell dieser Sache beteiligen kann. Wer da anderer Meinung ist macht auch Böcke zu Gärtnern. Es geht also gar nicht darum, ob Annette Thiergarten durch die Beratungen und Entscheidungen im Kulturausschuß zum “Eisernen Buch” einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil hat oder haben kann. Es geht darum, ob Einwohner*Innen den Eindruck gewinnen können, dass es Annette Thiergarten nach der Zurückweisung ihres Vorschlages nicht allein nur noch um die Sache geht.

OVG hat die Rechtsfrage längst entschieden

Wer nicht erkennen mag, dass dieser “böse Schein” im Fall Thiergarten sich geradezu aufdrängt, der gehört wohl zu jener Personengruppe, die sich beim Kauf eines Produktes auf die Kommentierung des Mitbewerbers verläßt. Und bei der Bewertung der neuen Partnerin des Nachbarn auf dessen Exfrau. Die Fachjuristen formulieren natürlich wesentlich abstrakter, aber durchaus noch verständlich und nachvollziehbar. So der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichtes Rheinland-Pfalz (OVG) am 24.6.2009, Aktenzeichen: 2 A 10098/09, von dem die nachstehenden Leitsätze stammen:

“Direkte Kausalität nicht erforderlich”

“Ein Ratsmitglied ist wegen eines möglichen unmittelbaren Vor- oder Nachteils bereits dann nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO von der Mitwirkung an einer Ratsentscheidung ausgeschlossen, wenn eine enge persönliche Beziehung zum Beratungsgegenstand besteht, welche nach den gesamten Umständen die Besorgnis nahelegt, das Mitglied werde aufgrund eigener Interessen nicht mehr uneigennützig und gemeinwohlorientiert handeln. Eine direkte Kausalität zwischen Ratsentscheidung und möglichen vor- oder nachteiligen Folgen ist nicht erforderlich.”

Grüne Fraktion bleibt stumm

Hätte die Stadtverwaltung ein Rechtsamt und würde dort sachdienlich gearbeitet, wäre das alles längst geklärt und die Selbst-Beschädigungen der Beteiligten hätten bereits ein Ende gefunden. Wer sich noch an grüne Stadtratsarbeit vor 30 Jahren erinnert, muß sich heute verwundert die Augen reiben: damals haben die Grünen in ähnlichen Fällen – sehr zu recht – entsprechend interessenbezogenes Verhalten von Stadtratsmitgliedern angeprangert. Heute sitzen Menschen mit Interessen auch in den grünen Reihen. Und die Grünen machen die Augen zu und bleiben stumm.

Die Presseerklärung der SPD-Stadtratsfraktion im Wortlaut:

“Pressemitteilung zum angeblichen Verstoß gegen die Gemeindeordnung im Kulturausschuss vom 09.09.2020
Auch die SPD Fraktion erreichte die angefügte Anfrage von Herrn Merkelbach (Fraktion FDP/Liste Faires KH), in der er öffentlich schwere Vorwürfe und Unterstellungen gegen die Verwaltung und Frau Thiergarten erhebt. Die Anschuldigungen wurden der Presse weitergereicht und damit wurde durch die Medien Druck aufgebaut, der leider wieder einmal auf allen Stadtratsmitgliedern lastet.

Um was geht es in der Sache? Gerhard Merkelbach (Fraktion FDP / Faire Liste) wirft seiner Stadtratskollegin Annette Thiergarten (Grüne) vor, einen Verstoß gegen die Verhaltensregeln für Befangenheitsfälle begangen zu haben. Sie soll sich in der Sitzung des Kulturausschusses am 9. September rechtswidrig an der Diskussion des Tagesordnungspunktes 5 mit dem Titel “Neues ‘Eisernes Buch’ der Stadt Bad Kreuznach” beteiligt haben. Es handelte sich hierbei um keine Beschlussvorlage, sondern lediglich um eine Mitteilungsvorlage. Ein Blick ins Protokoll hätte Herrn Merkelbach also eigentlich schon gereicht, um festzustellen, dass über den Punkt nur diskutiert und kein Beschluss gefasst wurde und somit auch gar keine Befangenheit vorliegen kann.

Um was geht es eigentlich Herrn Merkelbach bei seiner Anfrage? Wir schätzen Herrn Merkelbach für seine unternehmerische Tätigkeit als Fitnesskaufmann und für sein soziales und politisches Engagement in der Stadt Bad Kreuznach. Allerdings hat er jetzt durch seine Anfrage eine Linie überschritten, die unnötigerweise das Klima in der Stadtpolitik weiter vergiftet. Herr Merkelbach sendet seine Anfragen noch vor einer Beantwortung durch die Betroffenen an die Presse, die ADD, Innenminister Lewentz und sogar an den Landesrechnungshof. Man könnte mutmaßen, dass es Herrn Merkelbach gar nicht um eine Antwort der Betroffenen ging.

Die Unterstellungen, Frau Thiergarten habe sich nicht korrekt verhalten und sei in dieser Angelegenheit befangen, sind auch ohne diese Antworten zweifelsfrei wiederlegbar. Die Fraktionskollegen der FDP sowie andere Kulturausschussmitglieder hätten Herrn Merkelbach seine Fragen sicherlich beantworten können. Wir sind gespannt, wie sich Herr Merkelbach und seine Fraktion verhalten, wenn sie die Antworten von der Verwaltung erhalten und ob sie die Messlatte, die sie selbst in einer anderen Gelegenheit sehr hoch gelegt haben auch einhalten werden.

Herr Merkelbach hat sich gemäß eigener Aussage zum Ziel gesetzt, häufiger in der Zeitung erwähnt zu werden als die Oberbürgermeisterin Frau Dr. Heike Kaster-Meurer. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte ihm allerdings nicht jedes Mittel hierzu recht sein. Bad Kreuznach, den 15. Oktober 2020 Für die SPD-Fraktion im Stadtrat Dr. Claudia Eider (Fraktionsvorsitzende) Holger Grumbach (Fraktionsvorsitzender)”