Annette Thiergarten entschuldigt sich “für sehr missverständliche Äußerung”

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Diese Seite hatte gestern exklusiv über Aussagen berichtet, die das Stadtratsmitglied Annette Thiergarten (Grüne) am Mittwoch in einer Radiosendung des Deutschlandfunkes machte (siehe untenstehender Bericht “Annette Thiergarten im Deutschlandfunk: “alternative Faschisten im Stadtrat”). Diese Aussagen Thiergartens sorgten hinter den Kulissen für erhebliches Aufsehen. Bereits am Mittwochabend waren die Zitate am Rande der Sitzung des Planungsausschusses quer über Fraktionsgrenzen Gesprächsthema. Am Donnerstag steigerte sich die Kommunikationsintensität noch. Denn Annette Thiergarten ist auch Landtagskandidatin der Grünen.

Befürworter der Jugendamtsabgabe in einen braunen Topf geworfen

Die Gleichsetzung von “konservativen Kräften” mit “alternativen Faschisten” hatte sogar das Zeug zu einer Belastung der Ampelkoalition in Mainz, weil Thiergarten alle Befürworter der Jugendamtsabgabe an den Kreis und Privatisierungsfreunde in einen braunen Topf geworfen hatte. Damit auch die FDP, die beide inhaltlichen Positionen vertritt und in Mainz als Mehrheitsbeschaffer für rot-grün unerläßlich ist. Nicht nur der FDP-Fraktionsvorsitzende Jürgen Eitel zeigte sich Parteifreunden gegenüber geradezu empört. Die Verärgerung an der Nahe war am Rhein deutlich zu hören. Was in der Landeshauptstadt hektische Aktivität auslöste.

Rückkopplung aus Mainz

Die grüne Rückkopplung aus Mainz nach Bad Kreuznach ließ nicht lange auf sich warten. Gestern um 17.03 Uhr meldete sich die grüne Stadtratsfraktion mit einer unmißverständlichen Erklärung zu Wort (siehe gesonderter Bericht). Und um 17.27 Uhr erreichte die Redaktion dieser Seite eine Entschuldigung Annette Thiergartens, die wir nachstehend im Wortlaut abdrucken: “Sehr geehrte Damen und Herren, gestern habe ich im Radio eine Sendung mit Hörerbeteiligung gehört, bei der es u.a. darum ging, dass die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinander geht.

Thiergartens Erklärung

Dazu habe ich eine Frage gestellt, ob es nicht auch damit zusammenhängen könnte, dass durch den Eigenanteil für Förderungen nicht immer die Kommunen bevorzugt werden würden, die über ausreichend Finanzmittel verfügen (kurz zusammengefasst). Das wurde besprochen und im Anschluss hat der Moderator nachgefragt, welche Auswirkungen das bei uns in der Kommune hätte. Daraufhin erwähnte ich die geplante Abgabe des Jugendamtes aus finanziellen Gründen. Weil einer der eingeladenen Experten in der Sendung thematisiert hatte, dass es eine Gefahr für die Demokratie ist, wenn Kommunen ihre Aufgaben nicht mehr richtig erfüllen können, bin ich auch darauf noch mal eingegangen.

“Trifft auf zumindest ein Mitglied des sog. Flügels zu”

Dabei habe ich dann missverständlich formuliert und durch das Wörtchen „beziehungsweise“ eine Verbindung hergestellt, wo keine sein sollte. Mit „Alternativen Faschisten Deutschlands“ meinte ich nur und ausschließlich die Mitglieder derjenigen Partei, die Faschist*innen in ihren Reihen duldet. Dazu gibt es auch ein Urteil vom Verwaltungsgericht Meiningen, dass bestätigt hat, dass die Bezeichnung auf zumindest ein Mitglied des sog. Flügels zutrifft. Für diese sehr missverständliche Äußerung, durch die ich möglicherweise auch demokratische Mitglieder des Stadtrates verletzt haben könnte, entschuldige ich mich hiermit ausdrücklich. Mit freundlichen Grüßen Annette Thiergarten”

Annette Thiergarten im Deutschlandfunk: “alternative Faschisten im Stadtrat”

Gäbe es im Bad Kreuznacher Stadtrat wie bei dem in Mainz einen Ältestenrat, dann hätte der jetzt einen Anlaß, um sich zusammenzusetzen. Den Grund dafür lieferte gestern das Stadtratsmitglied Annette Thiergarten (Grüne). Sie nutzte eine Diskussionssendung des bundesweit ausgestrahlten Deutschlandradios (30.9.2020, 10:08 Uhr: “Länderzeit – Fehlende Steuereinnahmen – die schwierige Finanzsituation der Kommunen”), um als anrufende Hörerin Dampf abzulasssen. Zunächst wies sie im Zusammenhang mit dem Eigenanteil von Kommunen an vielen Förderprogrammen von Land und Bund sachorientiert darauf hin, dass davon gerade die besonders defizitären Städte und Gemeinden wenig Nutzen hätten:

“Androhungen von unserem Kämmerer”

Weil sie wegen der Finanzschwäche oft den von ihnen aufzubringenden Betrag nicht bezahlen könnten. Auf die Frage, wie sich die Coronakrise bemerkbar macht, wurde sie sehr deutlich: Thiergarten sprach von “Androhungen von unserem Kämmerer”, freiwillige Ausgaben für Kultur und Jugendliche zu kürzen. Und stellte dann in einem Atemzug fest: “die konservativen Kräfte möchten zumindest bei uns das Jugendamt an den Kreis abgeben”, obwohl Sozialwissenschaftler davon abgeraten haben. “Ich sehe das als Gefahr für die Demokratie, weil die konservativen Kräfte, bzw ich nenne sie nur noch alternative Faschisten Deutschlands, die auch bei uns im Parlament sitzen, die benutzen das natürlich, um damit Politik zu machen und darzustellen wie unfähig der Staat ist und die Privaten können das angeblich alles viel besser”.

Ohne Einschränkung alle in einen Topf

Auch im weiteren Verlauf differenzierte Annette Thiergarten ihre Aussagen nicht. Insbesondere schränkte sie ihre Aussage, dernach im Stadtrat eine Mehrheit “alternativer Faschisten” sitzt, in keiner Weise ein. Damit erklärte das grüne Stadtratsmitglied, die auch für den Landtag kandidiert, expressis verbis alle politischen Parteien im Rat der Stadt, die für die Abgabe des Jugendamtes eintreten (dies sind CDU, AfD, FDP, Faire Liste, FWG, Freie Wähler und BüFEP) sowie jene, die der privatwirtschaftlichen Organisation gesellschaftlicher Aufgaben mal mehr mal weniger den Vorzug geben (dies sind CDU, AfD und FDP) zu “alternativen Faschisten”.

Kann Trump von Thiergarten lernen?

Auch die Frage, ob es der politischen Auseinandersetzung vor Ort und der Aussendarstellung Bad Kreuznachs dient, in einer Radiosendung, die ihre Hörer*Innen zu 99,999999% ausserhalb des Stadtgebietes hat, kommunale Probleme im Detail zu kommentieren, würde in einem Ältestenrat sicherlich zur Sprache kommen. Am Rande der Sitzung des Planungsausschusses gestern Abend machten Mitschnitte der Radiosendung die Runde. In Anspielung auf die Fernsehdiskussion im US-Präsidentschaftswahlkampf kommentierte einer der Zuhörer: “von Frau Thiergarten kann sogar der Trump noch was lernen”.

Der Thiergarten-Beitrag zum Nachhören

Die für Gesprächsstoff sorgenden Äusserungen Annette Thiergartens sind dokumentiert in der Mediathek des Deutschlandradios. Sendetag war der 30.9.2020, Sendeungsstart um 10:08 Uhr: “Länderzeit – Fehlende Steuereinnahmen – die schwierige Finanzsituation der Kommunen”:

https://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=2&audioID=4