Stadtrat lehnt Finanzvereinbarung mit dem Kreis zum Jugendamt ab

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Mit 23 Nein- bei 20 Jastimmen lehnte der Rat der Stadt gestern Abend die von Dr. Kaster-Meurer im Alleingang ausgehandelte Finanzvereinbarung mit dem Kreis zum Jugendamt ab. CDU, FDP / Faire Liste, AfD, FWG / BüFEP, Dr. Herbert Drumm und Wolf Behrendt stimmten geschlossen gegen eine Mehrbelastung von bis zu 2,5 Millionen Euro jährlich. SPD, Grüne, Linke, Stefan Butz und die Oberbürgermeisterin votierten für den Vertragsabschluß. Als erster Redner der vorhergehenden Aussprache erklärte Dr. Herbert Drumm (Freie Wähler) seine Position.

Im Stadtrat gebe es zwei Personen, die klar geäussert haben, dass sie den Erhalt des Jugendamtes bei der Stadt wünschen – aber nicht zu jeden Preis. “Eine davon bin ich”, bekannte Dr. Drumm und führte weiter aus: “Für mich hat das bedeutet, dass die finanzielle Situation ungefähr so bleiben muß, wie sie mit dem alten Vertrag war. Dies ist aber nicht der Fall. Bei dem neuen Vertrag wird die Belastung der Stadt etwa um 2 Millionen Euro steigen, so dass wir etwa 3,5 bis 4 Millionen Euro aufbringen müssen. Ich werde daher in Zukunft unter diesen Umständen für eine Abgabe stimmen”. Den Vertrag sieht Dr. Drumm für beide Seiten “schädlich”.

SPD, Grünen und Linken riet Dr. Drumm “dagegen zu stimmen, weil dies die einzige Möglichkeit zur Erhaltung des städtischen Jugendamtes ist”. Jürgen Locher von den Linken sah den Stadtrat “in einer beschissenen Situation”. Der Vertrag sei “kein guter, das muss ich sagen”. Aber eine Ablehnung führe zu noch größeren Problemen. Er sprach sich daher für eine Annahme aus und dafür, “in Richtung Landesgesetzgeber Druck machen, dass die großen kreisangehörigen Städte mehr Geld bekommen”. Manfred Rapp rügte als “sehr enttäuschend”, dass an der Sondersitzung des Finanzausschusses das Jugendamt nicht teilgenommen hatte.

Der CDU-Fraktionschef stellte klar, dass seine Fraktion nicht gegen das Jugendamt grundsätzlich eingestellt sei, sondern Synenergieeffekt durch die Zusammenlegung mit dem Kreis sehe. Rapp kritisierte die Verzögerungstaktik der Landesregierung, wegen der es mehr als 18 Monate nach dem Abgabebeschluß des Stadtrates noch immer keine verbindliche Regelung gebe. Manfred Rapp hielt fest, dass sich an der CDU-Haltung nichts geändert habe: “wir lehnen die Vereinbahrung mit dem Kreis ganz klar aus Kostengründen ab”. Jürgen Eitel sprach direkt die Oberbürgermeisterin an und warf ihr vor, den Stadtratsbeschluß vom 29.11.2018 nicht umgesetzt zu haben.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende rechnete vor, dass die Umsetzung der Stadt auf die Laufzeit des neuen Vertrages gesehen einen zweistelligen Millionenbetrag erspart hätte. Gerhard Merkelbach (Faire Liste) rügte die schlechte Verhandlungsführung der Oberbürgermeisterin. Während die Landrätin mit allen betroffenen Amtsleitern in das Gespräch gegangen wäre, habe die OBin nur ihre Vertreterin aus dem Jugendhilfeausschuß und eine Fachperson aus dem Jugendamt mitgenommen. Entsprechend sehe das Ergebnis aus. Hermann Bläsius sah den Stadtrat “so langsam angekommen in den USA der letzten Jahre, wo Fake-News und alternative Wahrheiten die Politik bestimmen”.

Politische Verständigung funktioniere “nicht durch Diffamierungen und dadurch, dass einer dem anderen seine Zahlen an den Kopf schmeißt”. Niemand könne von einem normalen Stadtratsmitglied verlangen, dass er die einen Zahlen oder die anderen als richtig sieht. Auch Anna Roeren-Bergs stellte es als “unerträglich für ein Stadtratsmitglied dar, auf einer völlig ungeklärten Basis hier eine Entscheidung treffen zu sollen, das ist schier unmöglich”. Weiterhin sei es “schier unerträglich, dass hier von einem Stadtvertreter vorgetragen wird, dass mit falschen Zahlenmaterial bei der Kollegin umgegangen wird. Das ist schier unerträglich.

Wenn das Schule macht, dann wird es hier im Stadtrat keine vernünftigen Entscheidungen mehr geben”, drückte Roeren-Bergs ihren Ärger über den verwaltungsinternen Abstimmungsmißstand aus. Es sei nicht verantwortbar Entscheidungen zu treffen bei unklarer Datenlage. Daher lehne sie den Vertrag ab. Karl-Heinz Delaveaux, der seine Ausschußkolleg*Innen in der Sondersitzung des Finanzausschusses mit einem Grundsatzreferat überrascht hatte, faßte sich im Stadtrat kurz. Der Fraktionsvorsitzende von FWG / BüFEP erinnerte an den von ihm beantragten Abgabebeschluß und stellte fest: “jeder weiß, wenn wir heute beschließen hier mitzuspielen, liegt das Ding drei, vier fünf Jahre auf Eis. Das wollen wir nicht”.

Delaveauxs Fraktionskollege Wilhelm Zimmerlin gab den Vorwurf der Verbreitung von Fake-News an Hermann Bläsius zurück. Und wies dann darauf hin, dass die bereits am 2.9.2020 im Jugendhilfeausschuß vorgestellten und am 1.10.2020 dort erneut zur Diskussion kommenden sogenannten Einsparungsvorschläge zum einen gesetzlich definierte Leistungen beträfen, die ohne jedes wenn und aber erbracht werden müssen, wenn entsprechende Fälle vorkommen. Zum anderen erneut falsch und mißverständlich dargestellt würden. Da nämlich der Kreis 75% dieser Kosten in jedem Fall erstatte, führe deren Kürzung nur zu einer Einsparung in Höhe von 25%.

Juliane Rohrbacher (Grüne) erkannte in der Argumentation der Defizit-Gegner das Spiel “rechte Tasche, linke Tasche”: wer dem Vertrag nicht zustimme, um Geld zu sparen, erreiche diesen Effekt nicht, weil die Stadt im Gegenzug für höhere Jugendamts-Zuschüsse wegen des dann größeren Kreis-Defizites eine höhere Kreisumlage zahlen müsse. Rohrbacher erklärte allerdings gestern Abend im Rat der Stadt nicht, warum sie als eine der drei städtischen Verhandlungsführerinnen nicht in der Lage war genau diese Überlegung dem Kreis nahezubringen: denn exakt in dieser Logik “rechte Tasche, linke Tasche” hätte dieser ja höhere Zahlungen an die Stadt gewähren können, um sich auf der Basis des dann größeren eigenen Defizits und der dann besseren Finanzlage der Stadt über die Kreisumlage das fehlende Geld von der Stadt zurückzuholen.

Beim Kreis trug Rohrbacher diese Argumentation gar nicht erst vor, weil dort der mathematische Haken bekannt ist: die Stadt zahlt nämlich nur 1/3 des Kreishaushaltes über die Umlage. Weshalb eben nicht das Spiel “rechte Tasche, linke Tasche” gespielt wird, wie Juliane Rohrbacher irreführend behauptete, sondern “100% rechte Tasche, 1/3 linke Tasche”. Günter Sichau bekannte als dritter Redner der grünen Fraktion, dass er und viele andere im Jugendhilfeausschuß “unbedingt haben wollen, dass das Jugendamt bei der Stadt Bad Kreuznach bleibt”.

Es sei “beschämend und bedauerlich in dieser Runde”, dass über Geld und Finanzen gesprochen werde, nicht aber über die Arbeit des Jugendamtes für die Kinder und Jugendlichen und forderte: “nicht nur immer diese Finanzen im Blick haben”. Karl Heinz Delaveaux fühlte sich dadurch zu einer zweiten Wortmeldung provoziert und stellte klar: “Abgabebefürworter sind keine schlechteren Menschen, wir behandeln Kinder nicht schlechter, wollen auch nichts Schlechtes für die Kinder. Nur wir wollen den Haushalt in Ordnung halten. Und die Beleidigung immer gegenüber den Mitarbeitern des Kreises, dass die die Kreuznacher Kinder nicht betreuen könnten, die finde ich sowieso sehr unverschämt”. Ohne jedwelchen Redebeitrag der SPD-Fraktion rief dann die Oberbürgermeisterin die Abstimmung mit dem eingangs zitierten Ergebnis auf.