Verärgerung über den “Drohbrief” aus dem Jugendamt

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Es war hinter den Kulissen ein kommunalpolitisch kommunikationsreiches Wochenende. Die Hintergründe der Überlastungsanzeige aus dem Jugendamt (diese Seite berichtete in der Sonntagsausgabe unter der Überschrift “Notruf aus dem Jugendamt: Kindeswohl gefährdet”) wurden vielfältig diskutiert. Dabei offenbarten sich erneut die Spannungen und Emotionen, die das Thema “Jugendamt” mittlerweile in der Stadt auslöst. Der schriftliche Vorstoß von neun Mitarbeitenden der Behörde hat auch auf der Seite der Befürworter des städtischen Jugendamtes für Befremden gesorgt. Denn noch vor sieben Wochen, am 9. Juni im Jugendhilfeausschuß (JHA), war in rund dreistündiger Sitzung weder von einer Überlastungsanzeige die Rede noch fiel das böse Wort vom städtischen “Organisationsversagen”.

Was passierte zwischen Mitte Juni und Anfang Juli?

Auch die Dringlichkeit, zum 1. August drei Stellen im Bereich Allgemeiner Sozialdienst zu besetzen, wurde so nicht angesprochen (wers nicht glaubt kann die Sitzung auf kreuznachgehoert.de nachören – Link unten). Nicht einmal, als einige Tage später am 15. Juni im Haupt- und Personalausschuß speziell der Stellenplan ausführlich diskutiert wurde. Wobei da sogar die stellvertretende Vorsitzende des Personalrates, Sabine Sendrowski, zum Ausschuß sprechen durfte. Allerdings war von Sofortbesetzung von drei Stellen mit keinem Wort die Rede. Nahezu alle unsere Gesprächspartner interessiert daher die Antwort auf die Frage: was also hat sich nach Mitte Juni bis Anfang Juli ereignet, damit Abteilungsleiterin Ingrid Pfeifer-Hoecker, die am 9.6.20 weder vom “Organisationsversagen” sprach noch die Besetzung von drei Stellen zum 1. August forderte, nun eine Überlastungsanzeige für erforderlich hielt?

Überlastungsanzeige ohne Datum

Das von ihr unterzeichnete Dokument selbst gibt dazu erstaunlicher Weise nur wenig Aufschluß. Es ist nicht einmal datiert. Von dem in der Überlastungsanzeige dargelegten Problem eines fehlenden “geregelten Bereitschaftsdienstes mit entsprechender Vergütung” war vor fünf Wochen im Haupt- und Personalausschuß keine Rede. Auch von Seiten des Personalrates wurde in der Sitzung des zuständigen Fachausschusses keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass es an dieser Stelle ein Defizit gibt. “Woher sollen wir das denn wissen, wenn die Verwaltungspersonen uns es nicht sagen?” ärgert sich ein Ausschußmitglied über diese Informationsverweigerung.

Eher kryptischer Hinweis

Und der zweite, eher kryptische Hinweis, ist in den zwei Sätzen “Zudem häufen sich mit dem Ende des Corona Lockdowns die Kindeswohlgefährdungs-meldungen. Zurzeit sind wöchentlich Inobhutnahmen auch nach Dienstschluss vorzunehmen, die von der Polizei gemeldet werden” versteckt. Genau zu diesem Punkt hatte Abteilungsleiterin Ingrid Pfeifer-Hoecker am 9. Juni den JHA umfassend informiert (diese Seite berichtete in einem eigenen Artikel “Kindeswohlgefährdung: 4 Kinder auf eigenen Wunsch in Obhut genommen”). Demnach habe es in der ersten Juniwoche fünf Inobhutnahmen gegeben, davon vier auf Wunsch der Kinder. Trotz dieser aus Kinderschutzsicht schlimmen ersten Juniwoche sah sich Ingrid Pfeifer-Hoecker am 9. Juni nicht verpflichtet eine Überlastungsanzeige abzugeben oder das Organisationsversagen der Verwaltung zu erklären.

“Drohbrief, um eine zusätzliche Stelle durchzupressen”

Und für die Zeit danach gibt die Abteilungsleiterin “wöchentliche Inobhutnahmen” an. Also geringere Fallzahlen als in der ersten Juniwoche. “Da paßt etwas nicht zusammen,” merkt ein anderes Ausschußmitglied an. Aufgefallen ist mehreren aufmerksamen Leser*Innen der “Überlastungsanzeige”, dass nicht mit konkreten (Überlastungs-) Fällen aus dem Juli 2020 argumentiert wird, “sondern mit einer Vielzahl statistischer Vergleichswerte, wobei die Referenzgrößen untransparent sind”. Die “Überlastungsanzeige” wirke wie ein “Drohbrief, um eine zusätzliche Stelle durchzupressen”.

Kritik an Dr. Kaster-Meurer

Auf breites Unverständnis und massive Kritik bei einem halben Dutzend Mitgliedern des Hauptausschusses stößt das Verhalten der Oberbürgermeisterin. Wie der Redaktion dieser Seite jetzt bekannt wurde, hatte sich Dr. Heike Kaster-Meurer Mitte Juli in den Sommerurlaub verabschiedet. Und ihre Sekretärin mit der Weiterleitung der “Überlastungsanzeige” beauftragt. “Heike fährt in die Ferien. Und hinterläßt uns ihre Hausaufgaben”, meint dazu ein Stadtratsmitglied. Und fügt an: “wenn ich Leiterin des Jugendamtes und langjährige Jugenddezernentin wäre – und so ein Brief käme auf meinen Tisch, würde ich selbst eine Kreuzfahrt absagen, weil das einfach Priorität hat”.

Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:

26.07.20 – “Notruf aus dem Jugendamt: Kindeswohl gefährdet”
10.06.20 – “Kindeswohlgefährdung: 4 Kinder auf eigenen Wunsch in Obhut genommen”
10.06.20 – “Jugendhilfeausschuß beschließt Ausschreibung der Amtsleitung Jugendamt”

kreuznachgehoert.de zur Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 9.6.20:
kreuznachgehoert.de/2-sitzung-des-jugendhilfeausschusses-am-09-06-2020/
kreuznachgehoert.de zur Sitzung des Hauptausschusses am 15.6.20:
kreuznachgehoert.de/4-sitzung-des-haupt-und-personalausschusses-am-15-06-2020/