Eklat im Finanzausschuß: Wolfgang Heinrich zieht die kommunalpolitische Notbremse

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

“Aus gegebenem Anlaß ziehe ich als Verwaltung die Steuererhöhungsvorschläge zurück. Wir fühlen uns als Verwaltung verarscht”. Der Nachhall dieser Sätze wird noch in Monaten zu hören sein. Gestern Nachmittag um 17:54 Uhr drückte Wolfgang Heinrich in der Sitzung des Finanzausschusses zum Stadthaushalt 2020 verbal den Nothalt-Knopf. Der Vorschlag der Kämmerei zur Erhöhung Grundsteuer B, der Gewerbesteuer und der Vergnügungssteuer, alle geplant um einen rechtlich genehmigungsfähigen Etat zu bekommen, ist damit vom Tisch. Mit dem Betätigen der kommunalpolitischen Notbremse hat der Bürgermeister auf den von der SPD-Fraktion gestern gegen Sitzungsende erklärten Kurswechsel reagiert.

Der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Holger Grumbach, hatte gegen 17.42 Uhr nach rund dreistündigen Beratungen für alle anderen Parteien und Fraktionen überraschend mitgeteilt, dass die SPD die von ihr noch am 2. März 2020 mitbeschlossene 10%ige Kürzung der freiwilligen Leistungen rückgängig machen möchte. Grumbach begründete die “Rolle rückwärts” mit der Corona-Krise, die alles geändert habe. “Am 2. März haben wir dafür gestimmt, jetzt sind wir alle etwas schlauer”. Grumbach fuhr fort: “wir kürzen im Bereich Kultur, Jugendarbeit, Mühle, Haus der Senioren, das sind alles Gruppen, die sehr betroffen sind von der Pandemie.” Und ergänzte als Begründung für das “Umschwenken”:

“Öffentlicher Nahverkehr, 10% Kürzung, was bedeutet das? Das bedeutet vielleicht, dass wir vielleicht die ein oder andere Strecke nicht mehr anbieten können. Das wäre ein fatale Fehler.” Und schließlich: “wenn wir 10% kürzen und wir haben jetzt schon Mai und Juni, das heisst für ein halbes Jahr die Ausgaben zu kürzen d.h. fast in dem ein oder anderen Bereich: keine Ausgaben mehr möglich.” In seiner direkten Antwort stellte Bürgermeister Heinrich zunächst klar, dass der Grumbach-Antrag im Finanzausschuß aus rechtlichen Gründen nicht behandelt werden dürfe, da der Beschluß vom März das Gremium für sechs Monate binde. Heinrich machte die SPD darauf aufmerksam, dass sie den Antrag am 4. Juni im Stadtrat stellen könne.

Unmißverständlich kritisierte der Bürgermeister “diese Wankelmütigkeit” der SPD, die andere Ausschussmitglieder frustriere. Es sei bedauerlich, dass man sich an das Geschwätz von gestern nicht mehr halte (wie Adenauer es nannte): “das ist eine Verarschung dieses Ausschusses”. Oliver John (FDP) reagierte mit einer “Mischung aus Verwunderung und Enttäuschung” auf den SPD-Kurswechsel. Man habe sich seit Jahren in der Arbeitsgruppe Haushaltskonsolidierung und im Finanzausschuß mit den freiwilligen Leistungen beschäftigt. Er habe den 10%-Beschluß als “wirklichen Fortschritt empfunden”. Die SPD mache es sich zu einfach. Denn: “die Härten, die dieser Beschluß erzeugt, hat er auch schon vor Corona erzeugt”.

Nachdem Bürgermeister Heinrich seine Zustimmung zu den John-Ausführungen erklärt hatte, kam Karl-Heinz Delaveaux zu Wort. Der FWG / BüFEP-Fraktionsvorsitzende warf Grumbach vor, dieser wolle die Einsparungsanstrengungen “wieder aufheben”. Delaveaux zeigte kein Verständnis für die Herangehensweise der SPD und versuchte Grumbach mit einem Hinweis auf dessen Getränkeverlag zu überzeugen: “Sie kaufen doch heute kein Cola ein, wenn Sie morgen Bier verkaufen wollen”. Jörg Fechner brachte für die AfD deren Unverständnis zum Ausdruck (“total verwundert”) und verwies auf die Pläne der SPD für Steuererhöhungen.

Holger Grumbach, der scharfe Reaktionen auf die von ihm angekündigte Kehrtwende erwartet hatte, rechtfertigte in einem zweiten Redebeitrag den Seitenwechsel der SPD. Der aktuelle Antrag sei ihm nicht leicht gefallen. Grumbach: “ich verwehre mich gegen solche Unterstellungen, das ist kein Niveau auf das wir uns hier begeben sollten, ich bin für Einsparungen. Ich habe am 2.3.20 persönlich für diese Einsparungen gestimmt”. Er sei “stolz Kopf einer Fraktion zu sein, die den Mut hat, solch eine Entscheidung auch zurückzunehmen”. Dies sei “vielleicht eine rein emotionale Entscheidung, die unsere Fraktion getroffen hat”, die sich auf die “völlig neue Situation gegenüber dem 2. März” stütze.

Das habe “nichts mit Lächerlichkeit zu tun”. Nach dieser weiteren Erklärung Grumbachs gab Heinrich die eingangs zitierte Erkärung ab. Manfred Rapp reagierte beherrscht auf die Vorgehensweise der SPD, von der auch er sich überrascht zeigte. Um dann deutlich zu werden: “wir sitzen hier drei Tage zusammen mit einem Ziel, einen Haushalt zu präsentieren bei der ADD, der genehmigungsfähig werden soll”. Alle hätten sich vor acht Wochen “sehr schwer getan mit den 10%-Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen”. Es habe auch Gegenstimmen gegeben. Aber selbst die Gegner vom März trügen heute solidarisch das demokratische Abstimmungsergebnis mit, anders als die SPD. Der CDU-Fraktionsvorsitzende sieht “die Gefahr, dass die ADD den Haushalt in Gänze nicht genehmigt”.

Würde der Etat nicht genehmigt, seien alle freiwilligen Leistungen, “die die Stadt macht fürs ganze Jahr gestorben. Dann geben wir gar nichts aus, auch nicht die Dinge, die wir durch einen Haushalt ausgeben könnten, die noch als freiwillige Leistungen drin sind”. Kommentar Bürgermeister Heinrich: “ich gehe davon aus, dass die SPD keinen genehmigten Haushalt haben will, einschließlich der Oberbürgermeisterin”. Dank der beiden GässjerFM-Macher Marc Bremmer und Yuliyan Ilev kann diese Sternstunde der Bad Kreuznacher Kommunalpolitik nachgehört werden. Und zwar unter:
kreuznachgehoert.de/4-sitzung-des-finanzausschusses-am-27-05-2020-teil-3/

Meinung: SPD taktiert sich ins Abseits

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Nicht alle Anwesenden haben es gestern unter dem Eindruck der beispiellosen Konfrontationssituation in der Sitzung sofort verstanden. Aber heute beim Frühstückskaffee sollte die Einsicht auch die letzten Zweifler erreicht haben: Bürgermeister Wolfgang Heinrich hat mit einer spontanen verfahrenstechnischen Meisterleistung verhindert, dass die konstruktiv an der Zukunft der Stadt gestaltungswillig mitarbeitenden Fraktionen von der SPD in finanzpolitische Geiselhaft genommen werden. Denn nichts anderes haben die Sozialdemokraten gestern im Finanzausschuß versucht. Mit der falschen und fadenscheinigen Behauptung, die Corona-Krise ändere vollkommen das kommunale Einsparbedürfnis, möchte sich die SPD aus der Verantwortung stehlen nach dem Motto:

Posten ja, Erklärung nein

Posten im Stadtvorstand ja. Aber den Bürger*Innen erklären, warum nicht für alles Wünschenwerte Geld da ist, sollen andere. Deutlich wird die Wahrheitsferne am von Holger Grumbach angeführten Beispiel ÖPNV. Der wird heute von vielen Menschen, die noch vor drei Monaten im Bus saßen, nicht mehr genutzt. Was aber null mit Linienführungen und Taktzeiten zu tun hat. Sondern mit der Angst vor Ansteckung. Und an der wird sich mangels Impfschutz bis zum Jahresende nichts ändern. Und es waren nicht fehlende Haushaltsmittel, die zur Schließung des Jugendzentrums Mühle geführt haben. Sondern eine Verfügung der Oberbürgermeisterin, die die Verwaltung einfach abschottete und massenhaft Dienstleistungen für Bürger*Innen strich mit der Behauptung das Personal zu schützen.

Kinder und Jugendliche im Stich gelassen

Und das zu einer Zeit, als Verkäufer- und Arzthelfer*Innen der Infektionsgefahr vollkommen ungeschützt ausgesetzt waren. Gegen diesen Sonderschutz für öffentliche Bedienste war weder aus deren Reihen noch von der SPD auch nur ein Wort der Kritik zu hören. Da wurden Kinder und Jugendliche konkret im Stich gelassen. Auch von der SPD. Sich jetzt im Nachhinein als Wohltäter aufzuspielen, ist dermaßen billig, dass es leicht fallen wird, dies den Betroffenen zu vermitteln. CDU-Fraktionsvorsitzender Manfred Rapp hat es genau richtig gesagt: käme es zu einem Haushalt mit einer von der Aufsichtsbehörde ADD seit Jahren geforderten Einsparung bei den freiwilligen Leistungen, würden diese zwar um 10% gekürzt, aber zu 90% gewährt.

Trick 17 mit Selbstüberlistung

Ohne Kürzung droht die Verweigerung der Genehmigung. Das bedeutet: gar keine freiwilligen Leistungen mehr. Mit seiner geistesgegenwärtigen Reaktion auf den taktischen Schwenk der SPD hat Wolfgang Heinrich der großen Stadtratsmehrheit die Möglichkeit verschafft, sich bis zur entscheidenden Stadtratssitzung Ende Juni zu einer Koalition der Verantwortungsübernahmewilligen zusammenzufinden. Damit hat Heinrich das Manöver der SPD zum Trick 17 mit Selbstüberlistung degradiert. Und ermöglicht, dass sich die SPD ganz allein ins Abseits taktiert hat. Denn jetzt weiß jeder: auf die örtlichen Sozialdemokraten kann man sich sachpolitisch nicht verlassen.

Dank der beiden GässjerFM-Macher Marc Bremmer und Yuliyan Ilev kann die diesem Kommentar zugrundeliegende Sternstunde der Bad Kreuznacher Kommunalpolitik nachgehört werden. Und zwar unter:
kreuznachgehoert.de/4-sitzung-des-finanzausschusses-am-27-05-2020-teil-3/