Aufgespiesst: OBin beachtet jetzt sogar die Geschäftsordnung

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Gern weisen wir auf die kleinen Fortschritte und positiven Zeichen hin, die bei Sitzungen der Gremien der Stadt Bad Kreuznach beobachtet werden können. In der Stadtratssitzung am 27. Februar war das die erstmals weitgehende Einhaltung von § 9 der Geschäftsordnung des Rates der Stadt. Der bestimmt (analog zu den einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnung), dass Stadtratsmitglieder, bei denen die Sorge der Befangenheit besteht, ihren Sitzplatz im Ratsrund verlassen und sich beim Publikum aufzuhalten haben (den Wortlaut der Bestimmung haben wir nachstehend zitiert). Erstmals seit Jahren wurde diese Bestimmung beim Tagesordnungspunkt “Änderung der Gestaltungsrichtlinie für die Erteilung von Sondernutzungen in der Fußgängerzone und den verkehrsberuhigten Bereichen Alte Nahebrücke, Mühlenteichbrücke und Roßstraße” angewandt.

“Bitte den Zuschauerraum aufsuchen”

Andrea Manz wies darauf hin, dass sie wegen des Vorsitzes im Trägerverein des Weltladens, der im Plangebiet auf der Nahebrücke auch schon mal Kundenstopper aufstellt, nicht mitwirkt. Und wollte, wie bisher die übliche Praxis war, abrücken, also ihren Stuhl ein paar Zentimeter mehr vom Tisch wegversetzen als Zeichen einer inhaltlichen Distanz. “Ich rücke zurück”, gab die Fraktionsvorsitzende der Grünen zu Protokoll. Um dann zu ihrer und der Überraschung der übrigen Stadtratsmitglieder zu hören: “Frau Manz, würden Sie bitte den Zuschauerraum aufsuchen, wenn Sie sich für befangen erklären”. Andrea Manz folgte diesem Hinweis sofort. Bei einem späteren Tagesordnungspunkt ergriff Gerhard Merkelbach (FDP / Faire Liste) das Wort. Der Planiger Fitneßunternehmer ist Grundstückseigentümer im Bereich Riegelgrube / Bosenheimer Strasse und fragte nach der dortigen Abwasserableitung.

Gerhard Merkelbach versucht Stadtrechtsdirektorin Häußermann zu überzeugen, dass er nicht befangen ist. Aber diese bleibt hart. Merkelbach muß im Zuschauerbereich bleiben.

Nach dessen zweiter Wortmeldung dämmerte Dr. Kaster-Meurer, dass auch hier ein Problem bestehen könnte und sie fragte: “Herr Merkelbach, sind sie eigentlich befangen?” Der antwortete blitzschnell “ich ziehe die Frage zurück”. Und wurde von der OBin angewiesen: “ziehen Sie nicht nur die Frage zurück, sondern sich in den Zuschauerraum”. Dazu sah Gerhard Merkelbach keinen Anlaß und blieb sitzen. Worauf der nachfolgende Redner, der Linke Jürgen Locher, seinen Redebeitrag zurückhielt mit der Begründung: “solang der Herr Merkelbach noch am Tisch sitzt und sich weiter zu Wort meldet sage ich nichts, solange machen wir jetzt Pause”. Eine weitere Sitzungsunterbrechung wollte die Oberbürgermeisterin allerdings nicht verantworten und schickte Stadtrechtsdirektorin Heidrose Häußermann zu Merkelbach, die den Versuch unternahm ihm die Hintergründe für dessen Ausschluß beim Tagesordnungspunkt aufzuzeigen.

Das Bild vom 12.12.19 beweist: die Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses (stehend: das Ratsmitglied Birgit Ensminger-Busse, CDU) spricht, die Oberbürgermeisterin ist nur abgerückt und hat sich nicht in den Zuschauerraum gesetzt. Und das alles vor den Augen von Stadtrechtsdirektorin Heidrose Häußermann, die trotz dieses Regelbruches nicht eingreift.

Diese Vorgehensweise wurde wie gesagt erstmals praktiziert (obwohl sie seit Jahren in der Gemeinde- und in der Geschäftsordnung vorgeschrieben ist). Noch in der Dezembersitzung 2019 machte Dr. Kaster-Meurer bei einem klaren Fall eigener Befangenheit genau das, was sie am vergangenen Donnerstag Andrea Manz und Gerhard Merkelbach verwehrte: sie rückte ab, blieb aber am Ratstisch sitzen. Und verfolgte aus nächster Nähe und nicht wie vorgeschrieben aus dem Zuschauerraum ihre eigene Entlastung. Dabei handelt es sich übrigens nicht nur um eine lästige Formalie. Das in solchen Fällen zuständige Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG) hat dazu in mehreren Urteilen unmißverständlich festgestellt: selbst einstimmige Ratsbeschlüsse werden durch dieses Verhalten (Abrücken statt Wegsetzen) anfechtbar. Bei Satzungen und Bebauungsplänen gilt das sogar ein Jahr rückwirkend. Und der Stadtrat hat im letzten Jahr mehrere Satzungen und Bebauungspläne beschlossen …

Im Wortlaut:

§ 9 der Geschäftsordnung des Stadtrates

Ausschluss von der Beratung und Entscheidung

(1) Ein Stadtratsmitglied darf an der Beratung und Abstimmung über Angelegenheiten nicht mitwirken, wenn

1. die Entscheidung ihm selbst, einem seiner Angehörigen im Sinne des Abs.2 oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann

3. wenn es a) bei einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Vereinigung gegen Entgelt beschäftigt ist oder b) bei einer juristischen Person als Mitglied des Vorstandes, des Aufsichtsrats oder eines gleichartigen Organs tätig ist, sofern es diesem Organ nicht als Vertreter/-inder Gemeinde angehört, oder c) Gesellschafter/-in einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts oder Vorstandsmitglied eines nichtrechtsfähigen Vereins ist, und die unter den Buchstaben a) bis c) Bezeichneten ein unmittelbares persönliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung haben. Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a gilt nicht, wenn nach den tatsächlichen Umständen der Beschäftigung anzunehmen ist, dass der/die Betroffene sich deswegen nicht in einem Interessenwiderstreit befindet.

(2) Angehörige im Sinne des Abs.1 Satz 1 Nr.1 sind: 1. Ehegatten, 2. eingetragene Lebenspartner/-innen, 3. Verwandte bis zum dritten Grade, 4. Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner/-innen der Verwandten bis zum zweiten Grade, 5. Verschwägerte bis zum zweiten Grade. Die Angehörigeneigenschaft nach Satz 1 dauert fort, auch wenn die sie begründende Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht.

(5) Das Stadtratsmitglied, bei dem ein Ausschließungsgrund vorliegt, hat den Beratungstisch zu verlassen. Es ist berechtigt, sich bei einer öffentlichen Sitzung in demfür die Zuhörer/-innen bestimmten Teil des Sitzungsraumes aufzuhalten; bei nichtöffentlicher Sitzung hat es den Sitzungsraum zu verlassen.