Schülerinnen tragen zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus bei

Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz von der Roten Armee befreit. Seit 1996 ist dieser Tag ein offizieller Gedenktag. Am Mahnmal in der Kirschsteinanlage fand daher gestern Nachmittag eine Gedenkveranstaltung teil, an der trotz Nieselregen über 100 Einwohner*Innen teilnahmen. Diese wurde inhaltlich mitgestaltet von Schülerinnen der IGS Sophie Sondhelm und des Lina-Hilger-Gymnasiums. In ihren Beiträgen beschrieben Charlotte Grünen, Jennifer Bruck, Katharina Holzhäuser, Emily Barth und Ameli Wolf in klaren Worten ihr Engagement für die erstmalige Verlegung von Stolpersteinen auch in Bad Kreuznach.

Petra Grumbach (links) gab der Gedenkveranstaltung mit ihrem Saxophonspiel (Händels Cantilena, Filmmusik aus Schindlers Liste und dem alten schottischen Lied Should auld acquaintance be forgot) einen ernsten und würdigen Ton.

Emily Barth: “vielen Dank, dass wir heute hier sein dürfen, um über ein Projekt zu sprechen, dass uns die letzten Monate beschäftigt hat. Das Stolpersteinprojekt von Günther Demnig, welcher sich mit seinem Team dafür einsetzt, dass sie überall in Europa verlegt werden können. Die Steine werden seit 1992 verlegt, um auf das Schicksal der Menschen, die im Nationalsozialismus starben, hinzuweisen. Er möchte mit dem Projekt bezwecken, dass man sich an die Namen der Opfer erinnert. Die Stolpersteine sind Messingtafeln, welche in den Boden eingelassen werden, vor dem letzten bekannten selbstgewählten Wohnort. Auf diese werden Namen, Geburts-, Sterbe- und auch Deportationsdaten eingraviert. Durch das Glänzen am Boden fangen die Steine die Aufmerksamkeit, der vorbeilaufenden Menschen und wenn sie sich die Zeit nehmen, können sie sich an die Geschichte erinnern, die den Menschen widerfahren ist. Es sind die ersten Stolpersteine, die hier in Bad Kreuznach verlegt werden und wir fühlen uns geehrt, dass wir das Projekt unterstützen und ein Teil davon sein dürfen”.

Charlotte Grünen: “warum ist es uns als Jugendlichen wichtig, an diesem Projekt mitzuwirken? Unser Anliegen ist nicht nur die Auseinandersetzung mit der Geschichte unserer Stadt in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern primär das Gedenken, an die Opfer des Holocausts. Bei unserer Arbeit erfuhren wir viel über das Leben der jüdischen Bürger in Bad Kreuznach im Zeitraum des nationalsozialistischen Regimes. Diese Schicksale berührten uns sehr und förderten unsere Motivation, die Stolpersteinverlegung zu unterstützen. Außerdem war es für uns sehr wichtig die Erinnerung an die Verfolgung der Juden in die Gesellschaft zu tragen, um auszudrücken, wie wichtig es ist, aus der Geschichte zu lernen. Gerade jetzt, wenn sich Antisemitismus, wie auch Rassismus leider wieder bzw. immer noch in unserer Gesellschaft zeigt. Schlussendlich ist es uns wichtig, einen Teil zu dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus beitragen zu können”.

Amelie Wolf: “vielleicht ist Ihnen der Name Baruch bekannt. Die beiden Brüder Julius und Hermann Baruch waren ihrer Zeit bekannte Ringer und Gewichtheber in der Stadt Bad Kreuznach, Julius Baruch wurde 1924 Europameister im Gewichtheben (Fünfkampf und Halbgewicht). Sein Bruder Hermann Baruch wurde ebenfalls Europameister. Dieser im griechisch-römischen Ringen in der Leichtgewichtklasse. 1925 wurde die erste Mannschaft der „Athletik-Sport-Vereinigung 03 Bad Kreuznach“, mit den Baruch-Brüdern im Team, deutscher Mannschaftsmeister im Ringen. Nach seiner Zeit als aktiver Sportler engagierte sich Julius Baruch für den Verein als Trainer. Der sportliche Erfolg verhinderte jedoch nicht, dass beide Brüder Opfer des Holocausts wurden. Sie wurden, wie die Mutter Karoline und die Schwestern Emma und Johanna von den Nationalsozialisten ermordet. An ihrem Wohnort vor dem Haus in der Hochstraße 38, werden zu ihrem Gedenken am 5.2. fünf Stolpersteine durch den Künstler Gunter Demnig verlegt”.

Jennifer Burck: “ein weiterer Stolperstein wird in Bad Kreuznach für Auguste Oppenheimer verlegt. Im Rahmen der Recherche zu Auguste Oppenheimer erhielten wir die Möglichkeit Frau Oppenheimer und ihr Leben ein wenig kennenlernen. Auguste Oppenheimer, die am 10. Juni 1863 in Laufselden geboren wurde, erwies sich im jungen erwachsenen Alter als starke und selbstständige Frau, unter anderem durch den frühen Tod ihrer Mutter. Mit ihrer Schwester Berta zog sie nach Bad Kreuznach, um ein Korsettengeschäft zu betreiben. Zu dieser Zeit wohnte sie in der Mannheimer Straße 160. Ihr letzter freiwillig gewählter Wohnort war die Römerstraße 2. Nach dem Novemberpogrom im Jahre 1938 musste Frau Oppenheimer zudem noch einen Teil ihres Geldes als Zwangsabgabe zur Beseitigung, der durch den nationalistischen Mob verursachten Schäden geben.

Im Jahre 1938, mittlerweile 75 Jahre alt, verschlechterte sich ihre Lage immer weiter, beispielhaft sei hier die Lebensmittelknappheit genannt, da Juden weniger Lebensmittel erhielten als die sogenannten arischen Deutschen. Am Ende wurde Auguste Oppenheimer 1942 mit 79 Jahren zusammen mit zahlreichen anderen Kreuznacher Juden nach Theresienstadt deportiert, wo sie nach 2 Monaten an Herzschwäche starb. Ihr Schicksal gleicht dem von Millionen Juden in ganz Europa, die aufgrund des nationalsozialistischen Rassenwahns getötet wurden. Indem wir an Auguste Oppenheimer erinnern, erinnern wir auch an diese Millionen und alle weiteren von den Nationalsozialistengetöteten Opfer”.

Katharina Holzhäuser: Doch nicht nur die Familie Baruch und Auguste Oppenheimer hatten ein tragisches Schicksal. Auch andere wie Sinti und Roma, anders Denkende wurden ermordet und verschleppt. Mit dem Stolpersteinprojekt wollen wir erinnern und wünschen uns für die Zukunft, dass so etwas grausames und Unmenschliches nie wieder passiert. Wir wollen heute auch andere Schüler und Schülerinnen dazu aufrufen, das Stolpersteinprojekt und sich dafür zu engagieren. Zuletzt wollen wir noch sagen, dass wir die Schüler der IGS Sophie Sondhelm und des Lina-Hilger-Gymnasiums nicht aufhören werden zu erinnern, denn man stolpert nicht und fällt hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.

Über 100 Einwohner*Innen, darunter Vertreter*Innen verschiedener Religionsgemeinschaften, Verbänden, Vereinen und der Kommunalpolitik nahmen an der Gedenkveranstaltgung teil.

“Unter unsere Geschichte lässt sich kein Schlussstrich ziehen”

Im Folgenden Auszüge aus der Rede von Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer (Zitat von der Stadtseite bad-kreuznach.de): “Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Was sie dort entdecken mussten, lässt uns noch heute den Atem stocken vor Abscheu und Entsetzen. Mehr als eine Million Menschen waren allein in Auschwitz zwischen März 1942 und November 1944 in einem beispiellosen Vernichtungswillen ermordet worden. “Auschwitz” steht heute als Begriff für den nationalsozialistischen Rassenwahn. Unser Gedenken ist an diesem Tag bei den Millionen von Opfern dieses unsäglichen Mordens:

 

Juden zuallermeist, aber auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte, Kriegsgefangene, Menschen, deren Leben eine Politik mörderischen Rassenwahns sich angemaßt hatte, für “lebensunwert” zu erklären. Aber unser Gedenken beschränkt sich nicht auf diesen einen Tag. Auch nach der Befreiung von Auschwitz ging das Morden weiter, in Belsen, Buchenwald und anderswo bis zum endgültigen Zusammenbruch des Nationalsozialismus. Und mehr noch als gedenken sollten, ja müssen wir uns erinnern an das, was in deutschem Namen vor allem den Juden angetan wurde: “Ein ganzes Volk”, wie SS-Führer Himmler propagiert hatte, “von der Erde verschwinden zu lassen” – und mit ihm seine Religion, seine Kultur.

Unter diese deutsche Geschichte lässt sich kein wie immer gearteter “Schlussstrich” ziehen. Jeder Versuch, sich aus der historischen Verantwortung zu stehlen, ist zum Scheitern verurteilt. Dabei darf das Erinnern keine “Strafe” sein. Das Erinnern ist vielmehr. Ohne uns unserer Geschichte bewusst zu sein, wird uns nicht klar, was wir zu verteidigen haben und – insbesondere warum. Was damals geschehen ist, darf nicht vergessen werden. Gerade heute.

75 Jahre “danach”, nach vielen Jahrzehnten friedlicher und demokratischer Entwicklung, bedürfen wir heute ganz besonders der Widerstandskraft, damit ganz gewöhnliche, humane und moralische Maßstäbe und Tugenden auch heute noch Bestand haben. (…)

Wir wissen, wohin Rassenwahn und Überlegenheitsgefühle führen können. Wir schulden den Opfern des Holocaust unser Gedenken, unser Erinnern. Der Völkermord ist Teil unserer Geschichte geworden. Wir wollen auch heute und in Zukunft aus dieser Geschichte lernen. Wir wollen auch heute und in Zukunft aus dieser Geschichte lernen? Was ist eigentlich heute los bei uns, dass eine derartige Lust am Erniedrigen, Kleinmachen, Erledigen herrscht? Ist das eigentlich schon eine bedrohliche Entwicklung, eine Wiederholung?

Diese Gesellschaft ist extrem groß darin, das „Aufräumen“ lauthals zu fordern oder gleich die gute alte Metapher der rollenden Köpfe herbeizusehnen, aber sie ist erstaunlich klein darin, eine Kultur der Opposition zu pflegen, die es schafft, politische Theorien zu entwickeln, Gegenstimmen auf der Basis von Argumenten zu formulieren oder einfach zu sagen: “Meine Haltung ist eben anders“. (…)

Wenn man ernsthaft findet, dass jemand mit seinem Handeln falsch liegt, dann liegt im darauffolgenden Diskurs die Chance, dass sich in dieser Gesellschaft etwas ändert. Diese Auseinandersetzung heißt jedoch nicht, den Sprecher oder Handelnden zu delegitimieren. Er oder sie darf dafür nicht blamiert werden. Wenn wir das in immer stärkerem Ausmaß zulassen, nämlich dass die Entwicklung in eine falsche Richtung geht – und wir alle nehmen es wahr –, müssen wir uns ernsthafte Gedanken machen um unsere Demokratie und täglich dafür einstehen.

Denn genau das ist es: Die Gedenktage und die Unterrichtseinheiten in den Schulen können nicht die alltägliche Aufgabe des Erinnerns ersetzen.
“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” So heißt es unmissverständlich in Artikel 1 Grundgesetz. Doch die Geschichte zeigt: Die Würde des Menschen ist antastbar. Nirgendwo wurde dieser Nachweis gründlicher erbracht als in Deutschland. Gerade deshalb muss Artikel 1 Grundgesetz kompromisslose Richtschnur unseres Handelns sein und bleiben, ein kategorischer Imperativ, um nie wieder zuzulassen, dass Menschen ausgegrenzt, verfolgt und in ihrem Lebensrecht beschnitten werden.

Das schulden wir allen Opfern, derer wir heute gedenken. Was uns auch heute angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen noch bleibt, ist die quälende Frage: Heute − würden heute mehr Menschen aufbegehren und zu ihren eigenen ethischen Prinzipien stehen?”

Oberbürgermeisterin Dr. Kaster-Meurer im Radiointerview im Anschluß an die Gedenkveranstaltung.