“Das Unheil kam nicht über Nacht”

Gastbeitrag von
Hansjörg Rehbein

Mit Bestürzung und Fassungslosigkeit reagierten viele Menschen in Deutschland auf den Versuch eines jungen Neonazis in der Synagoge von Halle ein Blutbad anzurichten. Zu betrauern sind zwei Menschen, die der Täter erschossen hat. Es darf nicht bei Bestürzung und Fassungslosigkeit allein bleiben, mahnte Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer beim Gedenken der Opfer der Reichsprogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, als in Nazi-Deutschland 1.400 Synagogen geplündert, zerstört und in Brand gesetzt und jüdische Mitbürger(innen) misshandelt wurden. “Das Unheil kam nicht über Nacht an diesem 9.11.1938, sondern wuchs stetig heran”, so die Oberbürgermeisterin.

Vor dem Hintergrund des wachsenden offenen Antisemitismus und der hohen Gewaltbereitschaft der Neonazis mahnte die Oberbürgermeisterin weiter: “Wir gedenken mit dem Wissen, dass Grenzüberrschreitungen und Verbrechen zuzuschauen in letzter Konsequenz bedeutet, mitzumachen. Wir gedenken in der Überzeugung, dass die demokratische Mehrheit wachsam bleiben muss.” Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bad Kreuznach / Birkenfeld, Valeryan Ryvlin, sieht in Deutschland die “Stabilität und die Demokratie in Gefahr.” Der wachsende Antisemitismus in Deutschland erschrecke und empöre die Welt. Dass die jüdischen Gemeindezentren wieder stärker bewacht werden müssten, sei eine “traurige Realität”.

Den Hasskommentaren in den sozialen Netzwerken müssten alle demokratisch gesinnten Gesellschaftsgruppen entgegen treten. “Wir müssen im Gespräch bleiben”, appellierte er. Die Oberbürgermeisterin und der Vorsitzende der jüdische Gemeinde bedankten sich bei der Intergrierten Gesamtschule Sophie-Sondhelm für deren engagierte Gedenk- und Aufklärungsarbeit. In diesem Jahr führten Schülerinnen und Schüler der AG “Schule ohne Rassissmus – Schule mit Courage” und der MSS 13 eine Theaterszene mit dem Titel “Fremde – Freunde – Feinde” auf, die die zunehmende Entfremdung der Gesellschaft bis zur Diskrimierung und Verfolgung ihrer jüdischen Mitglieder zum Thema hatte.

Das stumme Spiel wurde von Zeitungs-Zitaten aus dem Nationalsozialismus bis hin zu den Äußerungen der AfD-Bundesspitze begleitet. Mit einem Kopschütteln des Entsetzens quittierten die Schüler Alexanders Gaulands Relativierung der Verbrechen im Dritten Reich: ”Hitler und die Nationalsozialisten sind nur ein Vogelschiss in 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Der Kantor der jüdischen Gemeinde, Noam Ostrovsky, sprach das Schlussgebet (El Male Rachamim), in dem er an die sechs Millionen Menschen erinnerte, die die Nationalsozialisten in den Konzentrationslagern ermordeten.

Für die musikalische Umrahmung der Gedenkfeier sorgten der Chor der jüdischen Gemeinde unter der Leitung von Tatjana Feigelman. Und Petra Grumbach mit ihrem einfühlsamen Klarinettespiel. Die Gruppe für die Theaterszene bildeten die IGS-Schüler(innen): Emelie Sänger, Charlotte Schimpf, Mireia Espenschied, Willi Wetzel, Celia Waschnick, Julia Böhme, Leonie Lucas, Larisa Shubina, Katinka Vogelsang, Philipp Meiser, Viktor Tomulets, Benedikt Schmitt, Maurice Suljic, Sofia Macavariani und Gesa Weyel, Betreut wurden sie von den Lehrer(innen) Fr. Engelberger, Hr. Kraster, Fr. Binnemann und Fr. Schreiber.