Paukenschlag: CDU, Grüne, AfD, FDP/Faire Liste und FWG/BüFEP setzen Etatberatungen ab

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Was sich gestern ab 15.07 Uhr in der öffentlichen Sitzung des Finanzausschusses abspielte, ist in der jüngeren Geschichte der Stadt ohne Beispiel. Mit mehr als 2/3-Mehrheit strich das Gremium die Beratung des Stadthaushaltes für 2020 von der Tagesordnung. Als sich Manfred Rapp gleich zu Beginn der Sitzung zur Tagesordnung meldete, war den anderen Ausschußmitgliedern und der Verwaltung bereits klar, was kommen würde. Daher redete vorab erst einmal Bürgermeister und Kämmerer Wolfgang Heinrich Klartext. Und dem um einige Stadtratsmitglieder bereicherten Finanzausschuß ins Gewissen (siehe gesonderter Bericht). Der CDU-Fraktionschef beantragte danach die Absetzung der Etatberatungen (siehe gesonderter Bericht).

Oliver John (m., FDP) argumentierte unterstützt von Kay Maleton (l., Faire Liste) für die Absetzung der Etatberatungen.

Derartige Veränderungen des Arbeitsprogrammes in Ausschüssen sind mit einer Mehrheit von zwei Dritteln möglich. Und die kam tatsächlich zustande, weil Grüne (3), AfD (2), FDP/Faire Liste (2) und FWG/BüFEP (1) mit jeweils eigenen Begründungen mit der CDU-Fraktion (5) votierten. 13 Jastimmen für den Rapp-Antrag wurden schließlich ausgezählt. Der Bürgermeister enthielt sich. Und nur die vier SPD-Mitglieder und der Linke Jürgen Locher stimmten für die sofortige Durchführung der Etatberatungen. Einen gesonderten Antrag setzten die Grünen einstimmig durch: so sollen die Etatberatungen Anfang Januar 2020 nachgeholt werden. Und die Fachämter der Stadtverwaltung werden aufgefordert ihre Etatvorschläge zu überarbeiten und finanzierbar erneut vorzulegen (siehe gesonderter Bericht).

Jürgen Locher (l., Linke) sprach sich wie die vier rechts neben ihm sitzenden Sozialdemokraten gegen eine Verschiebung aus.

Wie schon die einmütige Zustimmung für den Grünen-Antrag andeutet, war die gestrige, rund dreiviertelstündige Debatte – trotz diametraler Gegensätze in der Sache und kraftvoller Wortwahl (erfreulicher Weise ohne Kraftausdrücke) – anders als noch im Februar und den Jahren davor, von hoher Sachbezogenheit geprägt. Die Absetzung der Etatberatungen durch den Finanzausschuß ist ein einmaliger Vorgang. Und dreht die Verhältnisse vom vergangenen Jahr um. Am 29.11.18 war es noch der Bürgermeister, der für die Verwaltung die für Anfang Dezember terminierten und eingeladenen Etatberatungen absagte, weil eine Stadtratsmehrheit den Tourismusbeitrag abgeschafft hatte.

Der Moment der Abstimmung um 15.49 Uhr gestern Nachmittag: die große Mehrheit stimmt für die Vertagung in den Januar 2020.

Vor Jahresfrist reagierten insbesondere Grüne und CDU mit Unverständnis auf diese Vorgehensweise. Lothar Bastian (Grüne) nannte die kurzfristige Absage damals “unkollegial”. Die Etatberatungen für 2019 fanden dann Anfang Februar 2019 statt. Die Front gegen den Verwaltungsvorschlag für 2020 im Stadtrat und im Finanzausschuß ist breit. Sieben von elf im Rat vertretenen Parteien und Listen lehnen den Entwurf ab (CDU, Grüne, AfD, FDP, Faire Liste, FWG und BüFEP). Nur zwei (SPD und Linke) wollten auf der Basis des 646 Seiten starken Zahlenwerkes arbeiten. Die beiden Einzelkämpfer Stefan Butz (Progressive) und Dr. Herbert Drumm (Freie Wähler) waren nicht anwesend und hatten sich im Vorfeld der Sitzung auch nicht öffentlich positioniert.

Allein die vier Stimmkarten der SPD und die eine der Linken gingen für den geplanten Beratungsablauf in die Höhe.

In den rund einstündigen informellen Aussprachen nach Sitzungsende wurde nichtöffentlich in Kleingruppen unterschiedlichster Zusammensetzung die Verantwortlichkeit und die weitere Tragbarkeit der Oberbürgermeisterin diskutiert. Dr. Heike Kaster-Meurer hatte nicht an der Sitzung des Finanzausschusses teilgenommen. Sondern an der annährend zeitgleich laufenden Sitzung des Kreistages, dem sie seit Juni 2019 für die SPD angehört. Nicht nur wegen ihrer Abwesenheit im städtischen Gremium wurden ihr teilweise massive Vorhaltungen gemacht. Auch der Umstand, dass sie die krass abweichenden Zahlen im Etatentwurf der Stadt und des Kreises zum Jugendamt den Stadtgremien nicht transparent gemacht und erläutert hat, sorgte für erhebliche Mißstimmung.

In sachlicher Ruhe wurde nach Absetzung der Etatberatungen die übrige Tagesordnung abgearbeitet.

Von mehreren Stadtrats- und Ausschußmitgliedern wurden auch die Fachämter, insbesondere die Leitungspersonen dort, deutlich in die Pflicht genommen. So hat etwa Rolf Bühring (BüFEP) den Eindruck gewonnen, dass “einem Teil dieser städtischen Führungsleuten egal ist, wer unter ihnen demokratisch gewählter Volksvertreter ist”. Um verwaltungs- und kommunalpolitikfremden Personen die Bedeutung der übergroßen Mehrheit, die sich gestern im Finanzausschuß zusammenfand, zu verdeutlichen: die Zwei-Drittel-Mehrheit ist jenes Quorum, mit dem der Stadtrat gemäß § 55 der Gemeindeordnung jederzeit das Abwahlverfahren der Oberbürgermeisterin einleiten könnte. Die entgültige Entscheidung darüber müßte dann in einer Wahl der Einwohner*Innen erfolgen.

Kleine Beratungsgruppen bildeten sich allerdings nicht erst nach, sondern auch während der Sitzung gestern. Hier die von FDP/Faire Liste bestehend aus Gerhard Merkelbach (l.), Werner Lorenz (r.) und Jürgen Eitel. Die drei Stadtratsmitglieder waren als Zuhörer und zur Unterstützung ihrer Ausschußmitglieder Kay Maleton und Oliver John anwesend.