Meinung: Willkür a la Dr. Kaster-Meurer

Von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Gestern Nachmittag um 17.43 Uhr im Stadtrat. Einwohner*Innenfragestunde. Eine Bürgerin tritt ans Mikrophon. Sie möchte eine Frage zum Thema Klimaschutz stellen. Dr. Kaster-Meurer fällt ihr in Wort. “Da steht ein Antrag auf der Tagesordnung. Dazu dürfen Sie nichts fragen”. Die Bürgerin wird vom Mikrophon verwiesen. Keine Stimme aus dem Stadtrat setzt sich für die Bürgerin ein. 42 Ratsmitglieder bleiben einfach stumm (2 waren nicht da). Rückblende. 26. April 2018. Stadtratssitzung. Mit Einwohner*Innenfragestunde. Natürlich auch Anträgen. Je einer von SPD, CDU und FDP zum damals weltbewegenden Thema “Fettabscheider”. Ans Mikrophon tritt Heinz Wonsyld vom gleichnamigen Cafe am Salinenplatz.

Wer ihn kennt, weiß worum es geht. Das spricht er dann auch offen aus. Genöhle aus dem Stadtrat: “das steht auf der Tagesordnung”. Reaktion Dr. Heike Kaster-Meurer: ja, da stehen diese Anträge auf der Tagesordnung, aber ich finde das passt gut. Wonsyld darf also reden. Er vertritt – vollkommen legitim, aber rechtswidrig – wortreich und eloquent seine privatwirtschaftlichen Interessen als Empfänger eines Bescheides. Was er sagt ist im Protokoll schön dokumentiert. Auch die Antworten, die ihm die Oberbürgermeisterin gibt. Wonsyld hatte seinen Auftritt (Preisfrage: wer hat die Belohnungstorte bekommen?). Die Bürgerin mit Sorgen aber ohne Geschäft schaute gestern in die Röhre.

pecunia non olet

Zwei identische Situationen. Zwei vollkommen unterschiedliche Handlungsweisen der Oberbürgermeisterin: Willkür in Reinform. Und es erhebt sich keine einzige Stimme im Rat der Stadt, die das kritisiert. Also falls sich dort mal eine oder einer fragen sollte, warum er-sie-es nicht ernst genommen wird. Unter anderem in derartigen Tatsachen könnte die Ursache liegen. Für die Zweifler und Gutgläubigen packe ich (Achtung ein ‘Insider’:) ganz im Sinne von Neuwieder Textilhändlern, die unter dem Label “Hamburger Fischmarkt” bei uns in der Innenstadt auch sonntags Schuhe, Hosen und Taschen unters Volk bringen dürfen (denn mit unserer Verwaltung kann ja jeder alles machen – pecunia non olet), noch einen Bonussachverhalt dazu.

Kommunalpolitisch blondiert

Eben schon angesprochen. Die Fettabscheider. Angefangen mit Junger Union (wo sind die eigentlich seit dem verschwunden?) und DEHOGA (gut, die haben mit Präsidentengehältern und Austritten genug zu tun) bliesen sich auch einige der Kommunalpolitiker auf wie nordamerikanische Ochsenfrösche. Der Nichteinbau von Fettabscheidern wurde zur Existenzrettungsikone erhoben. Die von der Verwaltung praktizierte Gerechtigkeit bei der Verfolgung von Rechtsbrechern als Teufelswerk mit Exorzismen bedroht. Selbst Gastronome schütteln darüber den Kopf, wie tiefschwarze Schafe ihrer Branche kommunalpolitisch blondiert wurden.

Nach viel heisser Luft, drei Anträgen und einem Parteiwechsel des Bürgermeisters wird am 5. Juni 2018 über die Fettabscheider im Finanzausschuß beraten. Stargast: Stadtrechtsdirektorin Heiderose Häußermann. Sie erfreut das Gremium mit einer Wortschöpfung, die Magister Faust zur Ehre gereicht hätte: der “Böhle”. Die ist aber nicht der eigentliche Hammer. Der besteht darin, dass die Stadtrechtsdirektorin auf ausdrückliche Frage aus dem Ausschuß, wann denn die von ihr selbst dem Gremium vorgetragenen Änderungen in der Abwassersatzung verankert werden, antwortet: bis Herbst 2018 habe sie die entsprechenden Texte fertig, Ende 2018 könne der Stadtrat abstimmen. Heute ist Ende September 2019.

Von der Änderung der Abwassersatzung war seit dem 5.6.18 im Stadtrat nie mehr die Rede. Die Hinterbänkler und Reinrufer, wie sich unsere geschätzten Stadtratsmitglieder, das stellte SPD-Fraktionschef Andreas Henschel gestern Abend im Stadtrat klar, nicht bezeichnen lassen möchten, haben sich in den letzten 15 Monaten einen Dreck (oder sollte man besser sagen: eine Böhle^^) um das von ihnen selbst im Frühjahr 2018 noch als weltbewegend dargestellte Problem gekümmert. Und die Verwaltung natürlich auch nicht. Denn Bürgermeister Wolfgang Heinrich weiß (nicht erst seit dem Fiasko mit dem Tourismusbeitrag):

Heinrich rettet die Ahnungslosen

Die ganze unterschwellige Wut, der Frust der Einwohner*Innen in dieser Stadt, die Woche um Woche, Monat um Monat veräppelt und getäuscht werden, wird sich u.a. an dem Tag entladen, an dem eine neue Abwassersatzung amtlich bekannt gemacht wird. Denn die ist, ganz unabhängig von den Bescheiden, dann ein Jahr lang per Normenkontrolle angreifbar. Und in diesen Verfahren sah die Stadt in letzter Zeit ja nicht so gut aus. Es ist also der Bürgermeister, der den “Hinterbänklern und Reinrufern” den Abwasser-Haushalt rettet. Den einzigen finanziell kerngesunden, den diese Stadt noch hat. Und die “Hinterbänkler und Reinrufer” wissen das nicht mal.

Lesen Sie zum Thema auch auf dieser Seite:

06.06.18 – “Populistische Frechheit” im Finanzausschuss”
27.04.18 – “Stadtrat: Fettabscheider in den Ausschuss”