Stadt versucht Haushaltsausgleich mit Buchhaltungstricks

Recherchiert und bewertet von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Jahrzehntelang war das die Brandmauer, um den finanziellen Kollaps der Stadt zu verhindern: die Mehrheit der noch einigermaßen verantwortungsbewußten Finanzpolitiker*Innen der Stadt setzte bei den jeweiligen Etatberatungen im Zusammenwirken mit der Kämmerei die Einnahmen aus der Gewerbesteuer regelmäßig so konservativ (also zurückhaltend) an, dass mit den dann tatsächlich erzielten Einnahmen entweder ein Haushaltsausgleich oder sogar eine Schuldentilgung erfolgen konnte. Der frühere Bürgermeister und Kämmerer Wolfgang Heinrich hat diese in der Amtszeit von Rolf Ebbeke eingeführte Handlungsweise gestärkt.

Und gegen Vorstösse vor allem aus den Reihen der SPD, aber auch der Klopfer-CDU, teilweise aggressiv verteidigt. Am 1.1.2022 übernahm dann Thomas Blechschmidt als Bürgermeister die Aufgabe des Kämmerers. Anders als Heinrich war ihm ein gutes Einvernehmen mit den Stadtrats- und Ausschuss-Funktionären wichtiger als der Schutz des Geldes der Einwohner*Innen. Ende 2022 durchbrach Thomas Blechschmidt dann als erster Kämmerer seit 30 Jahren die Gewerbesteuer-Brandmauer. Und setzte als Deckungsvorschlag für ÖPNV-Kosten Mehreinnahmen bei der Gewerbesteuer ein.

Nur um zu ermöglichen, dass weiter fast leere Busse durchs Stadtgebiet rollen können. Schon damals wäre es erforderlich gewesen beim ÖPNV auf das vom Kreis allein zu tragende Mindestangebot zurückzugehen. Und das Bäderhaus und die Crucenia Therme mit ihren Millionendefiziten zu schließen. In der vergangenen Woche ließ Thomas Blechschmidt dann im Aufsichtsrat der städtischen Gesellschaften BGK und BAD einmal mehr die sattsam bekannte Drohkulisse von der Insolvenz der Bäder aufbauen.

Während die Gremienmitglieder die seit Jahrzenten eingeübten argumentativen Schlachtordnungen einnahmen, arbeitete Blechschmidt seinen Augenwischerplan für Einsparunwillige aus. Der wird heute unter dem verharmlosenden Schlagwort “Ansatzveränderungen” im Finanzausschuss beraten und sieht wie folgt aus. Rund 6,4 Millionen beträgt das vom Stadtrat mehrheitlich beschlossene Haushaltsdefizit. Solange das nicht ausgeglichen ist, verweigert die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) – endlich – die Genehmigung weiterer Kreditaufnahmen.

Weil die Stadtratsfraktionen von SPD, Grünen und FDP von den guten parteiinternen Kontakten zur Landesregierung wählerwerbewirksam zwar plappern, aber konkret weder für den ÖPNV noch für das Jugendamt die benötigten Millionenzahlungen aus Mainz bewirken, muss der Haushaltausgleich auf andere Weise und zumindest auf dem Papier bewirkt werden. Nachdem es im Hebst 2022 keinen Aufschrei gab, als Gewerbesteuer-Mehreinnahmen zur Deckung herangezogen wurden, macht Thomas Blechschmidt aus dem Ausnahme- nun den Regelfall.

Und nimmt die vorläufige, instabile und ständigen Veränderungen unterworfene Sollstellung der Gewerbesteuer und verbucht diese als sichere Einnahme. Blechschmidt nennt das eine “Anpassung”. Immerhin von 28,5 Millionen auf 32,1 Millionen Euro. Damit reduziert er das Defizit rein rechnerisch um 3,6 Millionen Euro. Ähnlich geht Thomas Blechschmidt beim Stadtanteil an der Einkommensteuer vor. Die wird an die Steuerschätzung vom November 2022 angepaßt. Und um 127.000 Euro höher, auf dann 22.721.000 Euro festgesetzt.

Weitere Plusbeträge ergeben sich beim Familienlastenausgleich (+ 169.000 Euro), einer Schlüsselzuweisung des Landes (+ 353.000 Euro), einer “erwarteten Nachzahlung Abrechnung 2016 bis 2020” für die städtischen Kitas (+ 769.000 Euro) und Einsparungen beim ÖPNV (+ 350.000 Euro). Mehrausgaben bzw Mindereinnahmen für die Stadtkasse führt Blechschmidt beim Stadtanteil an der Umsatzsteuer (./. 98.000 Euro) und bei der Gewerbesteuerumlage (./. 300.000 Euro) an. Im Saldo ergibt sich eine Haushaltsverbesserung um 4,97 Millionen Euro.

Wo die fehlenden rund 1,4 Millionen Euro herkommen, um den Haushalt 2023 formal auszugleichen, “stimmt die Verwaltung aktuell noch intern ab”, teilt Thomas Blechschmidt den Ausschussmitgliedern mit. Und erklärt zum weiteren Verfahrensweg: “bei positiver Beschlussfassung im Finanzausschuss werden wir dem Stadtrat für seine Beratung und Beschlussfassung am 30.3.2023 eine aktualisierte Haushaltssatzung 2023 vorlegen”. Was die ADD und die Realität zu den Plänen aus dem Stadthaus sagen, wird sich zeigen. Auf beiden Ebenen droht der Stadt eine Kostenerhöhung in Millionenhöhe.

Allein schon bei den Personalkosten. Denn im beschlossenen Haushalt für 2023 ist nur ein Bruchteil jenes Betrages eingestellt, den ver.di dabei ist mit den aktuellen Streikmaßnahmen durchzusetzen. Und so ist wahrscheinlich, dass die fortgesetzte Einspar-Arbeitsverweigerung der Mehrheit der Bad Kreuznacher Kommunalpolitiker*Innen zu einer Situation führt, bei der die Gewerbesteuereinnahmen unter dem neuen Plan und die Ausgaben deutlich darüber liegen. Und das zum genau richtigen Zeitpunkt. Wenige Monate vor der Kommunalwahl. Was die Möglichkeit eröffnet breiten Bevölkerungskreisen die Augen zu öffnen.