Auf fehlende Ausschussprotokolle “noch ein bißchen gedulden”

Schon vor Eintritt in die Tagesordnung wollte es Jörg Fechner wissen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende fragte nach fehlenden Protokollen. Und wies darauf hin, dass etwa das Dokument von der Sitzung des Planungsausschusses am 17.1.2023 noch immer nicht vorliegt. Das war dem Oberbürgermeister gar nicht recht. Er forderte Fechner auf die Frage am Ende der Sitzung zu stellen. Als offizielle Anfrage. Schon das ein Eigentor. Denn ausserhalb der Tagesordnung hätte sich dieser Punkt mit einer Entschuldigung und ein paar warmen Worten elegant klären lassen.

Fast drei Stunden später, als offizielle (und damit protokollpflichtige) Anfrage eines Ausschuss- und Stadtratsmitgliedes wurde die Fechner-Frage zum Fall für die Stadtakten. Weniger die Frage, mehr noch die Antwort. Die mit ein paar Worten der Erklärung garnierte Frage lautete: “warum bekommen wir keine Protokolle?” Die Antwort des Oberbürgermeisters: “das ist personalabhängig. Es ist personalbedingt. Das Protokoll wird geliefert, da müssen Sie sich nur noch ein bißchen gedulden. Das ist keine böse Absicht. Es ist personalbedingt”.

Stadtverwaltung praktiziert offenen Rechtsbruch
Kommentiert von unserem Redakteur
Claus Jotzo

Der unabhängige Beobachter fragt sich, über was er sich mehr ärgern soll: über den offenen Rechtsbruch durch die Stadtverwaltung. Oder die Gleichgültigkeit, mit der die Mehrheit der ehrenamtlichen Mandatsträger darüber hinweggeht. Denn nicht nur landesrechtlich, auch in der Geschäftsordnung, die sich der Rat der Stadt Bad Kreuznach selbst gegeben hat, ist es unmißverständlich festgelegt: “die Niederschrift über öffentliche Sitzungen soll jedem Ratsmitglied spätestens einen Monat nach der Sitzung schriftlich oder elektronisch zugeleitet werden”, bestimmt § 26.

Den vermeintlichen Schlauberger*Innen, die in ihrer Unwissenheit über das “Soll” stolpern, sei erklärt: wegen des Bedürfnisses der umfassenden Ermessensabwägung ist für öffentliche Verwaltungen eine Soll- praktisch eine Muss-Vorschrift. Und das ist ja auch gut so. Denn die Protokolle genießen öffentlichen Glauben. Die Einwohner*Innen dürfen sich darauf verlassen. Und sind in Bad Kreuznach verlassen. Von Ihrer Verwaltung. Wobei das nicht ganz richtig ist. Denn einzelen Verwaltungsteilen gelingt es fast immer, die in der Geschäftsordnung gesetzte Frist – teils deutlich – zu unterbieten.

Wie der Kämmerei, dem Sportamt usw. Die Erklärung des Oberbürgermeisters, die Nichterstellung der Protokolle etwa des Planungsausschusses (PLUV) seien “personalbedingt”, trifft nur dann zu, wenn Emanuel Letz sich damit selbst meint. Denn wer das Protokoll schreibt, wird – zumindest von vernünftigen Verantwortungsträger*Innen VOR den jeweiligen Sitzungen festgelegt. Und die Aufgabe nur Personen übertragen die in der Sitzung ANWESEND sind. Wer diese beiden Grundregeln beachtet, kann unter fast allen Umständen sicherstellen, dass Protokolle zügig, mindestens geschäftsordnungsgerecht erstellt werden.

Denn – das mag für Teile des Stadtbauamtes überraschend sein – wer vorher richtig plant (sprich die Protokollaufgabe einer Person zuweist, die nicht am Tag danach in Urlaub fliegt, kündigt oder andere Aufgaben zu bewältigen hat), hat deutlich weniger Probleme bei der Aufgabenerfüllung. Der Rechtsbruch bei der Protokollführung ist allerdings nicht nur transparenzschädlich. Er schneidet den engagierten Ausschussmitgliedern auch ihre Kontrollrechte ab. Denn im § 26 ist in Absatz 5 bestimmt: “werden bis zur nächsten Sitzung Einwendungen gegen die Niederschrift erhoben, so kann durch Beschluss eine Berichtigung herbeigeführt werden”.

Wie soll das praktisch möglich sein, wenn das Protokoll erst nach Monaten vorliegt? Wer will sich dann noch richtig erinnern? War also schon die Begründung des Oberbürgermeisters schwach, läßt seine darin deutlich werdende Einstellung noch mehr zu wünschen übrig. Einwohner*Innen und Mandatsträger*Innen “müssen sich noch ein bißchen gedulden”, bis klare rechtliche Vorgaben eingehalten werden. Erklärt ein FDP-Parteibuchler. Gesetzlich verbriefte Rechte als Geduldsspiel. Ganz neue Töne aus der liberalen Perspektive. Kein Wort der Entschuldigung. Kein Wort darüber, dass das ein denkbar schlechtes Vorbild ist.

Wenn eine Bürgerin eine Frist versäumt, dann ist die selbe Stadtverwaltung gnadenlos. Und besteht auf den rechtlichen Bestimmungen. Wenn es für die Letz-Verwaltung unbequem ist, diese einzuhalten, dann sollen sich die Einwohner*Innen gedulden. Es ist genau dieses Messen mit unterschiedlichen Maßstäben, dass die Menschen nachvollziehbar gegen öffentliche Verwaltung aufbringt. Denn natürlich gibt es Alternativen. Der OB muss intern lediglich darauf bestehen, dass demokratiewichtige formale Fragen wie Protokolle etwa vorrangig vor seiner Öffentlichkeitswerbung abzuarbeiten sind.