Das Faust-Haus: die Wiege der rheinland-pfälzischen Landesverfassung

Die Geschichte der Stadt ist reich an landes- und bundesweiten Besonderheiten. Bad Kreuznach ist eine der wenigen europäischen Städte, die der Gründer der modernen Türkei, Kemal Atatürk, je besuchte. In der Nahe-Metropole trafen sich Charles de Gaulle und Konrad Adenauer um einen vorbildlichen Völkerverständigungsprozess in Gang zu setzen. Das ist breiten Bevölkerungsschichten bekannt. Aber nur wenige wissen, dass vor 76 Jahren die Verfassung des damals neu gegründeten Bundeslandes Rheinland-Pfalz in Bad Kreuznach beraten wurde.

Gabriele Binz, Mohammad Barazandeh, Wilfried Maus, Dr. Marlene Marthaler und Peter Decker freuen sich über die neue Gedenktafel am Faust-Haus (v.l.n.r.).

Im Faust-Haus in der Magister-Faust-Gasse Nr. 47. Unterhalb der Wilhelmbrücke. Vis-a-vis vom Stadthaus. Von Januar bis März 1947. Im 1. Obergeschoss. Elf Sitzungen hat dort der 15köpfige Verfassungsausschuss durchgeführt und dabei den Verfassungsentwurf erarbeitet. Davon wußte Mohammad Barazandeh nur vom Hörensagen, als er das Faust-Haus vor drei Jahren von Rosemarie Jacob kaufte. Der aus Wiesbaden stammende Gastronom mit persischen Wurzeln hatte sich bereits bei der ersten Besichtigung in das alte Gebäude verliebt. Und ging daher besonders behutsam mit alten Haus um.

Bereits bei der inoffiziellen Eröffnungsfeier am 3.6.2022 erläuterte Wilfried Maus (links) vor einem ausgewählten Kreis Kommunalpolitiker*Innen, darunter u.a. Landrätin Bettina Dickes, die Stadtratsmitglieder Wilhelm Zimmerlin und Gerhard Merkelbach und die Ausschussmitglieder Peter Steinbrecher und Gerald Kroisandt, welche bedeutungsvollen Entscheidungen Anfang 1947 in dem holzgetäfelten Sitzungssaal vorbereitet wurden.

Lediglich das Erdgeschoss wurde für den Betrieb eines Spezialitätenrestaurants umgebaut. Die Räumlichkeiten im Obergeschoss blieben unangetastet. Diese behutsame Vorgehensweise bei der Sanierung überzeugte, nach anfänglichen Mißverständnissen, auch die Verantwortlichen des denk-mal e.V. Spontan ließ sich der neue Eigentümer von den Denkmalschützer*Innen dazu überzeugen, an seinem Haus eine Tafel anbringen zu lassen, die auf die Bedeutung des Gebäudes für die Landesgeschichte hinweist.

Gestaltet in Absprache mit der Verwaltung des rheinland-pfäzischen Landtages. Bezahlt vom denk-mal e.V. Am gestrigen Freitagnachmittag erfolgte die Installation und Veröffentlichung der Tafel. Dazu hatte Oberbürgermeister Emanuel Letz seine Teilnahme zugesagt. Vom Vereinsvorsitzenden Wilfried Maus fernmündlich daran erinnert, räumte Letz ein den Termin vergessen zu haben, weil die RNN-Aufsichtsratsitzung länger gedauert habe, als geplant. Die Feierstunde wurde daraufhin abgekürzt.

Die von Wilfried Maus nicht gehaltene Rede im Wortlaut:

“Von Januar bis März 1947 wurde hier im 1. Obergeschos des Faust-Hauses die Landesverfassung von Rheinland-Pfalz beraten. In 11 Sitzungen, dokumentiert in ausführlichen Protokollen hat hier der 15-köpfige Verfassungsausschuss den Verfassungsentwurf erarbeitet. Dieser wurde dann am 25. April 1947 von der „Beratenden Landesversammlung“ in Koblenz verabschiedet und am 18. Mai 1947 durch Volksentscheid bestätigt. Ein Mann dieser historisch ersten Stunde und auch Mitglied in diesem Verfassungsausschuss war der Bad Kreuznacher Karl Kuhn.

Walter Krumm beschreibt in seinem Aufsatz im Nahekalender 1987 die trostlose Situation zwei Jahre nach Kriegsende unter der Überschrift: „1947 – Notjahr und Geburtsjahr unseres Landes“. Zu lesen ist: Im Kreisgebiet kaum Brot für 8 Tage, Fleischration 500g, Fettration 250g je Verbraucher und auch das nur unregelmäßig; in Büros wurden alte Regale zerschlagen, damit Brennmaterial zu Feuermachen da war. Und auch im Faust-Haus wurde gefroren – Karl Kuhn organisierte Kaminholz. Walter Krumm zitiert Karl Kuhn wie folgt:

„Die Beratung im Faust–Haus war alles andere als ein kleines Intermezzo in der Geschichte dieses Landes und unserer Heimat. Mit der Not aller im Nacken ging man an die Beratungen heran.“ Walter Krumm weiter: 53 % der Bevölkerung in Rheinland-Pfalz stimmten für die Annahme der Verfassung. Das war kein überwältigendes Votum, aber die Mehrheit. Die Entscheidung für Rheinland–Pfalz war in schwerer Zeit ein Baustein für das Werden und Wachsen der Bundesrepublik Deutschland.

Daran erinnert diese Gedenktafel. Bedenken wir: um die Gegenwart für die Zukunft gut zu gestalten, muss man die Vergangenheit kennen und würdigen. Der Denkmalverein dankt Herrn Mohammad Barazandeh für sein Engagement, das Fausthaus zu restaurieren und für seine Bereitschaft das Obergeschoß denkmalgerecht wiederherzurichten. Für die gute Gestaltung der Infotafel danken wir Herrn Peter Decker, Firma pede-sign, für das Fertigen und Anbringen danken wir Herrn Knuf, Firma Knuf Werbung”.

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